Warum sich die Türkei auch 2024 nicht erholen wird
Langzeit-Präsident Erdoğan führt sein Land mit wirtschaftlichen Fehleinschätzungen, donnernden Tiraden und militärischen Auseinandersetzungen in die Isolation. Hinzu kommen: die Umgehung der Russland-Sanktionen und der Streit um den schwedischen Nato-Beitritt. Das hat Auswirkungen für die ökonomischen Aussichten der Türkei 2024 – und darüber hinaus.
Für viele Menschen in der Türkei startet das neue Jahr mit einem Dämpfer. Sieben Millionen Arbeitnehmende leben im Land vom Mindestlohn. Der wird zwar vom 1. Januar um 49 Prozent erhöht. Das entspricht genau 519,20 Euro. Weil die Inflation im Land immer neue Höhen erreicht – 62 Prozent waren es im November –, gibt das vielen Menschen aber wenig Anlass zur Freude.
Im Gegenteil: Viele Preise für Grundlebensmittel haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt. Das treibt viele Türkinnen und Türken in die Armut. So berechnete die türkischen Metallarbeitergewerkschaft Bisam, dass die Armutsgrenze für eine Familie mit zwei Kindern bei umgerechnet 1343 Euro liege. Auch wenn also beide Erwachsene voll arbeiten, landen sie mit dem neuen Mindestlohn deutlich darunter – und in der Armut.
Prognosen sehen wenig Aufbruchstimmung
In Ankara ist das Problem bekannt. Lange wurde es dennoch ignoriert – besonders von den wirtschaftspolitischen Entscheidungstragenden, die ohnehin von Langzeit-Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der kurzen Leine gehalten wurden. Erst seit Juni, kurz nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, kam es zumindest geldpolitisch zu einem Wandel.
Mithilfe einer radikalen Zinswende versuchte die neue, international renommierte Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan das Land wieder in die Spur zu hieven. Doch das Manöver misslang. Denn wie beständig dieser Sinneswandel ist, bleibt abzuwarten. Und trotz intensiven Werbens sorgten die Maßnahmen nicht für wachsendes Vertrauen an den internationalen Märkten.
Vertrauen der Investoren erschüttert
Depression statt Aufbruch: Denn auch die Prognosen sehen düster aus. Das Wirtschaftswachstum könnte sich laut Internationalem Währungsfonds 2024 als Folge der strafferen Geldpolitik auf 3 Prozent abschwächen. Grund dafür ist wieder einmal der mächtigste Mann im Staate: Erdoğan. Seine Niedrigzinspolitik, die kurzfristig die Exporte und den Konsum anregen sollte und die er trotz aller Einwände durchzog, haben das Vertrauen der Investoren zerstört.
Das befeuerte die Inflation und den Abwertungsdruck auf die türkische Lira, die in der Folge staatlich gestützt werden musste. Dass die Nettoreserven der Zentralbank stetig sinken und die Auslandsverschuldung steigt, passt ins Bild. So wird die Türkei auch 2024 stark von ausländischen Finanzhilfen abhängig sein. Hausgemachte Probleme, die auch eine hohe Arbeitslosigkeit nach sich ziehen.
Erdoğan treibt die Türkei in die Isolation
Geopolitische Spannungen tun ihr Übriges um die Türkei weiter zu isolieren. Mit völkerrechtswidrigen Kriege in Syrien und im Nordirak stellt sich Erdoğan selbst ins Abseits. Mit den donnerden Tiraden Richtung Israel und den Kriegsdrohungen gen Griechenland setzte er 2023 voll auf Konfrontation – von seinem gestörten Verhältnis zur EU ganz zu schweigen. Seine Blockadehaltung gegen die Nato-Aufnahme Schwedens strapaziert das komplette Bündnis.
Seine ständig neuen Forderungen, die ökonomischen Fehleinschätzungen, das Ignorieren der westlichen Sanktionen gegen Russland, die gelenkte Justiz im Land, die fehlende Meinungs- und Pressefreiheit und zehntausende inhaftierte Regierungskritiker zeichnen das Bild eines unberechenbaren Despoten. Mit dieser Politik treibt der türkische Präsident sein Land in die Isolation. Da ist die Erhöhung des Mindestlohns nur ein Tropfen auf den heißen Stein.