„Integration ist für mich ein Herzensthema!“

NRW Staatssekretärin für Integration, Frau Serap Güler (CDU) im exklusiven DTJ-Sommerinterview

DTJ-Sommerinterview mit NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler. Das ehrenamtliche Team von DTJ-Online hat in einem ausführlichen Sommerinterview mit der frisch eingeweihten Staatssekretärin für Integration des Landes NRW gesprochen. Auf dem Tisch lagen türkische Verbände, der kritische Umgang mit türkischen Organisationen wie die DITIB, oder die UETD und türkeistämmige Politiker als Interessensvertreter bestimmter Gruppen.   

DTJ-Online:
Frau Güler, Sie sind in NRW die neue Staatssekretärin für Integration geworden. Bedient das nicht wieder die alten Klischees?

Serap Güler:
Überhaupt nicht. Ich kam aus dem Parlament und war dort integrationspolitische Sprecherin. Davor habe ich im Integrationsministerium gearbeitet und meine Magisterarbeit über das Thema „Integrationspolitik“ geschrieben. Von daher war es schon naheliegend, dass ich das mache, ohne dass man über Klischees sprechen muss. Wenn sich eine Lehrerin für Schulpolitik entscheidet, dann sagt auch keiner, dass es ein Klischee ist.

Hätten Sie nicht dennoch Lust gehabt, mal was anderes zu machen?
Auf neue Herausforderungen habe ich immer Lust, aber das Thema Integration möchte ich auch weiterhin unbedingt begleiten, denn es ist für mich ein Herzensthema. Ich interessiere mich auch für Europapolitik und Schulpolitik, Verkehrs- oder Wirtschaftspolitik, aber was mir wirklich am Herzen liegt, wofür ich brenne, ist das Thema Integration.


Weshalb hat die Landesregierung in Ihnen die am besten geeignetste Staatssekretärin für Integration gesehen? Was zeichnet Sie aus?

Ich habe mich in den letzten fünf Jahren als integrationspolitische Sprecherin meiner Partei für eine Integrationspolitik eingesetzt, die beide Seiten im Fokus hat. Dabei habe ich mich immer als Brückenbauerin verstanden. Ich war nie nur die Stimme der Migrantinnen und Migranten im Landtag. Ich war auch nie nur diejenige, die versuchte, der Migrantencommunity deutsche Positionen aufzuzwingen. Wenn es nötig war, habe ich schärfere Forderungen an die Migrantencommunity gestellt. Aber auch umgekehrt an die deutsche Seite, an die Mehrheitsgesellschaft, wenn ich da das Gefühl hatte, dass bestimmte Dinge nach jahrzehntelanger Diskussionen immer noch nicht verstanden werden.
Nehmen Sie das Beispiel Mehrstaatlichkeit oder Einwanderungsgesetz. Bei vielen Fragen, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben – auch im Rahmen der Flüchtlingssituation – hat es ganz viele kritische Stimmen aus der türkischen Community gegeben. Es hat viele als überrascht, dass sich Migranten gegenüber Flüchtlingen negativ äußern. Aber ich glaube man muss die Biographie, die Hintergründe dieser Menschen kennen und ich glaube, ich tue das.

Wenn wir schon bei der Migrantencommunity sind: Wie waren eigentlich die Reaktionen der Migrantenorganisationen auf Ihre Ernennung zur Staatssekretärin? Gab es beispielsweise auch von türkischen Verbänden, wie der DITIB, eine Reaktion?
Es gab ein Schreiben von der DITIB, in dem man mir gratuliert hat, aber auch von vielen anderen Migrantenselbstorganisationen. Auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern habe ich Nachrichten bekommen. Das hat mich ungemein gefreut. Die Freude und der Zuspruch waren da wirklich sehr groß.

