Forderungskatalog
Türkische Gemeinde in Detuschland
Mit Engagement demokratisches Zusammenleben in Vielfalt stärken
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Politische Forderungen zivilgesellschaftlicher Organisationen an die neue Bundesregierung, die
Fraktionen sowie Mitglieder des Bundestags für ein diverses und vielfältiges Deutschland
Präambel
Bürgerschaftliches Engagement ist ein wesentlicher Bestandteil unseres demokratischen
Gemeinwesens. Eine starke Zivilgesellschaft trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, der
zunehmend durch Polarisierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Frage gestellt wird.
Mittlerweile haben ca. 25% der Bevölkerung in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte. Aktuelle
Studien belegen, dass sich dieser Anteil in Kürze aufgrund des demographischen Wandels verdoppeln
wird. Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind indes sowohl im Alltag als auch
strukturell weiterhin verbreitet, stellen nach wie vor eine große Herausforderung dar und haben in
den vergangenen Jahren, verstärkt etwa durch die Corona-Pandemie, an Kraft gewonnen. Um dieser
Gefährdung unserer Demokratie zu begegnen, bedarf es struktureller Veränderungen der Gesellschaft
und einer nachhaltigen Stärkung der Zivilgesellschaft.
Das hat die scheidende Bundesregierung erkannt und mit ihrem „Maßnahmenkatalog des
Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ erste
Gegenmaßnahmen skizziert. Die unterzeichnenden Organisationen dieses Forderungskatalogs
begrüßen den Maßnahmenkatalog ausdrücklich und fordern die zukünftige Bundesregierung auf, an
diesen anzuknüpfen. Gleichwohl gehen die beschlossenen Maßnahmen nicht weit genug. Vor diesem
Hintergrund verstehen wir, als Akteure der Zivilgesellschaft, die nachfolgenden Forderungen als
Aufruf, allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und das demokratische
Zusammenleben in Vielfalt zu stärken. Im Bewusstsein darüber, dass unterschiedliche
Diskriminierungsdimensionen existieren, zielen die hier aufgestellten Forderungen auf Deutschland als
eine Migrationsgesellschaft ab.
Forderungen
I. Der Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, gegen Rassismus und für ein
Zusammenleben in Vielfalt bedarf der rechtlichen und strukturellen Fundierung, um die
Handlungsfähigkeit aller gesellschaftlichen Akteure zu stärken. Wir fordern daher, die
rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen für Vielfalt zu schaffen und entschiedener
gegen Rassismus sowie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Hierzu gehört:
· Es bedarf eines klaren Bekenntnisses des Staates zu Vielfalt und dazu, dass Deutschland eine
Migrationsgesellschaft ist. Wir fordern, im Grundgesetz einen Artikel aufzunehmen, der
Deutschland als Einwanderungsgesellschaft definiert, und damit auch ein zusätzliches
Staatsziel „Förderung gleichberechtigter Teilhabe und Chancengerechtigkeit“ ausweist. Das
ist bereits beispielhaft auf Länderebene mit der Aufnahme einer Antirassismus-Klausel in die
Verfassungen der Bundesländer Brandenburg und Sachsen-Anhalt gelungen. Aufbauend auf
das Diskriminierungsverbot ergebe sich eine größere staatliche Handlungsfähigkeit.
· In Anerkennung der Tatsache, dass Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist und die
Gewährleistung gleichberechtigter Teilhabe aller Menschen eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe darstellt, muss der Themenkomplex auf Bundesebene in der Exekutive eigenständig
verankert werden. Wir fordern, entweder
o ein „Bundesministerium für Diversität, Teilhabe und Migration“ einzuführen. Oder
o den Posten der/des „Integrationsbeauftragten der Bundesregierung“ zur
„Beauftragten für Diversität, Migration, Teilhabe und gegen Rassismus“ weiter zu
entwickeln, mit entsprechender Erweiterung der Handlungsfelder.
