Warum Integration in Schulen schon beim Deutschlernen scheitert

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Schuler gruppe dpa

Flüchtlingskinder besuchen im Saarland schon kurz nach ihrer Ankunft die Schule. Dort sitzen sie im normalen Unterricht und sollen nebenbei, in wenigen Stunden pro Woche, Deutsch lernen. Ein Konzept, das unter den aktuellen Bedingungen so nicht aufgeht, kritisieren Lehrkräfte.  

Ahmad* ist zum ersten Mal im Unterricht von Liana B.* Der 14-Jährige aus Syrien besucht erst seit Kurzem die Gemeinschaftsschule Schule in Saarbrücken. Seit wann genau er in Deutschland ist, weiß die Lehrerin nicht.

Auch sonst weiß sie nichts über ihren neuen Schüler, denn Ahmad spricht weder Deutsch noch Englisch noch sonst eine Sprache, mit der er sich mit der Lehrerin verständigen könnte. Einen Dolmetscher gibt es auch nicht. Weder um mit dem Kind, noch um mit seinen Eltern zu kommunizieren.

Ständig kommen neue Schüler

Das ist Alltag an dieser Schule – wie an vielen anderen im Saarland. Ankommende Flüchtlingskinder und -jugendliche werden schon kurz nach ihrer Ankunft im Saarland auf die Schulen verteilt. Ohne jegliche Vorbereitung ist das wie ein Sprung ins kalte Wasser.

"Es ist ein ständiges Kommen", beschreibt der Schulleiter die Situation. Seit September seien 25 neue Flüchtlingskinder und -jugendliche neu auf seine Schule gekommen. "In manchen Wochen kommen vier auf einmal, in anderen gar keine."

Jedem Kind wird eine Klasse zugewiesen, die seinem vermuteten Alter entspricht. Dort sitzt es dann im ganz normalen Unterricht zwischen den anderen Schülerinnen und Schülern.

Deutsch-Unterricht für Anfänger gekürzt

Gleichzeitig wird jedem Neuzugang eine DAZ-Gruppe zugeteilt. "DAZ" steht für "Deutsch als Zweitsprache". Diesen Unterricht besuchen alle neuen Schüler, die noch kein oder kaum Deutsch sprechen.

In der Regel haben die nicht-deutschsprachigen Schüler dieser Gemeinschaftsschule vier Stunden pro Woche DAZ-Unterricht. "Das ist viel zu wenig." Darin sind sich alle befragten Lehrer der Schule und die Schulleitung einig. Um zügig die deutsche Sprache lernen zu können, müsste es mindestens das Doppelte sein, meint etwa der Schulleiter.

Nach Ansicht des Forschers und Sprachdidaktikers Michael Becker-Mrotzek von der Universität Köln müsste es sogar noch viel mehr sein. "Eine Faustregel ist, dass gerade im ersten Jahr etwa die Hälfte des erteilten Unterrichts Deutsch-Förderung sein sollte. Also bei 28 Wochenstunden sollten 14 Stunden Sprachförderung sein."

Doch statt mehr Deutschunterricht wurden die DAZ-Stunden im Vergleich zum vorherigen Schuljahr an dieser Schule sogar gekürzt. "Insgesamt haben wir in diesem Schuljahr acht Wochenstunden DAZ weniger", so der Schulleiter. Begründet worden sei das seitens des Ministeriums mit dem Lehrermangel im DAZ-Bereich.

Schule hat weniger Sprachförderstunden

Verantwortlich für die Kürzung ist nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auch ein anderer Verteilschlüssel, der seit diesem Schuljahr angewendet wurde. Der habe dazu geführt, dass manche Schulen weniger Sprachförderstunden bekamen.

Zudem: Wieviel DAZ-Unterricht ein Schüler bekommt, ist nicht einheitlich festgelegt. Wie das Bildungsministerium dem SR mitteilte, sollen das die Schulen selbst entscheiden. Es kann also vorkommen, dass Kinder mit dem selben Sprachniveau an der einen Schule nur vier Stunden DAZ pro Woche haben, an einer anderen sechs oder acht Stunden - je nach Kapazität der Schule.

