Würde ein gewaltiger PR-Sieg der AfD sein“
Marco Buschmann (FDP) warnt vor Risiken eines AfD-Verbotsverfahrens: Der Partei müsse „beweisfest“ nachgewiesen werden, dass sie die demokratische Grundordnung abschaffen wolle – sonst drohe ein „gewaltiger PR-Sieg“ der AfD. Der Justizminister sagt, wo in der Ampel „liberale Handschrift“ wirke.
WELT AM SONNTAG: Herr Buschmann, eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder hat sich für die Fortsetzung der Regierungsbeteiligung in der Ampel ausgesprochen. Wird jetzt weiter – frei nach Christian Lindner – lieber schlecht als gar nicht regiert?
Marco Buschmann: Ihre journalistische Zuspitzung in allen Ehren, aber wir erreichen in der Bundesregierung Ergebnisse, die besser sind als ihr Ruf - gerade in Bereichen, die der FDP wichtig sind: Wir senken die Schuldenquote und zugleich die steuerlichen Belastungen, wir digitalisieren die Justiz und bekämpfen die Bürokratie. Wie die Gesamtheit der Bürger erwarten die FDP-Mitglieder, dass 2024 ein Jahr der wirtschaftlichen Erneuerung und Stärkung des Landes wird. Das sehe ich als Auftrag, gerade für uns FDP-Minister. Ich als Justizminister werde dazu beitragen unter anderem mit meinen Initiativen zum Bürokratieabbau.
WELT AM SONNTAG: Sie haben das Votum als „Auftrag“ bezeichnet. Mit welchem Inhalt?
Buschmann: Alles, was in diesem Land verteilt werden soll, muss erst einmal erwirtschaftet werden. Es ist daher eine drängende Aufgabe, den Konjunkturmotor wieder zum Laufen zu bringen. Wir brauchen wirtschaftliche Stärke und Zuversicht. Zum anderen treibt viele Menschen der Wunsch um, endlich mehr Ordnung bei der irregulären Migration herzustellen. Wir sind dabei, genau dies zu tun. Endlich ist eine politische Einigung bei der Reform des europäischen Asylrechts erreicht worden. Die Regierung Merkel hatte über Jahre ergebnislos überlegt, ob sie eine solche Reform gut oder schlecht finden soll – jetzt kommt sie.
Darüber hinaus haben wir Ende des letzten Jahres ein robustes Paket geschnürt, um Abschiebungen zu verbessern, damit diejenigen, die sich zu Unrecht bei uns aufhalten, schneller wieder zurückgeführt werden können. Wir haben uns außerdem darauf verständigt, dass finanzielle Leistungen an Asylbewerber reduziert werden. Überdies haben wir den deutschen Grenzschutz verbessert. Seit Mitte Oktober weisen wir tausende irreguläre Migranten an den deutschen Grenzen zurück, während die Regierung Merkel noch davon ausging, dass man deutsche Grenzen nicht schützen könne. Unser Auftrag ist also kurz gesagt: Am Ende des Jahres muss das Land wirtschaftlich stärker sein – und bei der Migration mehr Recht und Ordnung herrschen.
WELT AM SONNTAG: Eine deutlichere liberale Handschrift soll es künftig geben. Das Versprechen ist nicht neu. Wie lässt es sich als kleinster Partner dieser Koalition erfüllen?
Buschmann: Beharrlichkeit zahlt sich aus. Wir haben von Angela Merkel ein Land übernommen, das sich, wenn man hier Helmut Kohl heranzieht, regelrecht im Sozialismus befand. Von ihm stammt ja bekanntlich der Satz, dass der Sozialismus bei 50 Prozent beginne - und die Staatsquote lag 2021 bei über 51 Prozent. Wir haben sie deutlich gesenkt. Genau wie die Verschuldungsquote – von 69 auf rund 64 Prozent am Bruttoinlandsprodukt.
Außerdem haben wir das Jahr 2024 mit einer Steuerentlastung für viele Millionen Menschen in Milliardenhöhe begonnen: Wir haben Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag erhöht und den Einkommenssteuertarif an die Inflation angepasst. Also: weniger Verschuldung, weniger Staatsquote und in Summe weniger Steuern für die Bürger. Das ist die liberale Handschrift – und all das hätte es ohne die FDP in der Regierung nicht gegeben.
WELT AM SONNTAG: Die Bundesregierung lässt die CO₂-Abgabe früher steigen als geplant. Damit belastet sie die Bürger und entlastet sie nicht.
Buschmann: Das ist nicht ganz richtig. Denn die Erhöhung des CO2-Preises in dieser Größenordnung bereits von der Vorgängerregierung beschlossen. Wir hatten gehofft, hier eine Entlastung zu ermöglichen. Das lässt sich nun leider nicht mehr darstellen. Noch wichtiger aber ist der Netto-Effekt, der für das Portemonnaie der Menschen entscheidend ist: Wenn wir Belastungen und Entlastungen zusammenrechnen, dann ergibt sich für viele Familien mit Kindern eine Nettoentlastung in Höhe von mehreren hundert Euro. Unterm Strich treten zum Jahreswechsel also für viele Menschen Entlastungen in Kraft.
