Cancel Culture auch in der Türkei? TV-Serie „Kızıl Goncalar“ nach nur zwei Folgen gestoppt

 
Eine exemplarische Szene aus der Serie "Kızıl Goncalar", der in der Türkei ein jähes Ende droht. Foto: Fox TV/Screenshot

 

Die türkische TV-Serie „Kızıl Goncalar“ sorgte in den letzten Wochen für heftige Debatten in der Türkei und sogar darüber hinaus. Erst wurden ihr die Drehgenehmigungen widerrufen, nun droht das endgültige Aus.

Wie groß ist der Einfluss religiöser Orden in der türkischen Gesellschaft? Welche Rolle spielen sie in der Politik? Wie ist das Verhältnis zwischen Religiösen und Säkularen? Das und vieles mehr behandelt die Serie „Kızıl Goncalar“, die im Dezember ihre Premiere auf „Fox TV“ feierte. Seit der zweiten Folge ist bis jetzt allerdings keine weitere mehr hinzugekommen. Und da steckt mehr dahinter als der Jahreswechsel, an dem es in der Türkei üblich ist, dass Serien manchmal über zwei Wochen pausieren.

Denn die Serie, in der unter anderem Özcan Deniz eine der Hauptrollen spielt, erregte die Gemüter in der türkischen Öffentlichkeit, in der die Emotionen für gewöhnlich auch schnell überkochen. Vertreter von Orden und religiösen Verbänden echauffierten sich, dass die Macher den Islam und Muslime beleidigt hätten, Säkulare regten sich auf, weil sie angeblich als rein weltlich orientiert und per se religionsfeindlich dargestellt würden. Sogar die renommierte französische Zeitung „Le Monde“ befasste sich mit der Serie, deren Titel mit „Rote Knospen“ übersetzt werden kann.

Dauer- und Reizthema Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft

Le Monde berichtet in einem Artikel mit dem Titel „Der ‚Kızıl Goncalar‘-Krieg in der Türkei“, dass die kontroverse Serie seit Wochen die türkischen Schlagzeilen beherrsche und in der Gesellschaft eine intensive Debatte über Meinungsfreiheit und einen als kontrovers empfundenen moralischen Konflikt zwischen säkularem und religiösem Lebensstil ausgelöst habe. Die Produktion habe laut einigen Experten ein Bewusstsein für den Einfluss von Orden, die nicht selten sektenähnliche Züge annehmen, geschaffen. Sie beleuchte unter anderem das Innenleben und die Probleme, mit denen junge Mädchen und Frauen innerhalb dieser Strukturen konfrontiert sind. Doch nicht nur die Kluft zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten und die auf beiden Seiten vorherrschenden Vorurteile wurden in den ersten beiden Folgen thematisiert; es wurde auch deutlich, dass ein Dialog möglich ist und nicht alle Menschen in jener Schicht gleich denken und handeln.

Nachdem jedenfalls nun regierungsnahe Politiker und Medien die Serie ins Visier genommen haben, wird die Luft für sie immer dünner. Zunächst wurden mehrere Drehgenehmigungen widerrufen, schließlich verhängte die berüchtigte Rundfunk- und Fernsehaufsicht (RTÜK) erst eine hohe Geldstrafe gegen Fox TV und sprach danach einen Sendestopp aus. Am Montag bestätigte ein Gericht die Entscheidung von RTÜK. Somit bleibt die Ausstrahlung der Serie vorerst untersagt. Die Macher wollen jedoch nicht aufgeben und kündigten an, gegen den Sendestopp vorgehen zu wollen. Der Sender erklärte am Dienstag, dass die dritte Folge am 22. Januar ausgestrahlt werde.

Nicht das erste Mal

Schon in den vergangenen Jahren hatte es ähnliche Fälle gegeben, vor allem Konzerte wurden in der Türkei zum wiederholten Male abgesagt. Kritische Stimmen werfen der Regierung vor, durch Regulierungen und Verbote Andersdenkende zu bevormunden und die Rede- und Meinungsfreiheit zu beschneiden.

Um auf die eingangs gestellten Fragen zurückzukommen; religiöse Orden scheinen durchaus einen großen Einfluss in der Türkei zu haben, der so groß ist, dass er dazu taugt, eine kritische, zum Nachdenken anregende TV-Serie zu beenden.