Wie wird mit Ihnen als Staatssekretärin das Verhältnis der Landesregierung zum größten islamischen Dachverband DITIB werden?
Ich hoffe, dass sich das Verhältnis nicht weiter zuspitzt. Ich wünsche mir eine Entspannung, weil ich ungern auf die DITIB als Partner verzichten will. Schließlich hat sie aufgrund ihrer Arbeit in der Vergangenheit viele Bedürfnisse gläubiger Menschen aufgefangen. Aber die Kritik am Kurs der DITIB bleibt: Sie muss anfangen, sich ausschließlich als Religionsverband zu verstehen, und den Bedürfnissen der hiesigen Menschen gerecht werden – und nicht ausschließlich  denen der Türkeistämmigen. Wenn die DITIB sagt, sie sei qua Satzung ein deutscher Verband, dann muss sie auch konsequent genug sein und sich von Ankara lösen. Wenn sie eine deutsche Einrichtung ist, dann geht es um die Belange deutscher Muslime und der Muslime, die in Deutschland leben. Das sind nicht nur Türken. Das muss die DITIB verstehen. Sie muss sich von ihrem politischen Kurs abwenden. Ich wünsche mir, dass sie die Kraft dafür findet. Allerdings bekomme ich im Moment keine Signale, dass sie das tun möchte. Die DITIB ist aufgrund ihrer Erfahrung und Vernetzung wichtig, aber wenn sie ihren politischen Kurs nicht verlässt, kann sie kein religiöser Verband mehr sein.

„Die DITIB ist aufgrund ihrer Erfahrung und Vernetzung wichtig, aber wenn sie ihren politischen Kurs nicht verlässt, kann sie kein religiöser Verband mehr sein.“

Der Diyanet-Chef wurde ausgetauscht. Der neue Chef soll ein Hardliner sein, so einige Vorwürfe. Beobachten Sie, dass die Position des türkischen Diyanet-Chefs Auswirkungen auf die DITIB hat?
Wir beobachten, was in Ankara passiert, aber es ist nicht unsere Aufgabe, das zu bewerten. Die türkische Regierung kann natürlich den Diyanet-Chef oder jeden anderen Amtschef jederzeit auswechseln, aber was unsere Position hier betrifft, ist diese unabhängig davon, ob der Amtschef in der Türkei wechselt oder nicht. Man muss, glaube ich, keine Parteipolitik daraus machen,aber es gilt: Wenn sich die DITIB nicht von Ankara abnabelt, dann wird das in der Zukunft mit einer Kooperation schwierig. Wenn sie sich loslösen will und die Landesregierung um Unterstützung bittet, dann werden wir gemeinsam einen Weg finden Wir sind bereit, die DITIB zu unterstützen. Das geht allerdings, wenn wir ehrlich sind, nicht von heute auf morgen, aber wenn sie weiterhin als wichtige Religionsorganisation in Deutschland ernst genommen werden möchte, dann muss dieser Emanzipationsprozess vollzogen werden. Insofern ist es eigentlich egal, wer da bei Diyanet kommt oder geht. Der nächste Vorsitzende könnte auch Liberaler sein. Allein die Positionen, die die Diyanet in den letzten Wochen und Monaten veröffentlicht hat, sind vor allem mit meinem Verständnis als Frau nicht vereinbar. Ich denke da an die Legitimation von Kinderehen oder Vergewaltigungen, wenn das Opfer anschließend geheiratet wird. Diese Punkte sind fernab der Menschenrechte und meines Demokratieverständnisses. Das kann ich auch als Frau nicht akzeptieren.

Minister Stamp hat der DITIB damit gedroht, die Zusammenarbeit aufzukündigen. Würden Sie auch soweit gehen, wie Ihr Minister?
Ja.

„Die DITIB ist und war immer politisch. Das haben alle lange akzeptiert, weil sie an Ankara gebunden ist und Ankara laizistisch ist. (…) wir müssen selbstkritisch sagen, dass wir da viel zu lange zugeschaut haben.“

Aber treibt nicht genau sowas weiter die Isolation der Deutsch-Türken von Deutschland voran?

