EU will Fokus verstärkt auf Abschiebung von Migranten ohne Asylanspruch legen
Brüssel will jetzt gegensteuern: Der Fokus soll in diesem Jahr stärker als in den Vorjahren auf Abschiebungen von Migranten liegen, die keinen Asylanspruch haben. Dazu will die EU-Kommission die Zusammenarbeit mit Transit- und Herkunftsstaaten weiter verbessern. „Ich erwarte, dass wir bis Ende 2023 mit Blick auf die Rückführungen das Ruder herumgerissen haben werden. Das hängt natürlich von den Mitgliedstaaten ab, genauso wie von der EU. Wir müssen politische Entschlossenheit mit den Verwaltungskapazitäten zusammenfügen“, sagte die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson WELT.
Die EU-Kommission will Rückführungen mit der Ernennung einer Sonderbeauftragten, der Belgierin Mari Juritsch, die intensiv mit den Mitgliedstaaten in dieser Frage zusammenarbeiten soll, mehr Gewicht geben. Die EU-Kommissarin begrüßte in diesem Zusammenhang auch die Ernennung des FDP-Politikers Joachim Stamp zum Migrationsbeauftragten der Bundesregierung.
Johansson weiß natürlich, dass die Ernennung von neuen Beauftragten nur ein kleiner Schritt sein kann. Sie weiß auch, dass Gesetze allein, wie die EU-Rückführungsrichtlinie aus dem Jahr 2009 – die ein faires Verfahren garantieren soll, aber auch Abschiebehaft und Wiedereinreiseverbote vorsieht – das Problem nicht lösen können. Sie verspricht zudem, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex „ihre Unterstützung für Rückführungsoperationen wesentlich verstärken wird“. Aber die eigentlichen Ursachen für die niedrigen Abschiebungsquoten liegen tiefer.
So weichen die Rückführungsquoten zwischen einzelnen EU-Ländern teilweise stark voneinander ab. Der Grund dafür ist, dass in Ländern mit niedrigen Werten wie Tschechien, Italien oder Frankreich, offenbar der politische Wille fehlt, illegale Migranten auch tatkräftig abzuschieben. Hinzu kommt, dass Abschiebungen für Gerichte und Polizei häufig sehr aufwendig sind. In den meisten Mitgliedstaaten sind die Justizbehörden stark überlastet, was auch immer wieder zu Verzögerungen bei Abschiebungen führt.
Die EU-Länder müssen zudem für Rückführungen zahlreiche Polizisten vorhalten, die gegebenenfalls auch in der Lage sind, Migranten, die sich nach mehreren Ablehnungsbescheiden illegal verstecken, aufzuspüren. Ein weiterer Grund für niedrige Rückführungsquoten ist schließlich auch die mangelnde Bereitschaft von Herkunftsstaaten oder Transitländern, illegale Migranten wieder zurückzunehmen. Bisher hat die EU-Kommission mit 18 Drittstaaten verbindliche und mit sechs Ländern rechtlich unverbindliche Rückführungsabkommen ausgehandelt. Das ist zu wenig, es fehlen dabei auch wichtige Länder wie Tunesien, Marokko oder Ägypten, die sich strikt weigern, die Flüchtlinge wieder zu reintegrieren.
„Ich erwarte im Jahr 2023 weitere Fortschritte im Migrationsmanagement, weil die Mitgliedstaaten den Wert eines gemeinsamen europäischen Ansatzes sehen. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass wir einen Gesamtansatz brauchen (‚whole-of-route perspective‘)“, sagte Johansson. Dazu gehörten, so die Innenkommissarin, neben besseren Möglichkeiten für legale Migration, neuen regionalen Programmen gegen Menschenschmuggel, Investitionen in verbesserten Klimaschutz in Afrika und mehr Zurückführungen illegaler Migranten auch, „Partnerschaften“ mit Herkunfts- und Transitländern zu entwickeln.
Aber wie soll das gehen? Johansson: „Die EU hat in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) für Nordafrika und den Rest des Kontinents Projekte auf die Beine gestellt, um eine freiwillige Rückkehr (der illegalen Migranten; Anm. d. Red.) und Reintegration zu fördern.“ Eine solche Maßnahme ist beispielsweise das ‚Prottasha-Projekt‘ in Bangladesch, wo finanzielle Unterstützung, Beratung in Finanzangelegenheiten und psychosoziale Betreuung für Rückkehrer bereitgestellt werden.
Forderungen aus Österreich chancenlos
Keine Chance gibt es in Brüssel derzeit für zentrale Forderungen aus Österreich. Das Land ist mit rund 80.000 neu registrierten Migranten besonders hart betroffen. Österreichs konservativer Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte gefordert, dass die EU ermöglichen soll, Asylanträge bereits in sicheren Herkunftsstaaten stellen zu können. Außerdem will Karner eine sogenannte Zurückweisungsrichtlinie auf den Weg bringen, wonach irreguläre Migranten an den EU-Außengrenzen umgehend wieder abgeschoben werden sollen. Das Problem ist dabei nur, dass die betroffenen Drittländer die Geflüchteten häufig nicht zurücknehmen wollen.