Abschiebedebatte: Länder-Regierungschefs machen Druck bei Abschiebungen

                                                 Artikel von Heide, Dana Neuerer, Dietmar Delhaes, Daniel
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                                   Kai Wegner (CDU): Berlins Regierender Bürgermeister fordert „Konsequenzen“ für Gewalttäter. data-portal-copyright=

In den Bundesländern wächst der Druck auf die Bundesregierung, beim Thema Abschiebungen von Straftätern zu liefern. Es gibt triftige Gründe, warum es nur schleppend vorangeht.

Die Regierungschefs von Berlin und Brandenburg, Kai Wegner (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), fordern angesichts der gestiegenen Zahl an Messerangriffen in Deutschland harte Konsequenzen für die Täter. „Mittlerweile gibt es so viele Messerangriffe in Deutschland, täglich kommt es zu schwersten Straftaten, auch in Berlin“, sagte Wegner dem Handelsblatt. „Hier muss der Rechtsstaat deutlich machen, dass wir solche Gewalttaten in unserem Land nicht dulden, erst recht nicht einen Messermörder wie in Mannheim.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte als Konsequenz aus der Messerattacke von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Bei der Tat war ein Polizist getötet worden. Wegner sagte: „Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie handelt und nicht nur redet.“

Auch Brandenburgs Ministerpräsident Woidke mahnte, die geltenden Regeln durchzusetzen. „Man muss es nur wollen und am Ende auch machen“, sagte der SPD-Politiker dem Handelsblatt. „Wer sich nicht integrieren will und aktiv gegen unsere Gesellschaft und unser politisches System vorgeht, der kann nicht in diesem Land bleiben.“

Die Debatte ist auch im Kontext der anstehenden Landtagswahlen im Osten zu sehen. In Thüringen und Sachsen werden am 1. September neue Landtage gewählt, in Brandenburg am 22. September. Die steigende Zahl an Messerangriffen bekommt im Wahlkampf viel Aufmerksamkeit.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte daher zuletzt eine Verschärfung des Waffenrechts bezüglich Stichwaffen angekündigt. Ihr Vorstoß stieß auf ein geteiltes Echo, die FDP sprach von Symbolpolitik.

Abschiebungen: Zahlen verharren auf einem niedrigen Niveau

2023 wurden laut Polizeistatistik 8.951 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung bekannt, bei denen Messer zum Einsatz kamen, entweder, um jemanden zu verletzen oder damit zu drohen – ein Anstieg um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings warnen Experten vor einer Überinterpretation der Daten, da Zahlen zur Tatgattung „Messerangriff“ erst seit 2021 überhaupt systematisch erhoben würden und Vergleiche deshalb wenig aussagekräftig seien.

Die Bundesregierung steht bei dem Thema unter Druck, weil Bundeskanzler Scholz mit Blick auf ausländische Straftäter Erwartungen geweckt hat, die er bislang kaum erfüllen konnte. Im Herbst 2023 versprach er in einem „Spiegel“-Interview, „im großen Stil“ diejenigen abzuschieben, die kein Recht hätten, in Deutschland zu bleiben.

Abschiebungen sind im deutschen Aufenthaltsrecht klar geregelt. Grundsätzlich gilt: Wer keinen Aufenthaltstitel oder keinen Schutzstatus hat und nicht freiwillig ausreist, kann abgeschoben werden. Im „großen Stil wurde seit der Ankündigung des Kanzlers aber nicht abgeschoben. In Berlin, wo der CDU-Politiker Wegner regiert, ist die Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr sogar um 19 Prozent zurückgegangen.

Deutschlandweit stieg zwar die Zahl der Rückführungen von Menschen ohne Aufenthaltsstatus im ersten Quartal 2024 auf knapp 4800, das waren etwa 1200 mehr als im Jahr zuvor. Allerdings bleiben die Zahlen auf einem sehr niedrigen Niveau. Im März lebten etwa 234.000 ausreisepflichtige Menschen in Deutschland, davon 46.000 ohne eine sogenannte Duldung.

Geduldete sind ausreisepflichtig, können aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden, zum Beispiel, weil sie keine Ausweisdokumente haben oder krank sind. Die Duldung ist immer befristet.

Abschiebungen: Baerbock warnt vor falschen Erwartungen

Politiker aller Parteien sind sich indes einig, dass straffällig gewordene Asylbewerber Deutschland schneller verlassen müssen. „Der Bund sollte endlich für Rückführungsabkommen sorgen und notfalls Charterflüge organisieren, wenn Abschiebungen per Linienflug nicht möglich sind oder verhindert werden“, verlangte der Berliner Regierungschef Wegner. „Wir brauchen Lösungen, ansonsten verlieren wir die Menschen in der demokratischen Mitte.“

Und auch Woidke forderte die Bundesregierung auf, Abschiebeabkommen mit den entsprechenden Ländern zu schließen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) spricht sich seit Jahren für eine schnellere Abschiebung von Straftätern aus. Allerdings warnte sie jüngst bei einer Veranstaltung der „Zeit“ in Hamburg vor falschen Erwartungen. Man dürfe nicht suggerieren, dass man Gefährder „jetzt mal schnell“ nach Afghanistan oder nach Syrien abschieben könne.

Tatsächlich ist die Lage kompliziert: Denn die Bundesrepublik pflegt weder mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad noch mit den radikalislamistischen Taliban diplomatische Beziehungen – so wie viele westliche Regierungen. Insbesondere um Straftäter nach Syrien und Afghanistan abzuschieben, die in beiden Ländern nicht willkommen wären, müsste die Bundesregierung jedoch mit diesen Regierungen zusammenarbeiten.

Bereits im Jahr 2021 hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt, selbst von Straftätern. Er begründete das mit der Sicherheitslage und der Gefahr für die Begleitpersonen.

Die Bundesregierung setzt nun auf Verhandlungen mit verschiedenen Drittstaaten, über die sie etwa Abschiebungen nach Afghanistan ermöglichen will. Federführend verhandelt das Bundesinnenministerium.

Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan: Diese Länder werden als Transitländer erwogen

Die Innenminister von Bund und Ländern hatten für Afghanen Pakistan als sicheres Transitland in Erwägung gezogen. Hierhin könnten afghanische Staatsbürger, die in Deutschland ausreisepflichtig sind, abgeschoben werden, um danach weiter in ihr Heimatland zu reisen. Auch mit der usbekischen Regierung laufen laut Medienberichten bereits Gespräche über ein entsprechendes Abkommen.

Für Syrien können sich die Minister vorstellen, die Region Damaskus als sicher einzustufen und direkt dorthin abzuschieben. Ob das rechtlich zulässig ist, muss allerdings noch geprüft werden. Als Grundlage dient in der Regel der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts, der für Syrien kritisch ausfällt.

Das Ministerium verweist auf Kampfhandlungen sowie glaubwürdige Berichte über teils schwere und willkürliche Menschenrechtsverletzungen. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter könne derzeit für keine Region Syriens „gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden“.

Für Aufsehen sorgte daher ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Schutzstatus eines Syrers. Die Richter widersprechen darin der Einschätzung des Auswärtigen Amtes und erklären, dass in Syrien für Zivilisten „keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ mehr bestehe.

In der Ampelkoalition drängen insbesondere Politiker der FDP das Auswärtige Amt dazu, seinen Lagebericht abzuändern, um damit mehr Abschiebungen – auch von Nicht-Straftätern – nach Syrien und Afghanistan zu ermöglichen. Dabei macht das derzeit nicht einmal Dänemark, obwohl das Land die Abschiebung von Flüchtlingen in Teile Syriens grundsätzlich erlaubt.