Musik der ersten Gastarbeiter: Endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdient?
İmran Ayata und Bülent Kullukcu wollen die Musik der sogenannten „Gastarbeiter“-Generation wiederbeleben. Vor Kurzem veröffentlichten sie die zweite Ausgabe Ihrer Compilation „Songs of Gastarbeiter“. Warum man sie sich anhören sollte …
Herr Ayata, Herr Kullukcu, in „Songs of Gastarbeiter Vol.2“ geht es diesmal nicht mehr nur um türkische Interpret:innen. Wer steht warum im Fokus?
İmran Ayata: Gute Musik! Tatsächlich ist das unser wichtigstes Kriterium, wenn wir die Vielfalt der Gastarbeiter-Musik präsentieren. Wir arbeiten uns also nicht an der Liste ursprünglicher Gastarbeiter-Länder ab. Dieses Mal sind Bands und Musiker dabei, die aus Griechenland und Spanien nach Deutschland eingewandert sind. Das Verbindende unserer Zusammenstellung ist, dass die Musik in Deutschland aufgenommen und produziert wurde.
„Diese Kultur spielt im Hier und Jetzt“
Die Zusammenstellung beinhaltet auch Songs, die eigens für Ihren Sampler neu aufgenommen wurden. Was steckt dahinter?
Bülent Kullukcu: Wir wollen Musik, die in diesem Land geschaffen wurde, nicht nur dokumentieren, sondern mit den Neuaufnahmen auch herausstellen, dass diese Kultur im Hier und Jetzt ihren Platz hat.
Wie steht es um die „Gastarbeiter“-Musik der zweiten und dritten Generation?
Ayata: Wir konzentrieren uns bewusst auf die Musik der ersten Generation, die in der Mehrheitsgesellschaft mehr oder weniger unbekannt geblieben ist. Die Aufmerksamkeit für die kulturellen Arbeiten der zweiten und dritten Generation ist eine andere. Schauen Sie nur auf den Hip-Hop: Ohne deren Protagonistinnen und Protagonisten mit Einwanderungsgeschichte ist diese Musik nicht vorstellbar.
Migration ein Randthema? „Ein Irrglauben“
Im Beiheft zur Veröffentlichung finden sich keine Übersetzungen der Songtexte. Ist das nicht wichtig für die Rezeption?
Kullukcu: Dass es keine Lyrics gibt, ist Absicht. Wir wollen die Rezeption nicht auf die Songtexte beschränken – dazu gibt es eine Tendenz, die wir nicht bedienen wollen. Uns geht es darum, dass man sich mit dieser Musik beschäftigt und auseinandersetzt. Und wenn es mich wirklich interessiert, worüber gesungen wird, dann gibt es heute Möglichkeiten das herauszufinden, zum Beispiel über Suchmaschinen und digitale Übersetzungshilfen. Einige Texte haben wir übrigens auf unserer Website hochgeladen.
Ihre Compilation präsentiert nicht nur die kulturelle Vielfalt der „Gastarbeiter“, sondern zeigt auch auf, wie sich mit kultureller Praxis Gehör verschafft wurde. Rückt die Migration so als gesellschaftsprägendes Thema langsam in unsere Mitte?
Kullukcu: Es wird Zeit. Unsere Gesellschaft ist sehr stark von Migration konturiert und wird es in der Zukunft noch mehr sein. Es war schon immer ein Irrglauben, dass Migration ein temporäres Randthema sei. Ein Thema, um das sich sogenannte Minderheiten und die Sozialarbeiter- und Multikultindustrie kümmern soll. Nein, Migration ist ein zentrales Thema für alle.
Cover-Versionen mit „Ikonen der deutschen Popmusik“?
Stimmt es, dass es Ihr Traum ist, dass deutsche Bands und Künstler:innen die Songs neu interpretieren? Wenn ja, gibt es schon Spinnoff-Ideen oder Namen, an die Sie denken?
Ayata: Ja, dieses Projekt werden wir auch noch in Angriff nehmen. Dadurch wird unser Anliegen konsequent fortgeschrieben. Erst habt ihr diese Kultur ignoriert und übersehen, jetzt müsst ihr sie nachspielen. Dafür wollen wir Ikonen der deutschen Popmusik gewinnen, natürlich jene, die wir selbst auch interessant und reizvoll finden. Bands der Berliner Schule vielleicht, Pashanim, Blumfeld, Tocotronic und Grönemeyer.
Wie geht es weiter? Dürfen wir uns auf „Songs of Gastarbeiter Vol. 3“ freuen?
Ayata: Wir sind noch lange nicht am Ende. Keine Ahnung, wie viele Alben noch folgen werden. Es werden aber mehr als drei sein, denken wir.
Vielen Dank für das Gespräch!
İmran Ayata und Bülent Kullukcu gaben im Oktober 2013 die Compilation „Songs of Gastarbeiter Vol. 1″ heraus. Gemeinsam wollen sie das Erbe der ersten Generation der „Gastarbeiter“ erhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder.