Stephan Anpalagan: Heimatliebe und Leitkultur: „Wir haben keinen Rechtsruck“

Der Autor Stephan Anpalagan spricht über die Gemeinsamkeiten von Ostdeutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund, Rassismus und seine Liebe zu Deutschland. Er ist unser Gast auf dem taz lab.

                                                          

                                                            Seine Heimat ist das Rheinland: Autor Stephan Anpalagan Foto: Foto: Boris Breuer

taz lab: Herr Anpalagan, Sie haben ein Buch geschrieben, in dem es unter anderem um die Liebe zu Deutschland geht. Lie­ben Sie Deutschland?

Stephan Anpalagan: Ein paar Worte vorweg: Dieses Buch ist kein autobiografisches Buch. Ich schreibe über italienische und türkische Gastarbeiter, über schwarze Fußballspieler und nichtweiße Werbemodels. Nichts von alledem bin ich. Doch egal welche Minderheit man unter die Lupe nimmt, am Ende kommt alles in einem Punkt zusammen: Deutschland und der Umgang der Deutschen mit den vermeintlich Fremden. Das Buch beginnt mit dem Film „Almanya“ über eine türkische Gastarbeiterfamilie und der Frage des Enkels: „Bin ich eigentlich türkisch oder deutsch?“ Beide Familienteile lieben ihre Wurzeln und ihre Heimat. Eine für viele Deutsche ungeahnte Vorstellung. Und was mich selbst betrifft: Egal wo ich im Ausland bin, ich bin immer froh, wieder nach Deutschland zu kommen. Dann habe ich das Gefühl von Heimat. Kurzum: Ich liebe dieses Land. Wobei zur Wahrheit gehört: Ich habe aber auch kein anderes.

Gibt es eine deutsche Leitkultur?

Wenn ich in Deutschland die Leute auf der Straße fragen würde, was die deutsche Kultur ist, dann würden sich die Menschen mit einer Antwort schwertun. Ich höre häufig: Sprache, Geschichte, Dichter und Denker, deutsche Tugenden … Doch Goethe hat sich immer gegen Na­tio­nalismus und für eine universale Literatur eingesetzt, Schiller war Ehrenbürger des Landes Frankreich, des deutschen Erbfeinds. Deutsch spricht man auch in Österreich, die deutsche Geschichte ist auch eine Geschichte von Verlust und Niederlage. Bleibt also die Folklore. Nur, warum sollen Fußball, Winnetou und Wurst Leitkultur sein gegenüber Aubergine und Handball? Selbst die härtesten Verfechter einer Leitkultur haben es in den vergangenen 25 Jahren nicht geschafft, sie konkret auszuführen. Dass diese Debatte allerdings so gerne geführt wird, hat einen einfachen Grund: Bestimmte Teile dieser Gesellschaft möchten keine Muslime in ihrer Mitte. Diese Leute hassen es, wenn sich Zuwanderer ernsthaft integrieren. Dann bleibt ihnen nichts mehr, um auf diese Menschen herabzuschauen. Das ist auch einer der Gründe, warum die vermeintliche Leitkultur immer in der Schwebe bleibt.

Haben wir einen Rechtsruck oder kommt zum Vorschein, was schon immer gedacht wurde?

Wir haben keinen Rechtsruck. Zumindest lässt er sich nicht in der Form beobachten, wie er überall postuliert wird. Das Gefühl, das viele Deutsche aktuell haben, rührt daher, dass der rechte Extremismus für die weiße bürgerliche Mitte sichtbarer wird. In der Vergangenheit gab es allerdings bereits Rostock-Lichtenhagen, Hoyers­werder, Mölln und Solingen. In Ostdeutschland herrschten in den 1990ern die „Baseball­schlägerjahre“ und wurden „Fid­schis geklatscht“. In Westdeutschland haben sich die Neonazis in Nordhessen, in Hamburg, in Dortmund und vielen weiteren Orten festgesetzt. Den Migranten war das immer schon bewusst. Viele andere wollten das allerdings nicht ­sehen.

Heute sitzen die Rechtsextremen aber im Parlament.

In Berlin sprach der Fraktionsvorsitzende der CDU Klaus Landowsky 1997 von Ausländern als „Abschaum, Gesindel und Ratten“. Der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers hat 2000 „Kinder statt Inder“ gefordert. Roland Koch hat mehrfach mit kriminellen Ausländern Wahlkampf gemacht und gewonnen. Ich würde davor warnen, die Gegenwart als besonders schlimm darzustellen. Das wertet ab, welche fundamentalen Erfahrungen von Rassismus betroffene Menschen früher gemacht ­haben.

Diese Rassismuserfahrungen in einem Land, das Sie lieben – verzweifeln Sie da nicht manchmal dran?

Spannend ist: Den Ostdeutschen geht es ähnlich. Aber wenn die sagen, ich liebe mein Land, dann kommt keiner auf die Idee, dieselbe Frage zu stellen. Sinnvoller wäre, wie bei den Ostdeutschen auch zu verstehen, dass es unterschiedliche Ebenen gibt, Brüche in der Biografie und Transformationserfahrungen. Das ist bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und Rassismuserfahrungen kein bisschen anders.

Wenn Sie von Heimat sprechen, meinen Sie damit Deutschland?

Ich bin vor allem Rheinländer, und im Rheinland gibt es eine ziemlich tiefe Verbundenheit der Menschen zu ihrer Region. Das ist es: eine Liebe, die aus einer Vertrautheit erwächst, einem Gefühl der Verbundenheit. Wenn ich mit Menschen mit einer eher linken politischen Haltung spreche, dann tun sich diese oft sehr schwer mit dem Satz, dass man dieses Land lieben kann.

Es wird schnell mit Nationalismus konnotiert.

Ja, aber viele andere Dinge im Leben können auch negativ konnotiert werden: Politische Macht kann beispielsweise zu Machtmissbrauch führen. Trotzdem glaube ich, dass es sinnvoll ist, sich in politischen Zusammenhängen einzusetzen. Zwischen Heimatliebe, Patriotismus, und Nationalismus liegen ein paar Schritte. Und doch sind die Reaktionen, die man erhält, wenn man sagt, ich liebe dieses Land, sehr interessant. Manche stimmen zu, andere gestehen es dir nicht zu. Menschen, die mich wegen meiner Herkunft und wegen meiner Arbeit hassen, behaupten regelmäßig, ich würde Deutschland hassen. Denn wenn jemand dieses Land liebt, dann ist es schwer, ihm zu sagen, dass er eigentlich woanders hingehört. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ich liebe dieses Land.

■ Stephan Anpalagan live auf dem taz-Kongress 2024: 12 Uhr, Pinke Bühne