Atmosphäre passt mir nicht“: Asylbewerber lehnt Pflicht-Job im Krankenhaus ab
Artikel von Göran Schattaue/Focus
Ein Migrant sitzt auf einer Bank im Asylbewerberheim Eisenhüttenstadt © dpa
Die Arbeitspflicht für Asylbewerber in Deutschland war von Anfang an umstritten. Während viele Landkreise die gemeinnützigen Tätigkeiten als sinnvoll und notwendig verteidigten, hielten Kritiker dagegen. Sie monierten, die staatlichen Maßnahmen seien aufwendig, teuer und im Zweifel kontraproduktiv. Die Organisation Pro Asyl verurteilte sie sogar als „rassistisch und menschenverachtend“.
Ein Beispiel aus Thüringen zeigt nun, mit welchen Argumenten und Mitteln sich manche Asylbewerber gegen verpflichtende Arbeit wehren. FOCUS online schildert den Fall von Hamid S.* anhand von Gerichtsunterlagen, die der Redaktion vorliegen. Die Inhalte wirken zum Teil befremdlich.
FOCUS online liegt Gerichtsbeschluss zu Job-Streit mit Asylbewerber vor
Hamid S. ist iranischer Staatsbürger, der unbedingt in Deutschland leben will. Der 1975 geborene, alleinstehende Mann kam im Sommer 2024 nach Thüringen und stellte einen Antrag auf Asyl. Seitdem lebt er in einer Gemeinschaftsunterkunft in Greiz (20.000 Einwohner), Kreisstadt des Landkreises Greiz.
Er verfügt über eine sogenannte Aufenthaltsgestattung. Das bedeutet: Solange sein Asylverfahren läuft, darf er rechtmäßig in Deutschland bleiben – und wird vom Staat versorgt.
Ab Mitte August 2024 erhielt der Iraner, der in den Verantwortungsbereich des Landratsamts Greiz fällt, Leistungen für Asylbewerber. Aktuell sind das jeden Monat 245 Euro für Verpflegung, Bekleidung und Gesundheitspflege sowie 196 Euro für persönliche Bedürfnisse.
Die Zuwendungen nahm der Migrant gerne entgegen. Doch als das Landratsamt etwas von ihm wollte, stellte er sich quer – und zog vor Gericht.
Ja zu Leistungen – Nein zu Arbeitsanweisung
Konkret ging es um einen Bescheid, mit dem der Asylbewerber zu einer verpflichtenden Arbeit (Aufwandsentschädigung 80 Cent je Stunde) herangezogen werden sollte. Die Arbeitspflicht ist, ebenso wie die finanzielle Unterstützung für Betroffene, im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt.
Nach Informationen von FOCUS online sollte sich Hamid S. ab 18. November 2024 im Kreiskrankenhaus Greiz nützlich machen, maximal 25 Stunden pro Woche. Umschrieben war die Aufgabe mit „Hilfs- und Unterstützungsarbeiten in verschiedenen Bereichen des Krankenhauses“. Das Landratsamt ordnete die sofortige Vollziehung der Maßnahme an.
Der Iraner zeigte sich jedoch wenig begeistert von der Chance, seine Fähigkeiten auf diese Art unter Beweis zu stellen und sich schnell zu integrieren. Stattdessen legte Hamid S. Widerspruch ein und stellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Altenburg. Damit wollte er die sofortige Vollziehung der Arbeitsmaßnahme verhindern.
Fall spielt im thüringischen Landkreis Greiz
Vertreten durch einen auf Sozialrecht spezialisierten Rechtsanwalt aus Niedersachsen monierte der Iraner mehrere Punkte. So erklärte er, der Bescheid regele die wöchentliche Arbeitszeit nicht genau. Außerdem sei fraglich, ob sich die ihm zugedachte Arbeit wirklich von einem regulären Beschäftigungsverhältnis unterscheide. Zum Dienst im Krankenhaus erschien er nicht.
Daraufhin wies das Landratsamt den Mann in einem neuen Bescheid an, maximal 17 Stunden wöchentlich im „IT/EDV-Bereich“ des Kreiskrankenhauses zu arbeiten. Seine Aufgaben: unterstützende Mitarbeit bei der Programmierung des neuen Intranets, der Neuerarbeitung des Mitarbeiterportals sowie die Entwicklung eines internen Wiki-Programms.
Damit ging die Behörde auf die Ausbildung und bisherige berufliche Tätigkeit des Asylbewerbers ein. Er hatte in seiner Heimat als Programmierer gearbeitet und spricht gut Englisch. Die konkreten Arbeitszeiten im Krankenhaus waren extra so gelegt worden, dass er zusätzlich an einem Integrationskurs teilnehmen konnte. Er hatte noch genügend Zeit für Pausen und den Weg zum Job.