· Noch immer spiegeln staatliche Einrichtungen, wie etwa Ministerien, die Vielfalt der
Gesellschaft unter ihren Mitarbeitenden nicht wider. Wir fordern,
o ein Bundespartizipationsgesetz zu erarbeiten, das unter anderem basierend auf der
oben genannten gesetzlichen Definition von gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit eine wissenschaftlich fundierte verpflichtende Quote im
öffentlichen Dienst für Menschen, die von Rassismus und anderen Formen von
Diskriminierung potentiell betroffen sind, einführt. Ziel sollte sein, den öffentlichen
Dienst stärker für alle Mitglieder der Gesellschaft zu öffnen. Sowie
o unabhängige Beschwerdestellen in Verwaltungen und Sicherheitsbehörden
einzurichten, an die sich von Rassismus und Diskriminierung betroffene Angestellte
wenden können.
· Die strafrechtliche Verfolgung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist aktuell schwerlich
möglich. Wir fordern, eine gesetzliche Definition von gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit zu erarbeiten und basierend auf dieser, Rassismus in seinen
unterschiedlichen Ausprägungen als Straftatbestände in das Strafgesetzbuch aufzunehmen.
- In Gesetzesentwürfen des Bundes finden Aspekte von Rassismus, Diskriminierung und
Marginalisierung weiterhin zu geringe Beachtung. Wir fordern, ähnlich dem Ethikrat, einen
„Partizipationsrats Migrationsgesellschaft“ einzuberufen, der die Bundesregierung und den
Bundestag bei der Erarbeitung von Gesetzen hinsichtlich Chancengerechtigkeit und
gleichberechtigter Teilhabe aller Menschen berät.
· Es mangelt an evidenzbasierten Erkenntnissen zu Deutschland als eine vielfältige Gesellschaft.
Wir fordern, dass die unabhängige Forschung zu Rassismus, gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Teilhabehindernissen, Intersektionalität sowie
Vielfalt in ihren unterschiedlichen Dimensionen stärker gefördert wird. Es bedarf weiterer
Daten und Erkenntnisse zu Deutschland als Einwanderungsgesellschaft, auch um
beispielsweise Alternativbegriffe und -definitionen zu „Migrationshintergrund“ zu diskutieren
und zu erarbeiten. Hierzu gehört ebenso die Etablierung von Lehrstühlen zum Themenkomplex
Rassismus, um das Thema strukturell in Universität zu verankern.
II. Die gut 29 Millionen freiwillig engagierten Menschen in Deutschland und die sie unterstützenden
Strukturen der organisierten Zivilgesellschaft sind eine Stütze der Demokratie. Sie leisten einen
wesentlichen Beitrag dazu, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt erhalten bleibt, auch in
Krisenzeiten. Wir fordern, die Zivilgesellschaft und das bürgerschaftliche Engagement weiter zu
stärken und intensiver in politische Prozesse einzubinden. Hierzu gehören:
· Die Corona-Krise gefährdet zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Infrastruktur für das
bürgerschaftliche Engagement stellen. Sie bündeln Expertise, schaffen Räume für
gesellschaftliche Teilhabe und sind Anlaufstelle für Millionen engagierter Bürger*innen. Ihr
Überleben ist von herausragender Bedeutung für die Frage, ob die Krise als Chance genutzt
werden kann. Wir fordern ähnlich dem „Maßnahmenpaket für Unternehmen gegen die Folgen
des Coronavirus“ ein „Maßnahmenpaket Zivilgesellschaft“, um die Handlungsfähigkeit dieser
Organisationen zu erhalten und eine Krise des Engagements nach der Krise zu vermeiden.
