Menschen sterben bei Flucht übers Mittelmeer: Joana berichtet von Einsatz – „Eine Schande“

                                               Geschichte von Tanja Kipke

 

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                                                   Joana W. war bei einer der vierwöchigen Rettungsmission von Sea-Eye auf dem Mittelmeer dabei. © Nils Kohstall/Sea-Eye e.V.

 

Täglich kämpft die zivile Seenotrettung gegen das Ertrinken im Mittelmeer. Als ehemaliges Crew-Mitglied der Sea-Eye 4 erzählt Joana von ihren Erlebnissen ‒ und nimmt die EU in die Verantwortung.

München/Regensburg – Mehr als 50 Menschen quetschen sich auf das kleine, schwarze Schlauchboot. Seit zwei Tagen sind sie unterwegs. Immer wieder fährt das Schiff der libyschen Küstenwache ganz nah an das überfüllte Boot heran. Panik bricht unter den Leuten aus. Manche wedeln mit den Armen, andere fallen ins Wasser ‒ sie gelten bis heute als vermisst.

„Die Überlebenden haben uns danach berichtet, dass die libysche Miliz ihnen gedroht hat, dass sie das Boot zum Kentern bringen, wenn sie den Motor jetzt nicht ausschalten“, erzählt Joana W. im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie hat damals die gefährlichen Manöver des libyschen Bootes filmisch dokumentiert. „Sie haben wohl auch auf Menschen geschossen, die schon im Wasser waren, bevor wir ankamen.“ Nicht alle überlebten diesen Tag im Oktober 2023. Mindestens vier Menschen verloren ihr Leben.

Seenotrettung aus Bayern: Sea-Eye e.V. rettet jährlich tausende Menschen

Joana kommt ursprünglich aus Niederbayern, derzeit lebt sie in München. Die 32-Jährige ist eigentlich im Fundraising tätig, im Oktober 2023 begleitete sie eine der vierwöchigen Rettungsmissionen.

Sea-Eye e.V.

2015 gründete Michael Buschheuer, ein Unternehmer aus Regensburg, mit Freunden und Familie den Verein, um dem Sterben im Mittelmeer entgegenzuwirken.

Seitdem retten zahlreiche Crew-Mitglieder – zum Teil ehrenamtlich – jedes Jahr Flüchtende aus seeuntüchtigen Booten im Mittelmeer.

Seit Vereinsgründung wurden 17.000 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt.

Bevor es auf das Schiff, die sogenannte Sea-Eye 4 geht, werden die Crew-Mitglieder auf den Einsatz vorbereitet. Neben professionellen See-Leuten gibt es ehrenamtliche Crew-Mitglieder, die durch spezielle Trainings und Vorträge geschult werden. „Und auf dem Weg ins Einsatzgebiet wird dann auf dem Schiff auch ganz viel trainiert“, sagt Joana. Ob Szenarien mit den Schnellbooten im Wasser oder zum Beispiel, was bei einem Massenfall an Verletzten zu tun ist. „Das war bei uns ja dann auch der Fall.“

Crew-Mitglied Joana erzählt vom Einsatz: „Ohne zu wissen, ob sie diesen Weg überleben“

Nachdem sich die Sea-Eye 4 im besagten Oktober in die Nähe des schwarzen Schlauchbootes begeben hatte, konnten 51 Menschen sicher an Bord gebracht werden. „Wir versorgten einige Verbrennungen, die durch das ätzende Gemisch aus Salzwasser und Benzin verursacht wurden“, erklärte die damalige Einsatzärztin Barbara Held nach der Mission. „Die Menschen hatten zwei Tage auf dem kleinen Boot verbracht, ohne sich bewegen zu können und waren sehr erschöpft.“

Drei Menschen schwebten in Lebensgefahr, darunter eine schwangere Frau. Italienische Behörden weigerten sich, bei einer medizinischen Evakuierung zu helfen und verwiesen die Sea-Eye-Crew auf libysche Behörden. „Wir wurden also angewiesen, die beiden zurück in ein Bürgerkriegsland zu schicken, aus dem sie geflohen waren“, sagt Joana. Nach 17 Stunden konnte die Frau dann endlich bei Lampedusa an Land und von italienischen Ärzten versorgt werden. Ihr ungeborenes Baby überlebte die Strapazen jedoch nicht.