WELT AM SONNTAG: Derzeit diskutiert ein Teil der Politik, die Schuldenbremse wegen der Hochwasserlage auszusetzen. Was halten Sie davon?
Buschmann: Viele Menschen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bangen gerade noch darum, ob die Deiche halten. Wir können noch gar nicht absehen, wie hoch der Schaden am Ende sein wird. Es scheint mir dem Ernst der Lage nicht angemessen, dass manche sie nutzen, um für ihre politischen Evergreens zu werben. Das hilft niemandem und ist auch verfassungsrechtlich nicht seriös. Erste Priorität muss sein, Schäden zu verhindern und den Betroffenen das Signal zu geben, dass man sie nicht alleine lässt. Dieses Signal hat der Bundeskanzler mit seinen Besuchen vor Ort gesendet.
WELT AM SONNTAG: Und wie steht es mit der Hilfe zur Folgenbeseitigung der Ahrtal-Katastrophe?
Buschmann: Ob deswegen eine Aussetzung der Schuldenbremse gerechtfertigt wäre, wird derzeit in der Bundesregierung geprüft - so wie wir es vereinbart haben. In Anbetracht der finanziellen Größenordnung, um die es geht, darf ich aber sagen: Ich bin skeptisch, ob die Ahrtal-Hilfe eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Die Vorgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, sind streng. Wir dürfen hier keine rechtlichen Risiken eingehen.
WELT AM SONNTAG: Wir haben über die liberale Handschrift in der Regierung gesprochen, aber noch nicht über die des Justizministers. Wo zeigen Sie in diesem Jahr Ihre?
Buschmann: Wir werden 2024 bei der Digitalisierung der Justiz, der Modernisierung unseres Rechts und beim Bürokratieabbau weitere wichtige Fortschritte sehen. Das sind Herzensanliegen für mich als liberalem Justizminister. Wir werden etwa das Familienrecht modernisieren. Insbesondere das Unterhaltsrecht entspricht seit vielen Jahren nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Getrennte Eltern betreuten ihre Kinder heute oft gemeinschaftlich. Das spiegelt sich bei der Verteilung der Unterhaltslasten gegenwärtig nicht wider. Da gilt immer noch: „Einer betreut, einer zahlt.“ Das ist unfair und das wollen wir ändern.
Modernisieren will ich außerdem das Strafrecht. Hier geht es um die letzten Reste nationalsozialistischen Gedankenguts, aber auch um das Totholz: also um Normen, die keinen Sinn mehr machen, etwa den Scheckkartenbetrug. Er steht noch immer Strafrecht, obwohl es gar keine Scheckkarten im Sinne dieses Gesetzes mehr gibt.
WELT AM SONNTAG: Die Diskussion um das Bürgergeld ebbt nicht ab. Sehen Sie noch Änderungsbedarf beim Bürgergeld?
Buschmann: Es muss für Erwerbslose starke Anreize geben, eine Arbeit aufzunehmen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit und in Zeiten des Arbeitskräftemangels auch der wirtschaftlichen Vernunft. Deswegen haben wir beim Bürgergeld viel Wert auf die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen gelegt. Deswegen wollen wir als Bundesregierung auch sogenannten Totalverweigerern die Bezüge aus dem Bürgergeld streichen.
Im Übrigen müssen wir die praktischen Erfahrungen mit dem Bürgergeld auswerten. Wenn wir sehen, dass die Anreize nicht gut genug wirken, dann werden wir uns noch einmal darüber beugen müssen. Der Sozialstaat darf nicht nur alimentieren, er muss aktivieren.
WELT AM SONNTAG: Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und der mühsamen Einigung der Regierungsspitzen auf den Etat für 2024 geht es nun an die parlamentarische Umsetzung. Wo sehen Sie noch Anpassungsbedarf?
Buschmann: Nach dem weitreichenden Urteil des Verfassungsgerichts war es ein Kraftakt, in der Kürze der Zeit den Haushalt 2023 zu reparieren und den für 2024 neu aufzustellen. Das Bundesministerium der Justiz hat den mit Abstand kleinsten Etat aller Bundesministerien. Deshalb gibt es bei uns von vorneherein wenig Einsparpotential. Die Haushaltsgespräche führt ansonsten ja auch der Finanz- und nicht der Justizminister. Aber das Grundprinzip ist klar: Es wird nun mehr gespart, Subventionen werden gestrichen, neue Prioritäten gesetzt – wir haben das Urteil also als Chance begriffen.
WELT AM SONNTAG: Wird die Schuldenbremse auf Dauer einzuhalten sein?
Buschmann: Das ist der Auftrag, den uns das Grundgesetz gibt. Hinter der Idee der Schuldenbremse steht: Die Politik muss lernen, mit dem Geld auszukommen, das ihr zur Verfügung steht. Sie kann nicht beliebig finanzielle Lasten in die Zukunft verschieben, um sie künftigen Generationen aufzubürden. Es geht also nicht um Knauserigkeit oder Geiz. Es geht um Generationengerechtigkeit.