· Aktuelle Förderrichtlinien des Bundes ermöglichen meist nur eine Projektförderung. Dies
bedeutet eine geringe Planungs- und Zukunftssicherheit für zivilgesellschaftliche
Organisationen. Ein nachhaltiges Engagement gegen Rassismus und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit ist hierdurch nicht möglich. Wir fordern, von der Projektförderung
abzurücken und das bürgerschaftliche Engagement und die sie tragenden Organisationen
strukturell sowie nachhaltig jenseits von einzelnen Projekten zu fördern. Hierzu gehören
insbesondere
o die Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes,
o der Ausbau des Förderaspekts der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt,
o die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur mehrjährigen Förderung von
Vorhaben,
o sowie die Entfristung von bestehenden Programmen. - Migrant*innenorganisationen prägen seit Jahrzehnten die zivilgesellschaftliche
Organisationslandschaft in Deutschland. Sie leisten durch ihre Arbeit nicht nur einen Beitrag
zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration, sondern tragen darüber hinaus zur Sichtbarkeit
von Vielfalt bei. Sie sind politisch-gesellschaftliche Stimmen marginalisierter Gruppen und
eröffnen Räume für Empowerment und Teilhabe. Sie gilt es daher nachhaltig zu stärken und
einzubinden. Wir fordern,
o die Strukturförderung von Migrant*innenorganisationen in den kommenden Jahren
auszubauen, um bestehende Strukturen zu festigen und den Aufbau neuer
Organisationen mit Migrationsbezug zu ermöglichen. Sowie
o die Beteiligungsmöglichkeiten an Förderprogrammen aller Ministerien
niedrigschwellig zu gestalten, etwa durch die Verringerung des Eigenmittelanteils bzw.
Anrechnung von Engagement als Eigenmittel, um die Diversität in der
Organisationslandschaft noch weiter zu fördern.
· Migrant*innenorganisationen bündeln Erfahrungen zum Themenfeld Rassismus und
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durch ihre Mitglieder und verfügen über Expertise
zu Fragen gesellschaftlicher Teilhabe aller Menschen. Wir fordern, diese Erfahrungen und
Expertise in Wert zu setzen und Migrant*innenorganisationen verbindlich bei der
Erarbeitung von Förderrichtlinien zur Extremismus- und Rassismusprävention, Bekämpfung
von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung von Beginn an
einzubinden und zu fördern.
· Die Zivilgesellschaft ist ein praktischer Lernort für Demokratie, die Übernahme
gesellschaftlicher Verantwortung und die Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Zugleich ist sie als informeller und non-formaler Lernort wenig anerkannt. Wir fordern den
Bund auf, sich dafür stark zu machen, die Zivilgesellschaft stärker als informellen und non-
formalen Lernort zu fördern.
· Bildungseinrichtungen, wie etwa Schulen und Universitäten, sind weiterhin noch nicht offen
genug für bürgerschaftliches Engagement. Wir fordern den Bund auf, sich dafür einzusetzen,
dass gesellschaftlicher Zusammenhalt, Demokratiebildung und bürgerschaftliches
Engagement als Themen in die Ausbildung und Lehrpläne von Lehrer*innen und in der Aus-
und Weiterbildung von Verwaltungsangestellten aufgenommen werden und die strukturelle
Diskriminierung in Schulen stärker bekämpft wird.
· Die zunehmende Radikalisierung am rechten Rand des gesellschaftlichen Spektrums stellt für
Engagierte und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für ein Zusammenleben in Vielfalt
einsetzen, eine steigende Gefahr dar. Sie sind zunehmend Ziel und Opfer rechtsextremistischer
Angriffe. Wir fordern, Engagierte und zivilgesellschaftliche Organisationen besser gegen
rechtsextreme Angriffe zu schützen. Eine Möglichkeit wäre es, Sicherheitsmaßnahmen als
förderfähige Ausgaben in Förderrichtlinien mitzudenken und zu fina
Türkische Gemeinde in Detuschland
Zahlreiche andren Organisationen
Unterzeichnende Einzelpersonen
Prof. ́in Dr. Júlia Wéber, Hochschule Neubrandenburg
Elke Schilling, Initiatorin von Silbernetz