Es gibt viele, die der DITIB sehr verbunden sind und das gar nicht so politisch sehen. Für uns in der Politik ist das natürlich schon ein Zwiespalt, aber machen wir uns nichts vor: Die DITIB selbst ist und war immer politisch. Das haben alle lange akzeptiert, weil sie an Ankara gebunden ist und Ankara laizistisch ist. Die DITIB war vor langer Zeit noch der beste und verlässlichste Partner von allen, obwohl sie immer politisch war. Aber wir müssen selbstkritisch sagen, dass wir da viel zu lange zugeschaut haben. Das haben wir viel zu lange akzeptiert. Dieser Schritt hätte eigentlich schon vor 20, 25 Jahren passieren müssen, aber irgendwann muss man einfach einen Cut machen. Viele Menschen finden die Kritik an der DITIB nicht gerechtfertigt. Sie denken, eine Kritik an ihr sei Kritik an die Türkei. Dann steht immer schnell der Vorwurf des Vaterlandsverräters – oder in meinem Fall: der Vaterlandsverräterin – im Raum. Das ist nicht einfach, aber ich glaube, vor allem gegenüber der jüngeren Generation müssen wir deutlich machen, dass die DITIB möglichst ein Partner bleiben soll. Aber wir möchten aus der DITIB eben einen deutschen Verband machen. Wir müssen Menschen über ihre Bedürfnisse, die sie hier im Lande haben, erreichen und nicht über Politik in ihrer Heimat oder der Heimat ihrer Eltern. Das ist der falsche Ansatz. Ich glaube, wenn wir jetzt nicht konsequenter sind, als wir es in der Vergangenheit waren, steht am Ende eine große, verlorene Generation von jungen Menschen da, die sich immer der Türkei zugehöriger fühlen wird als der Bundesrepublik Deutschland.

Ist die deutsche Politik an der derzeitigen Situation nicht mitschuldig?
Ja, die deutsche Politik der vergangenen Jahre ist nicht unschuldig. Was die Türkei betrifft, haben wir immer darüber gesprochen, was wir nicht wollen. Sie darf nicht EU-Mitglied werden, wir wollen kein kommunales Wahlrecht für Türkinnen und Türken und auch keinen Doppelpass. Wir haben es versäumt, zu kommunizieren. Schauen Sie sich die Familien-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik an: Da wurden viele Schritte gemacht, von denen vor allem Menschen mit Zuwanderungsgeschichte profitiert haben, aber wir haben den Fokus politisch nie auf diese Dinge gelenkt. Und das ist nicht nur ein Verschulden der konservativen Parteien oder meiner Partei gewesen. Die SPD hat auch kein Standing mehr, vor allem bei den Deutsch-Türken, weil sie vieles versprochen und zu sehr nach dem Mund der Türken geredet hat. Am Ende hat sie aber selten etwas eingehalten. Irgendwann fällt das diesen Menschen natürlich auf.

Aber warum dann die so extrem starke Bindung an die Türkei?
Die Bindung zur Türkei gab es immer schon. Die gibt es bei mir auch. Das kann mir auch keiner wegnehmen, aber dieses starke Zugehörigkeitsgefühl zur türkischen Politik, die gibt es meiner Meinung nach erst seit Erdogan. Weil er der erste Politiker ist, der ein Vakuum gefüllt hat. Die Kemalisten vor ihm haben die Gastarbeiter und deren Nachfahren im Ausland, vor allem in Deutschland, als einfaches Bauernvolk gesehen. Was die Rücküberweisungen betrifft, war dieses Bauernvolk immer sehr willkommen, aber was die Anerkennung und Wertschätzung betrifft, haben die Kemalisten nicht viel von diesen Menschen gehalten. Erdoğan war der Erste, der diese Menschen als „Brüder und Schwestern“ angesprochen hat. Er gab ihnen das Gefühl, dass er persönlich hinter ihnen steht, auch wenn sie im Ausland leben. Also eine große Rhetorik, die zwar nicht den Verstand, aber die Herzen der Menschen eingefangen hat. So konnte er sie emotional an sich binden.

