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Deutsch, Türkisch, Polnisch: Gute Sprachen, schlechte Sprachen - Kolumne
Bilinguales Leben Gute Sprachen, schlechte Sprachen?
Zweisprachigkeit sollte in einer globalisierten Welt kein Makel sein. Wer aber in Deutschland aufwächst und neben Deutsch noch Türkisch oder Polnisch spricht, muss mit Diskriminierung rechnen.
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
DPA
Dienstag, 27.11.2018 16:46 Uhr
In China sind jetzt angeblich zum ersten Mal genetisch veränderte Menschen geboren worden. Neben allen ethischen Diskussionen, die damit verbunden sind, kann man vermuten, dass einige Leute es gar nicht so schlecht finden würden, wenn Kinder, die in Deutschland mehrsprachig aufwachsen, auch einen kleinen Gen-Schalter eingebaut hätten, der sie veranlasst, bestimmte Sprachen wieder zu verlernen - wenn es die falschen sind. Also alles, was als "ausländisch" gilt und nicht als sexy Expat-Sprache.
Die "Bild"-"Zeitung" hat kürzlich wieder Alarm geschlagen. "Nur eins von 103 Kindern spricht zu Hause Deutsch" hieß es auf der Titelseite. Eine Neuköllner Schulleiterin beschwerte sich: "Wir sind arabisiert!" und: "Wir sind hier an der Front." Direkt mal einen Krieg ausgerufen, warum nicht. Die Schulleiterin beobachtet dann noch aus Gruselgründen, dass viele der Kinder überhaupt nicht erzogen seien. Sie müssten erstmal grundlegende Dinge lernen, schreibt die "Bild", etwa: "Wenn man jemandem begegnet, dann grüßt man." Als wenn es verwunderlich wäre, wenn Kinder einer solchen Schulleiterin nicht Hallo sagen wollen.
Wie die alten Klamotten vom Flohmarkt
Prinzessin Charlotte, das Kind von Kate und William, wurde vor kurzem von britischen Medien angehimmelt, weil sie als Zweijährige bereits angeblich zwei Sprachen sprechen konnte. Gut, dass die Nanny, von der sie die paar Brocken aufgeschnappt hat, Spanisch spricht und nicht Arabisch. Dann hätte Gott aber mal wirklich die Queen saven müssen.
Als Kind dachte ich lange Zeit, bilingual aufzuwachsen heißt, dass man außer Deutsch auch noch Französisch oder Englisch zu Hause spricht und nicht das, was die "Polacken" und "Kanaken" tun. "Bilingual" klang wie etwas Wertvolles, während ich als Kind das Gefühl hatte, dass meine Muttersprache etwas ist, was ich besser loswerden sollte. Wie die alten Klamotten vom Flohmarkt, die man irgendwann durch fancy Adidassachen ersetzen konnte, wenn man lange genug gespart hatte. Polnisch war gleichbedeutend mit arm, gleichbedeutend mit: besser nicht da.
"Türkisch lernt man nicht, türkisch verlernt man", schrieb Kübra Gümüsay mal in einer "taz"-Kolumne. "Was wäre geschehen, wenn man in den Migrantenkindern keine Probleme, sondern Potenzial und Zukunft gesehen hätte?", fragt sie. "Hätte man aufgehört, Misserfolge auf ihre ethnische Herkunft zu reduzieren, die sie weder ausgesucht haben noch ablegen können?"
Die Autorin Emilia Smechowski erzählt in ihrem Buch "Wir Strebermigranten", wie ihre Familie - 1988, im selben Jahr wie meine - nach Deutschland kam. Ihre Eltern versuchten, möglichst schnell deutsch zu werden, was auch hieß, dass es ihnen unangenehm war, wenn ihre Töchter in der U-Bahn polnisch sprachen: "Das Gesicht meines Vaters wurde hart. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte. Meine Mutter schaute sich etwas panisch um. (...) 'Psst!', machte sie nur, und als wir aus der U-Bahn gestiegen waren, hockte sie sich vor uns und sagte: 'Mädchen, ab jetzt gilt eine Regel: In Deutschland sprechen wir Deutsch.' Dieses 'Psst!' sollte zu einem Grundrauschen unserer ersten Monate in Deutschland werden (...). Aus dem ernsten polnischen Kind wurde innerhalb kurzer Zeit ein stummes deutsches."
