Angriff auf offener Bühne: Salman Rushdie schwer mit Messer verletzt
Obwohl er vor mehr als 30 Jahren per Fatwa zum Tode verurteilt wurde, hatte sich Salman Rushdie seinem Verlag zufolge eigentlich wieder sicherer gefühlt. Nun ist der preisgekrönte Autor auf offener Bühne attackiert worden.
Der vor mehr als 30 Jahren per Fatwa zum Tode verurteilte Schriftsteller Salman Rushdie ist bei einem Auftritt im US-Bundesstaat New York angegriffen und am Hals verletzt worden. Ein Mann sei in der Veranstaltungshalle im Ort Chautauqua am Vormittag „auf die Bühne gerannt“ und habe Rushdie und einen Interviewer mit einem Messer angegriffen, teilte die New Yorker Polizei am Freitag mit.
Die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul sagte in der Stadt Buffalo, Rushdie sei am Leben und bekomme im Krankenhaus die Hilfe, die er benötige. „Es war ein staatlicher Polizist, der aufstand und sein (Rushdies) Leben rettete, ihn beschützte“, sagte sie und dankte dem Helfer. Der 75-jährige Schriftsteller war zuvor mit einem Hubschrauber in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Er werde vermutlich ein Auge verlieren, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Rushdies Literaturagenten Andrew Wylie.
Khomeinis Fatwa noch aktuell
Wegen Rushdies Werks „Die satanischen Verse“ („Satanic Verses“) aus dem Jahr 1988 hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini eine Fatwa veröffentlicht, die zur Tötung des Autors aufforderte. Einige Muslime fühlten sich durch das Werk in ihrem religiösen Empfinden verletzt.
Der Täter sei nach dem Angriff am Freitag noch in der Halle festgenommen worden, hieß es von der Polizei. Die „New York Times“ zitierte eine Zeugin: „Es gab nur einen Angreifer. Er war schwarz gekleidet. Er hatte ein loses schwarzes Kleidungsstück an. Er rannte blitzschnell auf ihn zu.“ Ein Reporter der US-Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, der Angreifer habe 10 bis 15 mal auf Rushdie eingeschlagen oder gestochen. Der ebenfalls angegriffene Interviewer hat nach Polizeiangaben eine Kopfverletzung. Bei dem Angreifer soll es sich um den 24-jährigen Hadi M. handeln, er habe ein Ticket für die Veranstaltung gehabt, teilte die Polizei mit.
Zu den Hintergründen des Angriffs gab es zunächst keine Details. Ob dieser im Zusammenhang mit der jahrzehntealten Fatwa steht, blieb zunächst offen. Die Tat fand bei einer Vorlesung Rushdies in der sogenannten Chautauqua Institution, einem Erziehungs- und Kulturzentrum statt. Die Veranstaltung habe im Rahmen einer Serie unter dem Titel „Mehr als Schutz“ („More than Shelter“) stattgefunden, bei der über die Vereinigten Staaten als Zufluchtsort für Schriftsteller im Exil und über die Verfolgung von Künstlern diskutiert werden sollte.
Japanischer Übersetzer getötet
Das islamische Rechtsgutachten des Ajatollahs rief damals nicht nur zur Tötung Rushdies auf, sondern auch all derer, die an der Verbreitung des Buches beteiligt waren. Ein japanischer Übersetzer wurde später tatsächlich getötet. Rushdie musste untertauchen, erhielt Polizeischutz. Nach Angaben seines Verlags aus dem vergangenen Jahr hätte die Fatwa für Rushdie inzwischen aber längst keine Bedeutung mehr. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr. Die Jahre des Versteckens gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorüber. Er verarbeitete diese Zeit in der nach seinem Aliasnamen benannten Autobiografie „Joseph Anton“ aus dem Jahr 2012.
Die Tat löste weltweit Entsetzen aus. Der US-Senator und Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, schrieb auf Twitter, die Tat sei ein „Angriff auf die Rede- und Gedankenfreiheit, die zwei Grundwerte unseres Landes und der Chautauqua Institution“ seien. Auch der scheidende britische Premierminister Boris Johnson zeigte sich „entsetzt“, dass Rushdie attackiert wurde, während er „ein Recht ausgeübt hat, dass wir niemals aufhören sollten zu verteidigen“. Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling und Bestseller-Autor Stephen King drückten ebenfalls ihre Bestürzung aus und schrieben, sie hoffe, es gehe Rushdie gut.
Auch Corona-Leugner und Trumpisten gestört
Geboren wurde der Autor im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay). Er studierte später Geschichte am King’s College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch „Mitternachtskinder“ („Midnight’s Children“), das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire anhand der Lebensgeschichte von Protagonisten, die genau zur Stunde der Unabhängigkeit geboren werden und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind.
Insgesamt veröffentlichte Rushdie mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Rushdies Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Diese sieht er zunehmend in Gefahr, was auch im Zentrum seiner jüngsten Veröffentlichung von Essays steht, die in Deutschland unter dem Titel „Sprachen der Wahrheit“ herauskamen. Der seit vielen Jahren in New York lebende Schriftsteller stemmt sich darin gegen Trumpisten und Corona-Leugner. „Die Wahrheit ist ein Kampf, das ist keine Frage. Und vielleicht noch nie so sehr wie jetzt“, sagte er in einem Interview des US-Senders PBS im vergangenen Jahr.
dpa/dtj