Formun Üstü

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Formun Altı


Cem Özdemir, Sevim Dağdelen: Man hört aus der türkischen Community oft die Kritik, die türkeistämmigen Abgeordneten haben uns alleine gelassen. So beispielsweise bei der Armenien-Resolution. Würden Sie dieser Kritik zustimmen?
Zustimmen weniger, aber ich kenne keinen türkischstämmigen Politiker im Bundestag oder in irgendeinem Landtag, der dieser Kritik nicht ausgesetzt ist. Ich glaube, die Menschen haben die Erwartung in uns gesetzt, dass wir die türkische Stimme im Bundestag werden. Wir haben das allerdings nie so verstanden. Das habe ich auch immer gegenüber Verbänden betont. Wenn wir in ein Parlament einziehen, dann ist keiner von uns Vertreterin oder Vertreter der Muslime oder der türkischen Organisationen. Wir sind vor allem Interessenvertreter des eigenen Wahlkreises, für den wir angetreten sind. Als Abgeordnete habe ich 140.000 Menschen repräsentiert. Das sind nicht nur Muslime oder türkischstämmige Menschen. Dass man versucht, für die Position der Muslime oder der Türkeistämmigen zu werben, ist klar, aber man sitzt nicht dort, um nur deren Interessen zu vertreten. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir den Leuten deutlicher machen müssen.

„Bei Sevim Dağdelen ist es schon sehr offensichtlich, dass sie eine Interessensvertreterin ist“

Es wird ja auch kritisiert, dass bestimmte Politiker Interessenvertretung für einige Gruppen machen. Wie beispielsweise Sevim Dağelden, die oft im Visier der Kritik ist. Das verstärkt ja schon die Isolation.

Bei Sevim Dağdelen ist es schon sehr offensichtlich, dass sie eine Interessensvertreterin ist und weniger den Anschein erweckt, sie repräsentiere ihren Wahlkreis – es sei denn in diesem wird die PKK – anders als von der Bundesregierung – nicht als Terror- sondern als Menschenrechtsorganisation wahrgenommen, wie uns Frau Dagdelen manchmal weiß machen will. Es kann aber sein, dass das in ihrem Fall nicht so ernst genommen wird, weil sie eine Abgeordnete der Linken ist, die das ja als Gesamtpartei nicht anders sehen.

Sie haben vorhin auch erwähnt, dass Erdoğan eine große Rolle spielt. Dieser versucht anhand von bestimmten Gruppen Einfluss auf die hiesigen Deutsch-Türken zu nehmen. Wie wollen Sie mit diesen umgehen? Vor allem mit Vereinen wie der UETD?
Was die UETD betrifft habe ich persönlich die ganz klare Position, dass sie für mich kein Partner sein kann. Das habe ich als Abgeordnete so gesehen, das sehe ich auch als Mitglied der Landesregierung so. Ein Verband, der meint, hier eine Politik von einer Partei verbreiten oder verteidigen zu müssen, die sich auch für die Todesstrafe ausspricht, kann für mich kein Partner sein. Die UETD mag sich noch so oft hinstellen und sagen, sie habe nichts mit der AKP zu tun. Sie ist de facto der verlängerte Arm der AKP. Ich weiß, dass sich viele Türkeistämmige oder viele türkische Bürger in Deutschland der UETD jetzt nicht unbedingt zugehörig fühlen, aber eben Sympathie empfinden. Natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Menschen für Deutschland gewinnen können. Dafür brauchen wir Konzepte, dafür brauchen wir die richtige Ansprache, was die Belange und Bedürfnisse der Menschen betrifft. Wir müssen ein ganzheitliches Konzept fahren, um diese Menschen für uns gewinnen zu können. Aber bei diesem sehe ich die UETD nicht als Partner.

„Die UETD kann kein Partner sein“

Noch vor einem Jahr bezeichneten Sie die gesunkenen Einbürgerungszahlen der Landesregierung als ein „Armutszeugnis für die Integrationspolitik der rot-grünen Landesregierung“ und forderten die „Integrationspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Welche konkreten Schritte können wir da nun von Ihnen und der neuen Landesregierung erwarten?
Intensiver auf die Menschen zugehen, vor allem auf diejenigen, die die Möglichkeit haben, sich einbürgern zu lassen. Das sind gerade in der türkischen Community gar nicht wenige. Dabei brauchen wir auch eine enge Kooperation mit diversen Migrantenselbstorganisationen, wie dem Eltern-Netzwerk in Nordrhein-Westfalen. Dort versucht man auch, junge Menschen einzubürgern, die vielleicht nicht die Möglichkeit auf das Optionsmodell gehabt haben, oder nicht in Deutschland geboren sind. Aber wir müssen auch Menschen der zweiten Generation in den Blick nehmen. Eine gute Schmiede können auch die Talentscouts sein.

Aber mit dem Zugehen und ein paar schönen Sätzen können Sie mich ja nicht überzeugen, meine Staatsbürgerschaft auszutauschen. Haben Sie denn keine konkreten Schritte?
Es gibt viele gute Gründe, deutscher Staatsbürger zu werden. Zum einen, wenn man in diesem Land geboren wurde, aufgewachsen und sozialisiert ist. Zum anderen, weil man damit auch anerkennt, dass man dazu gehört, weil man politische Mitspracherechte hat. 2010 habe ich mich einbürgern lassen. Das war relativ spät. Ich habe Wahlkampf gemacht und konnte bei Landtagswahlen nicht mit entscheiden. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Für mich selbst ist mit der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft meine Bindung zu Deutschland viel stärker geworden. Mir geht es vor allem auch darum, dass ich die Menschen da abhole, wo sie sich bewegen. Ich habe große Hoffnungen, dass nach der Bundestagswahl der Generationenschnitt kommen wird. Das heißt, dass vor allem die erste und zweite Generation, die sich dann einbürgern lässt, ihren alten Pass auch behalten kann. Viele wissen gar nichts mit dem Generationenschnitt anzufangen. Im Rahmen unserer Einbürgerungskampagne können wir darüber informieren.


Viele leben zwar gerne in Deutschland. Aber es gibt auch eine große Gruppe, die irritiert ist von Skandalen wie dem NSU. Sie haben Angst davor, dass sich Deutschland mal wandelt und Menschen mit Migrationsgeschichte unterdrückt. Wie wollen Sie mit diesen Leuten umgehen?
Der NSU-Fall ist ein Schandfleck der jüngeren deutschen Geschichte. Jetzt aber daraus zu schließen, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte hier irgendwann nicht mehr wohlfühlen, finde ich ziemlich weit hergeholt. Was wir schuldig geblieben sind – und das muss ich auch als Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses der letzten Wahlperiode leider einräumen – sind sehr viele Antworten auf die Fragen der Menschen. Ich habe selbst viele Hoffnungen gehabt, als ich in den Ausschuss gegangen bin und musste dann feststellen, dass vieles davon nicht erfüllt wurde. Der Ausschuss hat ziemlich viel in Wallung gebracht, . Wut und Enttäuschung sind gestiegen. Aber machen wir uns nichts vor: Die türkische Community kann sich nicht hinstellen und sagen, dass nur die Polizei Fehler gemacht hätte. Viele aus der Community haben beispielsweise die Keupstraße in Köln gemieden, weil sie sich gefragt haben, wer dahinter steckt. Es war keineswegs so, dass die Community sich sicher war, dass der Terror aus der rechten Ecke kommt. Auch unter ihnen haben viele geglaubt dass der Terror und die Morde aus den eigenen Reihen heraus passiert sind. Und sich jetzt – nachdem alles aufgeklärt ist – hinzustellen und zu sagen, dass man es schon immer wusste, ist ein bisschen zu einfach.