Polnisch? Eine Zusatzqualifikation
Ich kenne diese Erziehungsidee von meinen Großeltern, die etwas früher als wir nach Deutschland gekommen waren, und wollten, dass meine Geschwister und ich draußen nur Deutsch sprechen. Wobei man als Kleinkind den Unterschied zwischen den Sprachen erst mal kapieren muss. In meiner Familie ist es eine gern erzählte Anekdote, wie wir als Kinder vor den Fernseher gesetzt wurden, um mit der "Sesamstraße" Deutsch zu lernen und ich als Zweijährige immer nur "glosniej!" ("lauter!") rief, weil ich nicht verstand, dass Samson und Tiffy eine Fremdsprache reden.
Der Versuch, Polnisch draußen zu verhindern, führte jedenfalls irgendwann dazu, dass wir Kinder zu Hause die eigenartige Methode entwickelten, auch wenn Polnisch mit uns geredet wurde, auf Deutsch zu antworten, wie perfekte (Süß-)Kartoffeln. Erst als ich 20 Jahre später während des Studiums einen Sommer in Polen auf dem Friedhof arbeitete, fiel mir auf, dass Polnisch zu können kein Makel war, sondern eine Zusatzqualifikation. Es war, um es kurz zu fassen, eine krasse Erkenntnis. Mir stand ein komplettes Land offen, ich konnte dort reden, singen, arbeiten, alles (das einzige, was ich nicht kannte, waren die Wörter für "ficken" und "kiffen", aber das ging dann schnell).
Es ist überhaupt kein Problem, wenn Kinder, die in Deutschland zur Schule gehen, zu Hause nicht Deutsch sprechen. Es ist nur ein Problem, wenn die Bildungseinrichtungen, in die sie gehen, sich nicht darauf einstellen können, dass in Deutschland Menschen verschiedener Herkunft leben. Ich habe Beate Lütke dazu befragt, sie ist Professorin für Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweitsprache, und sagt: "Die Sprachen, mit denen ein Kind aufwächst, sind maßgeblicher Bestandteil seiner familiären, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Identität. Deshalb ist es wichtig, dass diese Sprachen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum - insbesondere im Kindergarten und in der Schule - Wertschätzung erfahren und für das gesamtsprachliche Lernen genutzt werden."
Es ist natürlich kein Zufall, dass die "Bild" sich als Horrorbeispiel eine Schule in Neukölln sucht, einen Bezirk, der in weiten Teilen immer noch von Armut geprägt ist, und zwar zu weiten Teilen von der Armut migrantischer Menschen, die sich nicht immer aussuchen können, wo sie wohnen. Ich kenne Deutsche, die sich fake-umgemeldet haben, um weiterhin in coolen Vierteln wohnen zu können, aber ihre Kinder auf bessere Schulen schicken zu können, wobei "besser" heißt: weniger Arme, weniger Ausländer.
Mehrsprachigkeit ist aber, nicht nur in Berlin, für viele Menschen eine Realität, die man im Bildungssystem fördern könnte, anstatt sie nach rassistischen Kriterien in gut und schlecht einzuteilen. Die Didaktikprofessorin Lütke kritisiert, dass in Schulen die "mehrsprachlichen Ressourcen praktisch kaum genutzt" werden.
Im Gegenteil: "Teils verbergen Kinder in der Schule sogar ihre Herkunftssprachen aus Angst vor Diskriminierung. Und das, obwohl wir wissen, dass Lernende von einer Wertschätzung und Berücksichtigung all ihrer mitgebrachten Sprachen im gesamtsprachlichen Lernen und insbesondere auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung profitieren würden." Und nicht nur die lernenden Kinder würden profitieren.
Man kennt mich ja nicht so, dass ich Männer oft das letzte Wort haben lasse, aber in diesem Fall soll es ein anderer Experte haben, Hans-Jürgen Krumm, emeritierter Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, der aus der Forschung berichtet: "Je wenigersprachig ein Land ist, umso weniger Respekt herrscht in diesem Land vor Minderheiten.