Nach Europawahl: Grüne üben Selbstkritik – Lehren aus der Europawahl

Geschichte von , dpa , Reuters
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Grünen-Spitzen Ricarda Lang und Omid Nouripour: Die Grünen wollen künftig stärker auf die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern eingehen. data-portal-copyright= © Bereitgestellt von Handelsblatt
 

Die Grünen ziehen Lehren aus dem schlechten Ergebnis bei der Europawahl. Künftig will die Partei auf breitere Wählerschichten zielen, zugleich aber ihre Kernthemen unterstreichen.

Um bei den nächsten Wahlen wieder besser abzuschneiden als bei der Europawahl im Juni, wollen die Grünen künftig stärker auf die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern eingehen. Das gelte für die Angst vor Krieg ebenso wie für die Folgen der gestiegenen Inflation, betonten die Co-Parteivorsitzenden, Ricarda Lang und Omid Nouripour, am Mittwochabend bei einer Online-Wahlanalyse mit Mitgliedern der Partei.

Es gehe darum, künftig eine klarere Sprache zu sprechen, Probleme nicht zu leugnen und auf eine „Politik des Imperativs“ zu verzichten, sagte Lang. Gerade auf dem Land reagierten die Menschen auf solche Ansagen allergisch. Wichtig sei außerdem: „Klimaschutz muss bezahlbar werden.“ Die Menschen bräuchten „Antworten für die Gegenwart“, deshalb müsse bei Klimaschutz-Maßnahmen eine soziale Förderung zielgenau sein und frühzeitig gewährt werden.

Zudem wollen die Grünen sich nach ihren Verlusten bei der Europawahl nicht auf ihre Kernwählerschaft zurückziehen, sondern zielen auf breitere Wählerschichten. „Wir wollen Politik für die Breite der Gesellschaft, also fürs ganze Land machen“, sagte Co-Parteichefin Ricarda Lang am Mittwochabend in einer öffentlichen Videokonferenz mit Parteimitgliedern.

„Die Menschen fühlen sich von der Politik nicht gehört“

Wir haben in der Stammwählerschaft verloren und gleichzeitig an anderen Stellen nicht dazugewonnen“, sagte Lang. Für die Grünen bedeute dies: „Wir werden große gemeinsame Anstrengungen benötigen, um wieder mehr Menschen zu überzeugen und Vertrauen zu schaffen.“ Grüne Regierungspolitik habe etwa im Krisenjahr 2022 nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges mehr überzeugt. Die Menschen hätten damals deutlich gespürt, dass die Grünen Politik für das Land machten und nicht für sich selbst. „Da müssen wir zurück hin“, rief Lang ihre Partei auf.

Es sei nachvollziehbar, dass die Menschen in einem Land leben wollten, wo man einen Termin beim Facharzt bekommt, der Bus verlässlich fährt und die Anmeldung in einer neuen Stadt rasch und einfach ist. Um diese Fragen müssten sich die Grünen kümmern und das auch nach außen deutlich machen, hieß es von der Parteispitze.

Eine der wichtigsten Lehren aus der Europawahl sei: „Die Menschen fühlen sich von der Politik nicht gehört und werden es zu wenig – auch von uns. Das ändern wir.“

Bei der Europawahl am 9. Juni hatten die Grünen 11,9 Prozent der Stimmen erhalten und waren damit hinter eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Wahlforscher stellten im Nachgang vor allem deutliche Verluste bei jungen Wählern fest.

Lang: Wir haben das Versprechen an die Jugend nicht eingelöst

Die Grünen seien im Bundestagswahlkampf 2021 nach der Corona-Pandemie mit dem Versprechen an die Jugend angetreten „Jetzt seid Ihr dran“, sagte Lang. „Dieses Versprechen haben wir ehrlicherweise nicht eingelöst.“

Auf die Frage eines Mitglieds, ob die Position der Grünen im Nahost-Konflikt zuletzt zu einseitig zugunsten Israels gewesen sei und damit womöglich junge Wähler abgeschreckt habe, antwortete der Co-Vorsitzende, Omid Nouripour, die Position von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sei stets „ausbalanciert“ gewesen.

Zugleich wollen die Grünen ihre Kernthemen Klima- und Naturschutz unterstreichen. „Wir machen sie wieder stärker hörbar“, sagte Nouripour. In der Stammwählerschaft würden die Grünen für ihr ökologisches Profil und dessen Verknüpfung mit verwandten Themenbereichen gewählt. „Hier liegen unsere Kernwerte, hier liegen unsere Kompetenzwerte, wenn auch aktuell geschwächt“, sagte Nouripour. „Hier genießen wir Glaubwürdigkeit und sind unterscheidbarer als bei jedem anderen Thema. Das wollen wir als Positivum nach vorne stärker herausstellen.“

Wahlkampf auf eine Person zuspitzen

Bei der Bundestagswahl 2025 wollen die Grünen laut Co-Parteichef Omid Nouripour zudem ihren Wahlkampf auf eine Person zuspitzen. Wer dies sein wird, ließ er offen. In der Partei wird erwartet, dass die Grünen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf ziehen werden. Außenministerin Annalena Baerbock hatte vor kurzem erklärt, dass sie sich auf ihr Ministeramt konzentrieren wolle und daher dafür nicht zur Verfügung stehe.

„An der Spitze wird eine Person stehen, die unsere stringenten Linien im Wahlkampf glaubhaft verkörpert“, sagte Nouripour. „Wir dringen besser durch, wenn wir klar personalisieren. Das werden wir bei der Bundestagswahl auch tun.“

Nouripour sagte, die Grünen wollten näher bei den Menschen sein. „In der Schlussmobilisierung des Europawahlkampfs etwa haben wir sehr stark auf die Verteidigung unserer Demokratie fokussiert“, sagte der Co-Parteichef. „Das war genau richtig, aber überhaupt nicht ausreichend. Gerade bei den Themen, die die Menschen am stärksten umtreiben, waren wir teilweise nicht präsent genug.“ Das gelte etwa für die Folgen von Inflation und Mietenentwicklung, aber auch Migration: „Wir wollen einen stärkeren Fokus auf diese zentralen sozialen Fragen legen und dabei eigene grüne Akzente setzen rund um Infrastruktur.“