Die Rückkehrhilfe wird von türkischen Asylbewerbern missbraucht

                               Geschichte von Monika Ganster/ Faz

 

 

                                                                    öloiuz.jpg

                                                                   Ankunft einer Flüchtlingsfamilie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. (Archivbild) © dpa

 

 

Anerkennung haben. Der Großteil von ihnen darf aus humanitären oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden, etwa weil die Rückkehr in ihre Heimatländer wie Afghanistan oder Syrien lebensgefährlich für sie wäre, weil sie krank sind oder keine Dokumente besitzen. Sie sind geduldet.

Ein kleinerer Teil davon, darunter auch kriminelle Ausländer, kann und soll aus dem Land gebracht werden. Bis Ende Mai gelang die Abschiebung in 685 Fällen, wie das Innenministerium in Wiesbaden mitgeteilt hat. Weitaus erfolgreicher ist Hessen jedoch mit der sanfteren Form der Rückführung, der sogenannten freiwilligen Ausreise nach einer staatlichen Beratung. Dabei wird den Betroffenen eine Reisekostenerstattung und ein Zuschuss für den Neubeginn im Heimatland in Aussicht gestellt, wenn sie zügig der Ausreiseaufforderung nachkommen. Bis Ende Mai seien 1056 Personen mit oder ohne finanzielle Unterstützung des Landes aus freien Stücken aus Hessen ausgereist, so das Innenministerium.

Fünf Nationen waren 2023 besonders häufig vertreten: Die Türkei (210 Personen), Albanien (174), Serbien (168), Georgien (110) und Nordmazedonien (107). Im ersten Halbjahr dieses Jahres schienen sich die Zahlen ähnlich zu entwickeln, mit zwei Ausnahmen: In die Türkei sind bis Ende Mai bereits 211 Menschen zurückgekehrt, also mehr als im gesamten Vorjahr. Das gleiche Bild zeigt sich bei Flüchtlingen aus Nordmazedonien: In diesem Jahr kehrten schon mehr Menschen (108) in ihre Heimat zurück als im vergangenen Jahr. Sie nahmen die Beratung mit der Option auf finanzielle Hilfe auffallend oft in Anspruch.

Die Zahl der türkischen Asylbewerber ist im vergangenen Jahr in ganz Deutschland sprunghaft gestiegen. Das hat mit dem Erdbeben im Februar 2023, vor allem aber mit der Wiederwahl des immer autokratischer regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Mai 2023 zu tun, wie Anwälte berichten, die Asylverfahren betreuen. Die Lage für Oppositionelle werde in ihrer Heimat immer gefährlicher. Die meisten türkischen Asylbewerber in Deutschland, 84 Prozent, geben an, kurdischer Abstammung zu sein. Doch die Chancen zu bleiben, sind für sie gering: Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus der Türkei lag im abgelaufenen Jahr deutschlandweit gerade einmal bei 13 Prozent.

Vielleicht ist es daher Einsicht, dass Hunderte von ihnen von Hessen aus rasch wieder die Heimreise antreten, bevor sie das ganze Asylverfahren ohne Erfolg durchlaufen. Doch das Innenministerium in Wiesbaden hat einen anderen Verdacht. Durch die staatlichen Rückkehrberatungsstellen sei 2023 bei türkischen Staatsangehörigen „vermehrt der Verdacht einer zweckwidrigen Inanspruchnahme von Fördermitteln festgestellt und entsprechend vermerkt“ worden. Anhaltspunkte dafür seien eine sehr kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland vor dem Antrag auf Rückkehrförderung. Denn ein Mindestaufenthalt ist hierzulande nicht nötig, um die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Als weitere Indizien für den Missbrauch wertet das Ministerium den Verzicht auf einen Asylantrag oder die unmittelbare Rücknahme des Antrags sowie widersprüchliche Angaben zum Zweck der Einreise und des Aufenthaltes sowie zu den Gründen der Rückkehr, heißt es aus Wiesbaden.

Die Finanzhilfen für Rückkehrer stammen aus verschiedenen Fördertöpfen: In der überwiegenden Zahl der Fälle wird das Bund-Länderprogramm REAG/GARP genutzt. Die Kosten dafür lagen im Jahr 2023 bei knapp 590.000 Euro, wie das Sozialministerium in Wiesbaden mitteilt. Hessen hat auch ein eigenes Landesprogramm, das ergänzend oder anstelle der anderen Förderprogramme in Anspruch genommen werden kann. Im vergangenen Jahr wurden daraus rund 255.467 Euro für die Rückreise und Ankunftsförderung von 258 Personen aufgewendet. Im Schnitt erhielt demnach jeder Ausreisewillige knapp 1000 Euro vom Land Hessen. Die Regierungspräsidien organisieren die Rückkehrberatung des Landes. Da alle Anträge auf monetäre Unterstützung bei der Heimreise über ihre Schreibtische laufen, sollen Doppelförderungen vermieden werden.

Auf die angenommenen Missbrauchsfälle hat das Land reagiert und die Hilfen in diesem Jahr deutlich reduziert: Im begründeten Fall würden „keine Starthilfe oder weitere Fördermittel zur Unterstützung der Ankunft und Reintegration im Herkunftsland“ gewährt“, sondern nur die Reisekosten und eine geringere Reisebeihilfe gezahlt. In diesem Jahr hat Hessen mit seinem eigenen Landesprogramm bis Ende Mai 154.610 Euro für 301 Personen zur Verfügung gestellt. Somit bekam jeder Rückkehrer im Schnitt nur noch etwa 500 Euro extra mit auf den Weg. Das entspricht etwa der Höhe des türkischen Mindestlohns.

Zum 1. Juli hat auch der Bund die Bremse gezogen: Seitdem erhalten türkische Staatsangehörige, die sich weniger als sechs Monate in Deutschland aufgehalten haben, nur noch Reisekosten und Reisebeihilfe, aber keine finanzielle Starthilfen mehr für die Rückkehr in ihre Heimat, teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit.