Wahlen in der Türkei Grüne rufen zur Abwahl Erdoğans auf
Die Grünen mischen sich in den türkischen Präsidentschaftswahlkampf ein. Die Parteispitze fordert alle Türken auf, mit ihrer Stimme die Demokratie am Bosporus zu stärken. Das Beschlusspapier liegt dem SPIEGEL vor.
Von Marina Kormbaki
Grünenchefs Nouripour, Lang: »Chance, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren«
Foto: Clemens Bilan / EPA
Die Grünen wollen sich aus den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai nicht heraushalten und rufen offen zur Abwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf. Das geht aus einem Beschluss des Grünen-Bundesvorstands hervor. Das Papier liegt dem SPIEGEL vor.
Darin betont die Parteispitze um die beiden Co-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour: »Mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen besteht nach Jahren der autoritären Führung unter Präsident Erdoğan eine echte Chance, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren.« Die Grünen-Führung appelliert: »Wir bitten alle in Deutschland ansässigen und in der Türkei wahlberechtigten Menschen, an der Wahl am 14. Mai teilzunehmen und sich für den demokratischen Veränderungsprozess einzusetzen.«
Kritik am innenpolitischen Kurs
Die Grünen üben scharfe Kritik am innenpolitischen Kurs der bisherigen türkischen Führung. Alle politischen Gefangenen müssten sofort freigelassen werden, in der kurdischen Frage solle ein Dialog-
und Friedensprozess eingeleitet werden.
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Auch mit der Außenpolitik unter Präsident Erdoğan geht die Partei von Außenministerin Annalena Baerbock hart ins Gericht: »Wir weisen die aggressive Außenpolitik der türkischen Regierung entschieden zurück und fordern sie auf, zu einer multilateralen Außen- und Sicherheitspolitik zurückzukehren«, schreiben die Grünen. Eine Wiederaufnahme der Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei könne es nur geben, »wenn die Türkei eine Kehrtwende zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht«.
Migrantische Milieus sollen erreicht werden
Mit diesem Vorstoß unterstreichen die Grünen ihren Anspruch von einer wertebasierten Außenpolitik, die Menschenrechte und Völkerrecht ins Zentrum stellt. Der Wahlaufruf dürfte jedoch auch innenpolitisch motiviert sein: Seit Jahren diskutiert die Partei, wie sie migrantische Milieus in Deutschland besser erreichen kann. Hier leben rund drei Millionen türkeistämmige Menschen, etwa die Hälfte von ihnen hat einen türkischen Pass.
Sie können noch bis zum 9. Mai ihre Stimme für die Wahl in der Türkei abgeben. Präsident Erdoğan muss nach zwei Jahrzehnten an der Macht um seine Wiederwahl fürchten. Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Erdoğan und seinem Herausforderer, dem Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, voraus. Kılıçdaroğlu tritt als gemeinsamer Kandidat für eine Allianz aus sechs Oppositionsparteien unterschiedlicher Lager an.