Asyl für alle Afghaninnen? CDU nennt EuGH „Totengräber des individuellen Asylanspruchs“

                                                                                  Artikel von Maximilian Beer / BZ
                                                               hgtrfe.jpg
                                                                  Eine Frau läuft in Kabul an einem bewaffneten Talibankämpfer vorbei.  © Ebrahim Noroozi/AP
 

Der Anlass für die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) waren Klagen zweier Afghaninnen in Österreich. Doch der Beschluss dürfte Folgen für die Asylpraxis in der EU und somit auch für Verfahren in Deutschland haben. Am vergangenen Freitag entschied der EuGH: Der Umgang der in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban mit Frauen ist als Verfolgung einzustufen. Dies könne eine Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen.

Bedeutet also: Im Einzelfall wären dann nicht mehr die persönlichen Umstände einer Antragsstellerin relevant, sondern lediglich Geschlecht und Staatsangehörigkeit. Mehr müsste bei der individuellen Prüfung eines Asylantrags nicht mehr berücksichtigt werden.

Zwangsverheiratung und der fehlende Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt seien schon für sich genommen als Verfolgung einzustufen, begründete der EuGH seinen Entschluss. Eine Zwangsverheiratung sei gleichzustellen mit Sklaverei. Auch die Pflicht, sich vollständig zu verhüllen, sowie die Einschränkung des Zugangs zu Bildung, Beruf und ärztlicher Versorgung und der Ausschluss vom politischen Leben seien zusammengenommen Verfolgung. Afghanischen Frauen würden die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten.

Bei der Prüfung des Asylantrags einer afghanischen Frau müsse nicht festgestellt werden, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen zu erleiden droht, erklärte der EuGH. Laut US-Regierungsangaben leben in Afghanistan rund 40 Millionen Menschen. Darunter seien 20 Millionen Frauen und Mädchen.

Für Asylverfahren ist in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Die Behörde entscheidet auch, wer als Flüchtling anerkannt wird oder subsidiären Schutz erhält. Da EU-Recht das nationale Asylrecht weitgehend bestimmt, liegt es nun am BAMF, die Entscheidung aus Luxemburg in die eigene Arbeit einfließen zu lassen.

Man habe „das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Kenntnis genommen“ und werde „die Folgen aus dem Urteil für die Entscheidungspraxis des Bundesamts prüfen“, sagt eine BAMF-Sprecherin auf Anfrage der Berliner Zeitung. „Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“ Der Behörde zufolge wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 9782 Asylanträge von Frauen aus Afghanistan gestellt. Darunter fallen Erst- und Folgeanträge. Im laufenden Jahr waren es bis Ende August 7748.

Insgesamt wurde demnach im Jahr 2023 über 12.818 Asylanträge von Afghaninnen entschieden. In 308 Fällen erkannte das BAMF die Frauen als Asylberechtigte an. 8041-mal erfolgte eine Anerkennung als Flüchtling. In 447 Fällen gewährte die Behörde subsidiären Schutz, ein „Abschiebungsverbot“ wurde 2139-mal ausgesprochen. 16 Anträge wurden abgelehnt und 1867-mal stand am Ende eine sogenannte sonstige Verfahrenserledigung – in diesen Fällen sei zum Beispiel ein anderer EU-Staat zuständig gewesen oder der Antrag zurückgenommen worden, so die BAMF-Sprecherin.

In Österreich hatten zwei Afghaninnen geklagt, nachdem die Behörden sie nicht als Flüchtlinge anerkannt hatten. Ihnen war lediglich subsidiärer Schutz zugesprochen worden. Sie argumentierten, dass die Situation der Frauen in Afghanistan allein schon die Gewährung des Flüchtlingsstatus rechtfertige. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof wandte sich an den EuGH. Er fragte auch, ob ein EU-Mitgliedstaat einer afghanischen Frau allein aufgrund ihres Geschlechts Asyl gewähren könne. In den konkreten Fällen muss nun das österreichische Gericht entscheiden. Es ist dabei an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden.

                                               hgztrfde.jpg

                                               Der CDU-Abgeordnete Throm spricht von einer „überzogenen Rechtsprechung“. © Philip Dulian/dpa

 

Während das BAMF noch prüft, wie es mit der EuGH-Entscheidung umgehen will, reagiert die Union im Bundestag mit Unverständnis auf den Richterspruch. „Wenn es nach dem EuGH geht, haben jetzt alle 40 Millionen Afghanen einen Anspruch auf Schutz in Europa: Die Frauen bekommen Asyl, ihre Männer und Söhne kommen über den Familiennachzug nach“, sagt der innenpolitische Fraktionssprecher Alexander Throm (CDU) der Berliner Zeitung. „Das Gericht überzieht das Asylrecht dermaßen, wie es kein deutsches oder internationales Recht jemals beabsichtigt hat.“

Die Union fordert einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Migrationspolitik. „Wir müssen in Deutschland und Europa zurück zu einer Lage, in der gewählte Parlamente über das Migrationsrecht bestimmen – und nicht die Gerichte“, sagt der CDU-Abgeordnete Throm. Beim Thema Migration gehe es um die Frage, wer auf Dauer kommen und bleiben dürfe. „Das ist der Kernbereich der Demokratie“, so Throm. „Mit dieser überzogenen Rechtsprechung hat sich der EuGH zum Totengräber des individuellen Asylanspruchs in Europa gemacht.“

Der EuGH berief sich bei seiner Entscheidung unter anderem auf die Einschätzung mehrerer internationaler Organisationen. So hätten etwa die EU-Asylagentur (EUAA) und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) umfassend belegt, dass Frauen unter dem Regime der Taliban gezielt und systematisch unterdrückt würden. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte das Urteil aus Luxemburg: „Es stärkt europaweit die Rechte schutzsuchender Frauen aus Afghanistan.“

Derweil kommt eine von der Universität Oxford geleitete Studie zu dem Ergebnis, dass in Großbritannien so viele illegale Migranten leben wie in keinem anderen europäischen Land. Darüber berichtet die britische Zeitung The Telegraph. Deutschland steht demnach an zweiter Stelle. Der Untersuchung zufolge leben im Vereinigten Königreich bis zu 745.000 illegale Migranten, was knapp einem von 100.000 Einwohnern entsprechen würde. In Deutschland seien es maximal 700.000.