Ausländerrat: "In puncto Willkommenskultur ist in Dresden noch viel Luft nach oben

              Von S. Z.

Die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen in Dresden steigt. Christian Schäfer-Hock vom Ausländerrat warnt jedoch: Die Zahlen sagen wenig über die Kriminalität vor Ort.

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Christian Schäfer-Hock, Geschäftsführer des Dresdner Ausländerrates: "Niemand ist krimineller, nur weil er oder seine Eltern aus einem anderen Land stammen."
© René Meinig © René Meinig

 

Dresden. Zuwanderung ist das zentrale Thema im sächsischen Landtagswahlkampf. Laut der Sachsen-Kompass-Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung stimmten 48 Prozent der rund 4.500 befragten Dresdner der Aussage zu, dass mehr Zuwanderung auch zu mehr Kriminalität führt.

Fest steht: Der Anteil der Straftaten, der durch Ausländer verübt wird, steigt. So lag der Anteil der ausländischen ermittelten Tatverdächtigen 2014 bei 17,3 Prozent. 2023 waren es 32,5 Prozent.

Christian Schäfer-Hock, Geschäftsführer des Dresdner Ausländerrates, kritisiert den Abgleich mit der Polizeistatistik. Zu verkürzt, zu oberflächlich seien die Schlüsse, die man daraus ziehen könne. Im Interview mit Sächsische.de erklärt er, was er damit meint.

Herr Schäfer-Hock, was stört Sie an unserer Berichterstattung über Zuwanderung und die Entwicklung der Kriminalität in Dresden?

Zuerst einmal: Es ist gut, die Menschen zu fragen, welche Probleme sie in Bezug auf Zuwanderung sehen. Eine Bestandsaufnahme zu machen, über Ängste und Befürchtungen in Bezug auf das Thema zu reden. Die kann man auch nicht wegwischen. Ob das mit Ihrer Methode repräsentativ ist, möchte ich aber bezweifeln. Der von Ihnen aufgemachte Zusammenhang ist aber mein Hauptkritikpunkt.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Herkunft und Kriminalität?

Wenn man die Polizeistatistik und die Zuwanderungsstatistik nebeneinanderlegt, könnte man zu dieser Vermutung kommen. Betrachtet man die umfangreiche Forschung zu dem Thema wird schnell klar: Eine Migrations- oder Fluchtgeschichte hat als eigenständiges Merkmal keinen Einfluss. Niemand ist mehr oder weniger kriminell, nur weil er oder seine Eltern anders aussehen oder aus einem anderen Land stammen. Es ist mir wichtig, dass bei den Menschen nach Ihrem Artikel nicht hängen bleibt, Ausländer seien alle kriminell und brächten die Kriminalität nach Deutschland.

Stimmen die Zahlen der Polizeistatistik nicht?

Man muss sich einfach bewusst machen, wie Polizeistatistiken entstehen. Da gibt es viele Fragezeichen: Wer zählt als Deutscher? Was ist mit Menschen, die hier aufgewachsen sind, aber keinen deutschen Pass haben? Warum zählen Menschen in die Kriminalitätsstatistik, die hier gar keinen Wohnsitz haben? Außerdem werden Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte, anderer Hautfarbe oder sonstigen Auffälligkeiten häufiger kontrolliert und deutlich häufiger angezeigt als Deutsche. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern verzerrt auch die Statistik. Denn mehr Kontrollen bedeuten natürlich auch mehr potenzielle Verstöße, die ermittelt werden.

"Man sollte versuchen, die Menschen dezentral unterzubringen"

Innenministerin Faeser will Messer mit langer Klinge in der Öffentlichkeit verbieten. Kritiker meinen, sie regiere damit auf rechtspopulistische Narrative von "ausländischer Messerkriminalität".