„Worst-Case-Szenario“ tritt ein: Crew muss vier Tote bergen

Das „Worst-Case-Szenario“ ist eingetreten. Vier weitere Tote musste die Crew an besagtem Tag bergen. Die komplizierte Rettungsaktion fand damals im Beisein der libyschen Küstenwache statt, die keine Anstalten machte, den Menschen, die ins Wasser gefallen waren, zu helfen.

Es sei der einzige Moment gewesen, in dem sich Joana unsicher gefühlt habe. „Einfach durch deren gefährliche Manöver und wie sie auftreten. Und mit dem Wissen, dass sie ja meistens auch Waffen an Bord haben.“ Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass die Küstenwache Menschen derart in Todesangst versetzt hat. Auch andere Organisationen haben solche Situationen bereits dokumentiert. „Es sah danach aus, dass die Miliz die Menschen zurück nach Libyen bringen wollte. Und dann droht ihnen dort Folter und Vergewaltigung. Also ganz, ganz schlimme Bedingungen, aus denen sie geflohen sind.“

Als Kind diesen Weg auf sich nehmen zu müssen, ohne zu wissen, was in Europa dann passiert, wie es weitergeht, ob sie diesen Weg überleben. Das ist unvorstellbar für mich.

Joana W., Referentin Fundraising bei Sea-Eye e.V.

Joana berichtet, ihr seien Menschen verschiedenster Herkunft begegnet. „Sie alle haben Träume, Hobbys, Ansichten und eine Lebensgeschichte.“ Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr ein Geschwisterpaar, welches allein auf der Flucht war. „Ein neunjähriger Junge und ein zwölfjähriges Mädchen, die aus dem Tschad geflohen sind und beide Waisen waren.“ Der Junge habe leidenschaftlich gerne gemalt. „Und obwohl wir uns nicht perfekt verständigen konnten, hat es über das Malen total gut funktioniert. Er hat dann Bilder für alle auf dem Schiff gemalt.“ Das habe die gebürtige Niederbayerin sehr berührt. „Als Kind diesen Weg auf sich nehmen zu müssen, ohne zu wissen, was in Europa dann passiert, wie es weitergeht, ob sie diesen Weg überleben. Das ist unvorstellbar für mich.“

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Er hat es geliebt zu malen“: Joana erinnert sich an einen neunjährigen Jungen, der gemeinsam mit seiner Schwester aus dem Tschad geflohen ist. © Bereitgestellt von Merkur

Mittlerweile wird dem Rettungsschiff relativ schnell ein Hafen zugewiesen, an dem sie anlegen können, um die Überlebenden an Land zu bringen. „Allerdings sehr weit im Norden von Italien. Das heißt, wir brauchen dann meistens mehrere Tage, bis wir da hinkommen, das ist eine Zumutung für die Überlebenden“, so Joana. Dort wird das Schiff von den Behörden sowie Mitgliedern des Roten Kreuzes in Empfang genommen.

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Sea-Eye hat immer wieder mit Festsetzungen zu kämpfen

Die Sea-Eye 4 wird also nicht mehr dadurch behindert, dass sie nirgends anlegen darf. „Die Schiffe werden jetzt oft festgesetzt, das ist das neue Vorgehen“. Das war zum Beispiel erst in den letzten zwei Monaten der Fall, die Sea-Eye 4 wurde für 60 Tage festgesetzt und konnte erst am Dienstag (14. Mai) wieder in See stechen. „Die Festsetzung ist unrechtmäßig, wir haben auch dagegen geklagt“, erklärt Joana. „Unsere Arbeit wird systematisch behindert. Deshalb sind weniger Schiffe in der Such- und Rettungszone anwesend, um dort Menschen zur Hilfe kommen zu können.“

s müssen sichere Fluchtwege geschaffen werden“

Eine zivile Seenotrettung sollte laut Joana nämlich gar nicht nötig sein. „Es wäre eigentlich die Verantwortung der EU-Staaten“. Solange aber keine sicheren Fluchtwege geschaffen werden, sei die Arbeit des Vereins unabdingbar. „Europa hat eine Verantwortung und trägt eine Mitschuld.“ Das Sterben auf dem Mittelmeer dürfe niemals zur Normalität werden. Joana findet dafür deutliche Worte: „Es ist einfach nur schrecklich und eine Schande, dass es an Europas Außengrenzen passiert. Bewusst passiert. Gewollt passiert.“ (tkip)