Amt geht auf Situation des Iraners ein - vergeblich
Das Landratsamt hielt es für absolut sinnvoll, dass der Asylsuchende schnell eine verpflichtende Arbeit aufnimmt. So könne er sich besser integrieren und „einen Beitrag für die Gesellschaft leisten“, heißt es in den Akten. Außerdem sei er besser vorbereitet, wenn er später einen dauerhaften Job auf dem regulären Arbeitsmarkt sucht.
Doch auch gegen diesen Bescheid setzte sich Hamid S. zur Wehr.
Laut einem Vermerk vom 31. Januar 2025 äußerte der Iraner gegenüber der Sozialbetreuung, dass ihm „die Atmosphäre im Krankenhaus Greiz nicht passe“ und er deshalb dort nicht arbeiten möchte. Sein Anwalt argumentierte, durch den Einsatz des Asylbewerbers würde die Arbeit eines regulären Mitarbeiters im IT-Bereich ersetzt. Dies entspreche nicht dem gesetzlichen Willen.
Das Landratsamt Greiz wies diese Darstellung zurück – und bekam nun recht.
Die 21. Kammer des Sozialgerichts Altenburg beschloss – wie jetzt erst bekannt wurde – bereits am 2. April 2025 ohne mündliche Verhandlung, dass der Antrag des Iraners auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wird. Ebenfalls abgeschmettert wurde der Antrag des Asylbewerbers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Hamid S. hat Rechtsstreit in erster Instanz verloren
Damit hat Hamid S. den Rechtsstreit in erster Instanz verloren. Das Verfahren läuft jedoch weiter, da der Anwalt des Zuwanderers in Berufung gegangen ist. Jetzt ist das Thüringer Landessozialgericht in Erfurt am Zug. Praktische Auswirkungen hat die Entscheidung ohnehin nicht mehr, denn der Migrant geht mittlerweile einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit in Gera nach.
Dennoch entfaltet der Beschluss (Aktenzeichen S 21 AY 114/25 ER) eine Signalwirkung. Das Sozialgericht Altenburg äußerte sich nämlich auch zu grundsätzlichen Fragen.
So befand die Kammer, dass die „sofortige Vollziehung“ einer Job-Maßnahme für Asylbewerber im öffentlichen Interesse sei. Solche Maßnahmen seien nämlich nur dann sinnvoll, „wenn die Arbeitsgelegenheiten so früh wie möglich begonnen und durchgeführt werden und nicht erst mit einer bei einem Widerspruchsverfahren ggf. monatelangen Verzögerung“, so das Gericht.
Aus Sicht der Kammer steht fest, dass die Mitarbeit eines Asylbewerbers im kommunalen Krankenhaus „der Allgemeinheit“ dient und damit gemeinnützig ist: „Der Allgemeinheit dienen Arbeitsergebnisse von Arbeiten, die wettbewerbsneutral sind, nicht überwiegend erwerbswirtschaftlichen Interessen (Gewinnerzielung) oder den Interessen eines begrenzten Personenkreises dienen.“
Sozialgericht Altenburg: Job-Maßnahme war rechtens
Weiter heißt es in dem Beschluss: „Als gemeinnützig sind Arbeiten anzusehen, die unmittelbar den Interessen der Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet dienen.“ Zu den denkbaren Betätigungsfeldern zählten etwa
- die Förderung von Landschafts- und Denkmalschutz,
- Kunst und Kultur,
- Wissenschaft, Bildung und Erziehung,
- Altenpflege,
- Religion, Sport und Entwicklungshilfe sowie
- das öffentliche Gesundheitswesen einschließlich Pflege.
Im konkreten Fall sah das Gericht „keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zuweisungsbescheids“. Die Job-Anweisung durch das Landratsamt sei sowohl „formell als auch materiell“ nicht zu beanstanden. Eine „Unzumutbarkeit“ für den Iraner konnte das Gericht nicht erkennen.
CDU-Landrat: "Durchsetzung der Arbeitspflicht bewährt sich"
Der Greizer Landrat Ulli Schäfer (CDU) sieht sich durch die Entscheidung in seinem Kurs bestätigt. „Die Durchsetzung der Arbeitspflicht bewährt sich. Viele Asylbewerber sehen die Arbeit als eine Chance für sich. Gleichzeitig greifen wir konsequent bei denen durch, die sich einer Arbeitspflicht verweigern. Die klare Linie, die wir seit acht Monaten verfolgen, zeigt in jeglicher Hinsicht Wirkung.“
Laut Schäfer haben mittlerweile drei Asylbewerber, die einen Pflicht-Job verweigerten, den Landkreis Greiz verlassen. Fünf Migranten haben ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei den Trägern erhalten, die Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber bereitstellen.
Der Rechtsanwalt von Hamid S. hat auf eine Anfrage von FOCUS online nicht reagiert.
*Name von der Redaktion aus Schutzgründen geändert