Migrationspolitik: Faeser bekommt Gegenwind aus der Wirtschaft wegen neuer Grenzkontrollen
Die Politik sucht unter wachsendem Druck Antworten auf steigende Flüchtlingszahlen. Ein Vorstoß der Innenministerin trifft auf Widerstand in der Wirtschaft.
In der Wirtschaft stoßen die Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für stationäre Grenzkontrollen an der polnischen und tschechischen Grenze auf Widerstand. Der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, warnte vor den Folgen für Geschäftsleute, Dienstleister, Handwerker oder Touristen.
Diese profitierten von offenen Grenzen ebenso wie der lokale Einzelhandel, sagte Treier dem Handelsblatt. „Stationäre Kontrollen bringen den Reise- und Warenverkehr zwar nicht zum Erliegen, führen aber zwangsläufig zu Verzögerungen.“ Hier müsse die Politik „sehr sensibel“ vorgehen, mahnte Treier. Das Ziel, die Schleuserkriminalität zu bekämpfen, sollte man im Blick behalten, aber auch, die Lieferungen unserer Exporteure zu gewährleisten und Just-in-time-Lieferungen in konjunkturell angespannten Zeiten nicht zu verteuern.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, befürchtet bei einer Schließung der Grenzen einen „enormen wirtschaftlichen Schaden für Deutschland“. „Grenzkontrollen würden Lieferketten zerstören und Unternehmen müssten ihre Logistik komplett neu planen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Hinzu kämen viele Tausende von Beschäftigten, die jeden Tag zur Arbeit über die Grenze fahren müssen, was auch den Unternehmen einen „erheblichen Schaden bei Fachkräften“ zufügen würde. „Der Brexit ist ein warnendes Beispiel, wie groß Chaos und Schaden durch Grenzschließungen sein können.“
Faeser hatte erklärt, es seien zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität auch stationäre Kontrollen geplant – zusätzlich zur Schleierfahndung. Das sind verdeckte, verdachtsunabhängige Personenkontrollen durch die Bundespolizei. Es gehe nun darum, dass auch auf polnischem und tschechischem Gebiet Rückweisungen bei unerlaubten Einreiseversuchen möglich würden, sagte Faeser am Montagabend bei einer Diskussionsrunde in Frankfurt am Main.
Aktuell gibt es seit Herbst 2015 vorübergehende stationäre Grenzkontrollen in Bayern an der Grenze zu Österreich. Sie werden vom Bundesinnenministerium bei der EU-Kommission angemeldet und jeweils verlängert.
In welchem Umfang nun die Kontrollen an der deutschen Ostgrenze eingeführt werden, ist noch unklar. Dass sich wie in der Coronapandemie kilometerlange Staus bilden und Lieferketten gekappt werden, erwartet in Brüssel kaum jemand. Dennoch schüren die Pläne der Innenministerin Unruhe: Wegen der schwachen Konjunktur ist die Wirtschaft ohnehin nervös.
Kehrtwende der Innenministerin bei Grenzkontrollen
Auch der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) warnte vor möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen einer Einführung strengerer Grenzkontrollen. DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster weist auf die Bedeutung des freien Warenverkehrs im europäischen Binnenmarkt hin, der ein „wesentlicher Baustein für arbeitsteiliges Wirtschaften in Europa“ sei.
Die Bundesregierung müsse daher die Risiken unterbrochener Lieferketten und steigender Logistikkosten bei ihren Entscheidungen „unbedingt“ berücksichtigen. „Die negativen Auswirkungen der Grenzstaus während der Coronakrise sind hoffentlich nicht vergessen“, sagte Huster dem Handelsblatt.
Eigentlich herrscht im Schengenraum, dem 27 europäische Länder angehören, Bewegungsfreiheit ohne stationäre Grenzkontrollen. Doch etliche Länder hatten zu Beginn der Pandemie teils unkoordiniert Grenzen dichtgemacht oder Kontrollen veranlasst. An der deutschen Grenze zu Polen staute sich der Verkehr teils Dutzende Kilometer. Verderbliche Waren kamen nicht ans Ziel, Grenzpendler hatten Probleme, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.
Noch vor Kurzem hatte Faeser die Unionsforderung nach stationären Grenzkontrollen etwa an den Grenzen nach Polen und Tschechien mehrmals abgelehnt. Sie bänden zu viel Personal und wären „reine Symbolpolitik, auch angesichts der hohen Umfragewerte der AfD“, hatte sie gesagt. Es sei besser, „überall in den Grenzgebieten präsent zu sein - mit Teams der Bundespolizei und der anderen Grenzpolizeien“.
Die Kehrtwende der Innenministerin ist auch eine Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen und die Schleusungen und unerlaubten Einreisen über die deutsch-polnische Grenze in Brandenburg. In den vergangenen zwei Wochen seien 550 Menschen festgestellt worden, die illegal über die Grenze gebracht worden seien, sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) am Montag.
Im Durchschnitt seien das 50 aufgegriffene illegal Eingereiste pro Tag – nach durchschnittlich 35 im August. Acht Schleuser seien gefasst worden. „Die Zunahme der illegalen Schleusungen gerade über die deutsch-polnische Grenze sprengt gerade jeden Rahmen“, sagte Stübgen bei einem Besuch im Kreis Spree-Neiße.
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Die meisten dieser Migranten stammen dem Innenressortchef zufolge aus Syrien, dahinter folgten Menschen aus der Türkei, kleinere Gruppen kämen aus Indien, Afghanistan und dem Irak. Trotz der angespannten Lage tritt die Ampelkoalition bei dem Thema nicht geschlossen auf. Die Grünen etwa lehnen Grenzkontrollen ab.
EU-Asylreform wegen der Bundesregierung auf der Kippe
Die Gewerkschaft der Polizei sprach ebenfalls von einer „nicht effektiven“ Maßnahme. Schleuser würden einfach um die festen Kontrollpunkte herumfahren, sagte die Vizevorsitzende des GdP-Bezirks Bundespolizei, Erika Krause-Schöne, der „Rheinischen Post“. Stattdessen wolle die Bundespolizei „agil auf der Grenzlinie“ agieren können. Krause-Schöne plädierte für Lösungen auf europäischer Ebene, um die irreguläre Migration zu begrenzen.
Auch Faeser sieht in stationären Grenzkontrollen nur ein zusätzliches Mittel gegen illegale Zuwanderung. Wichtiger sei der Schutz der EU-Außengrenzen, sagte die Ministerin im Deutschlandfunk. Dort müssten die Menschen schon registriert werden. Faeser dringt daher auch auf eine europäische Lösung und auf eine schnell
Reform des europäischen Asylsystems.
Die Reform steht jedoch derzeit wegen Deutschlands Haltung zu der sogenannten Krisenverordnung auf der Kippe. Die Verordnung sieht etwa längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen an den Außengrenzen vor, außerdem die Möglichkeit, Standards bei der Unterbringung und Versorgung zu senken.
Die Bundesregierung will das bislang nicht mittragen, weil sie eine weitere Aufweichung von humanitären Grundsätze fürchtet. Vor allem die Grünen haben damit ein Problem.
Polen, Ungarn, Tschechien und einigen anderen Ländern sind die vorgeschlagenen Regeln dagegen nicht hart genug. Bis zuletzt hatten die Spanier, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, gehofft, die Tschechen für einen Kompromiss gewinnen zu können. Doch diese Bemühungen sind inzwischen fehlgeschlagen. Damit steigt der Druck auf Berlin. Wenn die Asylreform noch vor der Europawahl beschlossen werden solle, müssten sich die
Deutschen bewegen, heißt es in Brüssel.