Türkei-Griechenland-Konflikt: Verfeindete Nachbarn
Erdgas, Ägäis, Geflüchtete: Das Verhältnis zwischen den beiden NATO-Partnern Türkei und Griechenland ist seit Jahrzehnten angespannt – nicht nur wegen Erdoğans jüngster Aussagen. Was dahinter steckt.
Keine Entspannung in Sicht: Der Konflikt zwischen den beiden NATO-Partnern Türkei und Griechenland eskaliert weiter. Erst am Freitag kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, sich mit der griechischen Seite erst wieder zu treffen, wenn ein „ehrlicher Politiker“ vor ihm stehe.
Zuvor hatte er bereits erklärt, der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis existiere für ihn nicht mehr. Der setzte sich jüngst deutlich gegen Waffenverkäufe der USA an die Türkei ein, obwohl die Biden-Administration und Ankara bereits die Lieferung moderner F-16-Kampfflieger an die Türkei vereinbart hatten. Und obwohl die Griechen und Türken miteinander vereinbart hatten, keine dritte Partei in ihre Angelegenheiten einzubeziehen.
Politische Brandbomben von beiden Seiten
Konfrontationen sind mittlerweile an der Tagesordnung. Ein Beispiel: Die Türkei provoziert seit Monaten mit Überflügen griechischer Inseln, im Gegenzug kauft Griechenland trotz eines hohen Schuldenbergs neue Kriegsschiffe. Und dass die Türkei in Gebieten, die seerechtlich zu Zypern und Kreta gehören, nach Gas bohren lässt, gießt weiter Öl ins Feuer.
Es ist ein destruktives Duell zweier Staaten, die angesichts der zahlreichen gemeinsamen Herausforderungen eigentlich zusammenarbeiten müssten. Geflüchtete, Tourismus, Europa und die Ägäis-Inseln: Viele Themen treiben die Anrainerstaaten gleichsam um. Doch statt sie gemeinsam zu lösen, fliegen politische Brandbomben von der einen auf die andere Seite und andersherum.
Woher kommt die Feindschaft der Nachbarn?
Aber wie kann es sein, dass zwei Völker, die sich so ähneln, dennoch so tief verfeindet sind? Der Ursprung des Streits zwischen Griechen und Türken liegt Jahrhunderte zurück. Das heutige Griechenland war 400 Jahre Teil des Osmanischen Reiches. Diese Zeit empfinden griechische Nationalisten noch immer als unrechtmäßige Besatzung. Besonders dem Verlust des damaligen Konstantinopels und heutigen Istanbuls trauern viele noch nach. Es war damals das religiöse Zentrum der griechischen Orthodoxie.
Deswegen werden der Befreiungskrieg und die Gründung der ersten Hellenistischen Republik im Jahr 1827 bis heute idealisiert. Als 1919 griechische Truppen in das Gebiet der heutigen Türkei einmarschierten, sah Athen seine Zeit gekommen, um das Byzantinische Reich wieder zu errichten. Doch das Heer Kemal Atatürks schlug sie zurück.
Lausanne-Vertrag – eine historische Ungerechtigkeit?
Nach einem Friedensschluss legte der Vertrag von Lausanne 1923 die bis heute bestehenden Grenzen fest. Griechenland durfte fast alle Ägäis-Inseln behalten – einige, wie Lesbos, in Sichtweite der türkischen Küste. Für Erdoğan ist das eine historische Ungerechtigkeit, die es zu beseitigen gilt.
Bereits 2016 sagte er: „Diese Inseln, die in unserer Rufweite liegen, haben wir im Vertrag von Lausanne weggegeben. Uns wurde das als Verhandlungserfolg verkauft. Dabei gehörten die doch uns! Da stehen noch heute unsere Moscheen!“ Nun droht er mit markigen Worten („Ich spaße nicht“) offen mit Krieg.
Zankapfel: Rohstoffe im östlichen Mittelmeer
Aber auch das hat Tradition: Obwohl beide Länder bereits 1952 der NATO beitraten, musste das Bündnis die Kontrahenten bereits mehrfach von einer direkten militärischen Konfrontation abhalten. Zum Beispiel 1996: Damals hatte die Besetzung einer unbewohnten Felsinsel in der Ägäis durch türkische Soldaten zu großen Verwerfungen geführt. Die griechische Armeeführung hatte ihre Truppen bereits in den Gefechtszustand versetzt, konnte aber von NATO-Offiziellen wieder beruhigt werden.
In jüngster Vergangenheit sind es weniger historische Motive, die den Konflikt befeuern. Denn besonders für Athen ist der Streit mit Ankara auch ein wirtschaftlicher. So ist es vielmehr die Aussicht auf reiche Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer, die die Gemüter zum Kochen bringt.
Gasstreit: Einigung zwischen Türkei und Griechenland in Sicht?
Für Erdoğan ist die Rohstoff-Frage heikel. Er hat sich bereits weit aus dem Fenster gelehnt und Erkundungsschiffe in das Seegebiet geschickt. Die miserable Wirtschaftslage im Land verdammt ihn zu effektiven Gegenmaßnahmen. Da wäre ein etwaiger Rohstoffreichtum eine wahre Kehrtwende.
Griechenland-Streit als Ablenkungsmanöver?
Hinzu kommt: Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2023 gibt es für den türkischen Präsidenten viele heikle Themen zu lösen. Sei es die Lira-Krise, die steigende Inflation, die sich erholende Opposition in Istanbul oder die bewaffneten Konflikte in den Kurdengebieten in Syrien und im Irak: Erdoğan kann aktuell wenig gewinnen. Da kommt der Streit mit Griechenland als Ablenkungsmanöver wie gerufen.
Indes kursieren immer wieder Videos durchs Netz, in dem ganz normale griechische und türkische Bürger Arm in Arm Volkslieder singen. Der Streit zwischen den Staaten, er wird geführt von Nationalisten und politischen Eliten. Die einfachen Leute wollen Frieden. Endlich.