Donnerstag, 6. Mai 2021 Hannover

Konsulatsmitarbeiter zwangsversetzt

Ehepaar wollte Schleuseraffäre um „graue Pässe“ aufdecken – und muss nun zurück in die Türkei

Von Manuel Behrens

Zwei Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulars in Hannover sollen zwangsversetzt werden. Sie sollen auf den illegalen Schmuggel von türkischen Staatsbürgern aufmerksam geworden sein.Foto: Tim Schaarschmidt

Die Affäre um türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die im Sommer vergangenen Jahres illegal mit Scheineinladungen auch nach Hannover gekommen waren, geht weiter. Wie Medien in der Türkei berichten, hat das Generalkonsulat der Republik in Hannover am
25. Februar zwei Konsulatsmitarbeiter zurück ins Außenministerium nach Ankara beordert – offenbar gegen deren Willen. Das Ehepaar, das in der Auslandsvertretung in der Nordstadt arbeitet, soll von den unrechtmäßigen Geschäften mit „grauen Pässen“ erfahren haben – und wollte sie aufklären.

Wie die Deutsche Welle Türkei (DW) auf ihrem türkischsprachigen Portal sowie andere türkische Medien berichten, soll das Ehepaar auf den Menschenschmuggel hingewiesen haben. Doch das schien nicht im Interesse der Landesvertretung zu sein. Eine Nachricht der beiden an türkische Behörden sowie alle Generalkonsulate in der Bundesrepublik sei demnach vertuscht worden. Weil beide derzeit krank geschrieben sind, halten sie sich noch in Deutschland auf, heißt es in den Medienberichten. Eine Anfrage zu dem Vorgang an das Generalkonsulat in der Nordstadt blieb bislang unbeantwortet.

43 Personen verschwunden

Mitte April war der Korruptions- und Schmuggelskandal ans Licht gekommen. Im Rampenlicht steht dabei der Unternehmer Ersin K. aus Hannover. Unter dem Vorwand von vermeintlichen Umweltprojekten soll er zwischen dem 30. Juli und
1. August vergangenen Jahres 45 Personen aus der Türkei nach Hannover eingeladen und -geschleust haben. Statt an entsprechenden Workshops teilzunehmen, wollten sich die türkischen Staatsbürger aus ärmlichen Provinzen ein neues Leben aufbauen. Für die „grauen Pässe“, die eine visafreie Einreise in die Bundesrepublik ermöglichen, mussten sie Geld an die türkischen Provinzbehörden zahlen. Die Rede ist von 5000 bis 8000 Euro pro Pass.

Gedacht sind die Pässe eigentlich für dienstliche Auslandsreisen von Staatsbeamten und Politikern. Kommunen können solche Pässe aber auch für Personen beantragen, die zum Beispiel zu Kongressen ins Ausland reisen und eine entsprechende Einladung vorweisen können. Nach der Ankunft in Hannover wurden sie den Personen wieder abgenommen, sodass diese derzeit ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland sind.

Nur zwei von ihnen kehrten wieder in die Türkei zurück, der Rest soll in Deutschland verstreut sein und teilweise Asyl beantragt haben. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Anklage gegen den „Scheineinlader“ K. wegen des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz erhoben, die mittlerweile beim Amtsgericht anhängig ist.

Und der Vorgang in Hannover war offenbar kein Einzelfall. Das türkische Innenministerium ermittelt inzwischen gegen sechs Stadtverwaltungen in den Provinzen Balikesir, Adiyaman, Burdur, Yozgat, Sanliurfa und Ordu. Sie sollen in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen – wie auch dem Unternehmen von Ersin K. – Dienstpässe für Auslandsreisen zu „Volkstanzfestivals“, „Bildungsreisen“ und „Jugendprogrammen“ beantragt haben. Zwischen 1000 und 2000 Türkinnen und Türken sollen so ausgewandert sein. Kurz nach Bekanntwerden des Skandals wurde die Ausgabe der „grauen Pässe“ von türkischer Seite gestoppt.

Anfragen „abgeschmettert“

Doch die Ermittlungen und Konsequenzen in der Türkei beschränken sich auf niedrigere Behördenebenen – so wie die konsularischen Mitarbeiter aus Hannover. Herausgekommen war die Abordnung des Paares in einer parlamentarischen Anfrage der oppositionellen CHP. Der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei, Veli Ababa, kritisierte Regierung und Außenministerium für ihren Unwillen, die Schmuggelaffäre aufzuklären. „Dass die beiden Mitarbeiter für die Entdeckung des Schmuggels bestraft werden, wirft Fragen auf“, zitiert die Deutsche Welle Türkei den Abgeordneten Ababa. Er vermutete hinter dem Vorgang eine Verbindung zwischen Politik und illegalen Schleusergeschäften.

Der Türkeiexperte und Politikwissenschaftler Ismail Küpeli von der Universität Köln sieht das ähnlich. „Die de facto Bestrafung der beiden Diplomaten deckt sich damit, wie die türkische Regierung insgesamt mit dem Skandal um die ,grauen Pässe‘ umgeht“, sagt er auf HAZ-Anfrage. „Anträge der Opposition im Parlament für eine genauere Untersuchung wurden durch die Regierungsmehrheit (AKP und MHP) abgeschmettert.“