Deutschunterricht endet zu früh

Ein weiterer Kritikpunkt, den Lehrer und Schulleiter anführen: Sobald Schüler das Anfängerniveau überschritten haben, fallen sie aus der DAZ-Förderung raus. Und das, obwohl sie dann erst Grundkenntnisse erworben haben - von fließendem Deutsch in Wort und Schrift sind sie zu dem Zeitpunkt noch weit entfernt.

Auch Sprachforscher Michael Becker-Mrotzek sieht das sehr kritisch: "Nach der ersten intensiven Phase von ein oder zwei Jahren muss die Förderung die nächsten drei bis fünf Jahre systematisch in einem geringerem Umfang weitergehen. Sonst können wir sogar Rückschritte beobachten."

Oft nicht alphabetisiert

Zurück zu Ahmad. Seine DAZ-Lehrerin Liana versucht einzuschätzen, welche Deutschgruppe für ihn geeignet ist. "Oft können wir aufgrund der fehlenden Verständigungsmöglichkeit nur vermuten, ob sie in der Muttersprache alphabetisiert sind", berichtet sie.

"Wenn sie schon Englisch können, ist das natürlich ein großer Vorteil. Dann gehen wir davon aus, dass sie auch die lateinische Schrift kennen."

Aber sehr viele ankommende Kinder hätten große Schwierigkeiten mit dem Schreiben und Lesen, auch in ihrer Muttersprache. Gerade diese Schüler bräuchten eigentlich mehr Unterricht, um überhaupt eine Chance zu haben, den Anschluss an ihre Altersgruppe zu finden.

Hoher Anteil von nicht-deutschsprachigen Kindern

Dass dies nicht immer gelingt, legen auch die Zahlen zum Schulabschluss nahe: Nach Zahlen des Statistischen Landesamts geht jeder sechste ausländische Schüler (16,5 Prozent) im Saarland ohne Abschluss von der Schule.

Die Gemeinschaftsschule von Ahmad und seiner Lehrerin Liana besuchen derzeit Schülerinnen und Schüler aus rund 50 verschiedenen Nationen.

"Der Anteil unserer Schüler, die einen Sprachstand von maximal A2 haben, liegt aktuell bei rund 25 Prozent", erzählt der Schulleiter. Das heißt: Rund ein Viertel der gesamten Schülerschaft spricht entweder gar kein oder nur sehr schlecht Deutsch.

DAZ-Lehrerin bekommt immer nur kurzfristige Verträge

Trotz allen Widrigkeiten macht DAZ-Lehrerin Liana ihre Arbeit große Freude. Seit vielen Jahren unterrichtet sie Deutsch als Zweitsprache. "Es ist mein Traumjob", berichtet sie. Dennoch überlegt sie manchmal in einen anderen Bereich zu wechseln.

Warum? Weil sie trotz ihrer vielen Jahre Berufserfahrung immer noch im Zeitvertrag angestellt ist. Sie habe auch dieses Jahr erst wieder kurz vor den Sommerferien erfahren, dass sie im nächsten Schuljahr wieder einen Vertrag bekommt. Diese ständige Unsicherheit, die fehlende Planbarkeit sei zermürbend meint sie.

GEW: Planungen sind zu kurzfristig

Wie ihr geht es vielen anderen DAZ-Kräften sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Max Hewer. Die Situation der Sprachförderkräfte sei "ein Dauerthema" mit dem sich die Gewerkschaft beschäftigte. Der Fall von Liana, sei typisch.

Momentan gebe es landesweit rund 230 Sprachförderkräfte an den Schulen. Für rund 130 seien inzwischen Planstellen geschaffen worden. Alle anderen bekommen weiter nur kurzfristige Zeitverträge.

Es müsse ein Bewusstsein her, dass die Integration von Flüchtlingen eine Daueraufgabe über viele Jahre sei. "Daueraufgaben, brauchen Dauerstellen", so Hewer. Bisher werde immer noch zu kurzfristig geplant.

Das saarländische Bildungsministerium hat nach eigenen Angaben auf den steigenden Bedarf an DAZ-Kräften reagiert: Ab Februar will man weitere 20 Vollzeitstellen für Sprachförderkräfte schaffen – allerdings ebenfalls erstmal befristet für sechs Monate oder ein Jahr.

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*die Namen wurden auf Wunsch und zum Schutz der Betroffenen geändert.

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