Zudem führt nur solide Haushaltsführung dazu, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten der Herausforderungen wie in der Energie-, der Corona- oder die Eurokrise handlungsfähig bleiben. Nur mit einem kontrollierten Schuldenstand, kann sich der Staat in einer akuten Krisensituation am Kapital kurzfristig viel Geld zu vertretbaren Konditionen leihen. Deshalb ist die Schuldenbremse kein Ausdruck von Engstirnigkeit, sondern von nachhaltiger Risikovorsorge.
WELT AM SONNTAG: Wird diese Koalition bis zum Ende halten?
Buschmann: Ja.
WELT AM SONNTAG: Aus der SPD kommt die Forderung nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD. Wie stehen Sie dazu?
Buschmann: Unser demokratisches Gemeinwesen darf nie in die Hände von Rechtsextremen fallen. Um das sicherzustellen, müssen wir die AfD im demokratischen Wettbewerb schlagen. Ein Verbotsverfahren wäre aus meiner Sicht mit großen Risiken verbunden. Würde ein solches Verfahren vor dem Verfassungsgericht scheitern, wäre dies ein gewaltiger PR-Sieg für die Partei. Die Hürden für ein Parteiverbot hat das Bundesverfassungsgericht sehr hoch gesetzt.
Zwar ist die AfD in weiten Teilen gesichert rechtsextrem, so haben es verschiedene Landesverfassungsschutzämter festgestellt. Nach den bisherigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts muss darüber hinaus aber eine aggressiv kämpferische Haltung dieser Partei beweisfest nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass das Bestreben dieser Partei muss klar sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung zumindest spürbar zu gefährden.
Zudem muss es konkrete Anhaltspunkte dafür geben, dass eine tatsächliche Umsetzung möglich erscheint. Wenn sich nicht beweisen lässt, dass von der AfD die reale Gefahr ausgeht, dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen oder zumindest beeinträchtigen könnte, würde das Verbotsverfahren scheitern.
WELT AM SONNTAG: Eine finanzielle wie militärische Unbekannte ergibt sich aus dem Ukraine-Krieg. Kann es einen Vorratsbeschluss des Parlaments geben, wie es der Kanzler will, falls die Ukraine mehr Unterstützung braucht?
Buschmann: Es gibt keine Aussetzung der Schuldenbremse auf Vorrat - und das hat der Bundeskanzler auch nicht gefordert. Der Bundeskanzler hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Fall einer neuen Lage auch neu entscheiden müssen. Das ist eine reine Selbstverständlichkeit. Wir werden die Ukraine weiter unterstützen, weil sie das Opfer eines brutalen Angriffskriegs ist und ihr Erfolg bei der Landesverteidigung auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse ist.
WELT AM SONNTAG: In der Ukraine wird derzeit diskutiert, wie die Armee mehr Soldaten gewinnen kann. Das Militär will 450.000 bis 500.000 Mann zusätzlich mobilisieren. Das Verteidigungsministerium hat an die vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer im Ausland appelliert, zurückzukehren und ihre Heimat zu verteidigen. Wird die Bundesregierung das unterstützen?
Buschmann: Ich verstehe den Impuls der ukrainischen Regierung, die wehrpflichtigen ukrainischen Männer im Ausland zum Militärdienst zurückzurufen. Der Aufruf ist legitim. Wir werden aber niemanden in Deutschland zum Waffendienst im Ausland zwingen können.
WELT AM SONNTAG: Mittelbar mit dem Ukraine hängt die Debatte zusammen, ob die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt werden sollte. Was halten Sie von diesem Gedanken?
Buschmann: Ich bin sehr skeptisch gegenüber einer Reaktivierung der Wehrpflicht - aus verfassungsrechtlichen, aber auch aus anderen Gründen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich ein Gleichheitsproblem. Niemand geht zurzeit davon aus, dass alle wehrdiensttauglichen Männer eines Jahrgangs rekrutiert würden. Im Verteidigungsministerium denkt man offenbar über eine modifizierte Wehrpflicht nach: Alle Männer werden gemustert und dann schaut man, wen man tatsächlich einberuft. Zur Wahrung der staatsbürgerlichen Gleichheit und Wehrgerechtigkeit ist jedoch entscheidend, dass Einberufungen nicht willkürlich vorgenommen werden. Verfassungsrechtlich ist das also alles nicht trivial.
Ich bin auch noch aus einem anderen Grund gegen die Wehrpflicht: Würden wir sie erneut etablieren und der Wehrgerechtigkeit wegen Hunderttausende junger Männer einberufen, dann würden wir sie dem Arbeitsmarkt entziehen. Der Mangel an Arbeitskräften ist jetzt schon ein die Wirtschaft hemmender Faktor. Das würde uns also ökonomisch schwächen. Und letztlich habe ich als Liberaler auch ein massives Störgefühl, wenn der Staat so massiv in das Leben junger Menschen eingreift. Auch deshalb lehne ich die Reaktivierung der Wehrpflicht in der aktuellen Sicherheitslage ab.