„Der NSU-Fall ist ein Schandfleck der jüngeren deutschen Geschichte. (…)[Aber a]uch Türken haben geglaubt, dass der Terror aus den eigenen Reihen heraus passiert ist. Und sich jetzt – nachdem alles aufgeklärt ist – hinzustellen und zu sagen, dass man es schon immer wusste, ist ein bisschen zu einfach.“ 

Kommen wir zum anonymisierten Bewerbungsverfahren: Warum ist es Ihnen wichtig, das anonymisierte Verfahren abzuschaffen, während viele andere Bundesländer sie gerade einführen?
Wenn sie sich heute auf eine Stelle im öffentlichen Dienst bei den Landesbehörden bewerben, müssen sie sich ganz normal bewerben. Wenn sie sich auf eine Ausbildungsstelle bewerben, können sie sich anonym bewerben. Die SPD tut gerade so, als ob wir das abschaffen wollen. Sie sagt, Menschen mit Migrationsgeschichte haben überhaupt keine Chance, im öffentlichen Dienst anzukommen. Ich habe als Abgeordnete dieses Paradoxon immer kritisiert. Wir können doch nicht auf der einen Seite fordern, mehr Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst einzustellen und auf der anderen Seite diesen Menschen sagen, dass sie erst einmal ihre Migrationsgeschichte verstecken sollen. Da frage ich mich, was das für ein Bild vom öffentlichen Dienst ist? Neulich hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht: 22 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Zuwanderungsgeschichte, das ist der höchste Stand seit 2005. In NRW liegen wir mit knapp 25 Prozent sogar über dem Bundesdurchschnitt. Und da kommen wir als Land und sagen unserer vielfältigen Bevölkerung, sie müsse sich auf den öffentlichen Dienst einstellen. Das Gegenteil ist doch der Fall: Nicht die Menschen mit Migrationsgeschichte müssen sich auf die Behörde einstellen, sondern die Behörden müssen sich auf die Vielfalt in unserer Bevölkerung einstellen. Jeder kann sich so bewerben, wie er ist und wird rein nach den Qualitätskriterien, die von vorne herein festgesetzt sind, ausgesucht. Ich finde, das ist ein fairerer Prozess.


Nach dem Putschversuch in der Türkei mussten viele das Land verlassen. Darunter auch viele Akademiker, die künftig vermutlich ein Teil Deutschlands sein werden. Werden Integrationskonzepte für diese oft gut bis sehr gut ausgebildeten Personen entwickelt?
Wir müssen die Integrationspolitik in den nächsten Jahren als Gesamtkonzept verstehen und nicht gruppenbezogen. Aber ich denke, dass diese Menschen von einer neuen Integrationspolitik profitieren können, wenn wir beispielsweise die Anerkennungsverfahren anders gestalten. Wir haben viele, die einen Antrag auf die Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse stellen, aber bei weitem nicht das Potenzial ausgeschöpft haben. Das hat viele Gründe: zu hohe Kosten, lange Verfahren, keine 1:1-Anerkennung oder keine bindende Möglichkeit auf Nachqualifizierung. Das sind Dinge, die wir unter die Lupe nehmen müssen. Aber als Land können wir nicht alles allein ändern. Unser Anerkennungsgesetz ist an das Bundesanerkennungsgesetz angeknüpft, was auch Sinn macht, damit es keinen Anerkennungstourismus innerhalb der Bundesländer gibt. Es wird Bundesratsinitiativen geben müssen, um das Asylverfahren zu vereinfachen. Das ist etwas, wovon auch Menschen, die als Hochqualifizierte über Asyl ins Land kommen, profitieren werden. Ich denke auch an das Einwanderungsgesetz, das wir als Landesregierung neu denken und anstoßen möchten, so dass hochqualifizierte Menschen künftig über einen anderen Weg nach Deutschland kommen können.

Wie viele Asylanträge aus der Türkei gibt es denn in NRW?
Im Zeitraum von Januar bis Juni 2017 sind es bundesweit knapp 3.000 Asylanträge aus der Türkei, davon 887 in NRW.

Vielen Dank für das Gespräch!