Es gibt in Deutschland viel zu viele Angriffe mit Messern. Die Opfer sind Menschen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte. Auch hier zeigt die kriminologische Forschung: Die Herkunft der Täter ist nicht die Ursache. Ursachen sind häufig psychische Störungen, Frauenhass, Alkohol oder Drogenmissbrauch. Tieferliegende Ursachen von Gewalt sind etwa Armut, geringe Bildung, kriminelle Freundeskreise, eigenes Gewalterleben oder gewaltverherrlichende Männlichkeitsnormen – und all das gibt es bei Menschen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte.

Nun gibt es in Dresden aber dennoch Kriminalitätsschwerpunkte in Vierteln, in denen viele Zugewanderte leben.

Das muss sich ändern, denn niemand lebt gern im Umfeld von Kriminalität und Gewalt. Nehmen wir das Beispiel Budapester Straße: Diesen Schwerpunkt aufzulösen, geht nicht von heute auf morgen. Daran arbeiten die Ämter der Stadt, die Vonovia und wir als Verein seit vielen, vielen Jahren. Man muss der Perspektivlosigkeit und den prekären Wohnverhältnissen abhelfen. Wenn man viele Menschen an einem Ort sammelt, die potenziell Probleme haben, dann wird es dort auch viele Auseinandersetzungen geben. Man sollte versuchen, die Menschen dezentral unterzubringen. Man sollte sie mehr über die Stadt verteilen. Da sind auch die Wohnungsanbieter gefragt. Dann erreicht man auch langfristig etwas. Denn machen wir uns nichts vor: Die Polizei kann immer nur kurzfristig eingreifen. Die Ursachen für Kriminalität müssen Politik und Zivilgesellschaft bekämpfen.

"Spätestens, wenn die Chipindustrie für weiteren Zuzug sorgt, werden wir wieder die Willkommenskultur suchen"

Es gibt auch Angst vor Geflüchteten. Wie gut gelingt deren Unterbringung in Dresden bisher?

Man müsste auf lange Sicht verhindern, dass Sozialwohnungen nur in Prohlis, Gorbitz, an der Budapester Straße oder in der Johannstadt-Nord entstehen. Das sind alles Orte, an denen sich ohnehin schon soziale Ungleichheit und Konflikte ballen. Das ist eine Bestandsaufnahme und das weiß auch jeder. Jugend- und Sozialamt, Vereine und Ehrenamtler haben dort sowieso schon viel zu tun. Man müsse versuchen, diese angespannte Situation zu entzerren, die Menschen überall in der Stadt unterzubringen.

Das kostet aber mehr Geld und die öffentlichen Kassen sind leer.

Welche Strategie ist besser: Menschen in Vierteln unterzubringen, die ohnehin schon soziale Konflikte haben, oder mehrere Jahre Geld in die Hand zu nehmen, um für Wohnungen zu sorgen und den Menschen aktive Teilhabe zu ermöglichen? Ich möchte in einer Stadt, in einer Gesellschaft leben, die den zweiten Weg verfolgt. Solche Stadtviertel schaden außerdem nicht nur dem Ruf von Menschen, die dort leben. Sie schaden der Stadt insgesamt. Dann sind wir als Stadt wieder an dem Punkt: Wofür geben wir Geld aus, um langfristig attraktiv zu sein? Spätestens, wenn die Chipindustrie für weiteren starken Zuzug sorgt, werden wir wieder die Willkommenskultur suchen. Und da denke ich: In puncto Willkommenskultur ist in Dresden noch viel Luft nach oben.

Was macht der Ausländerrat, um Vorurteile anzubauen und die Willkommenskultur zu stärken?

Aktuell laufen die Vorbereitungen zu den Interkulturellen Tagen in Dresden, die wir jedes Jahr gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Stadt organisieren. Sie starten am 15. September. Da kommen Menschen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte überall in der Stadt in Kontakt. Dann merkt man schnell: Wir sind alle Dresdner, ganz normale Leute, so wie du und ich. Und dann verschwinden auch die Vorurteile. Wenn man Vorurteile hat, einem in der Realität aber immer wieder Menschen begegnen, auf die diese Vorurteile nicht zutreffen, dann bricht die Realität dieses Weltbild, zumindest irgendwann.