Muttersprachliche Medien am Ende?

■ Frankfurter 'Fremden-Info‘ macht sich für Generationswechsel stark

Im Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland ist, selbst wenn man die Ostländer einmal außer Betracht läßt, eine multikulturelle Medienlandschaft nur schwach entwickelt. AusländerInnen versorgen sich entweder mit Zeitungen des Heimatlandes, etwa die TürkInnen mit der täglichen Auswahl von 'Hürriyet‘, 'Milliyet‘ und 'Tercüman‘ — oder, wenn es die Zensur erlaubt, auch schon mal mit dem linken Wochenmagazin 'Ikibin e dogru‘. Aber in diesen Medien, ebenso wie im türkischen Staatsfernsehen, das jetzt in die Kabelnetze eingespeist wird, spielen Nachrichten aus Deutschland die geringste Rolle.

Für eine eigene Publizistik der Millionen hier lebenden EinwandererInnen gibt es mehrere zaghafte Ansätze: einmal die mehrsprachigen Fernseh- und Hörfunksendungen wie 'Rendezvous in Deutschland‘ mit fünf Sprachen, dann die traditionellen „Gastarbeiter“-Programme in jeweils einer „Mutter“sprache, etwa vom Westdeutschen Rundfunk. All das wird zur Zeit auf immer abseitigere, unbequemere Sendezeiten und Frequenzen abgedrängt. Ein anderer Ansatz, nämlich daß JournalistInnen nichtdeutscher Herkunft sich in den Redaktionen aus der Exotenrolle heraus und in eine ihrer Bedeutung angemessenere Rolle hineinhieven, vielleicht sogar mittels Quotierung, ist über die ersten Anfänge in überregionalen Tagungen und Organisationsversuchen noch nicht hinausgekommen.

Eine regelrechte Immigrationspresse mit überregionaler Bedeutung gibt es neben wenigen muttersprachlichen Blättern, etwa 'Derghi‘ (türkisch, aus Essen), in Form der Saarbrücker 'Brücke‘, der Bremer 'Stimme‘ und des Frankfurter 'Fremden-Info‘. Daß alle drei in deutscher Sprache erscheinen, mochte bisher als bloße Frage von Aufwand und Kosten erscheinen, während die Erhaltung der muttersprachlichen Medien nicht zur Debatte stand. Nun meldet sich vehementer Widerspruch zu Wort: Cuma Yagmur, Kurde aus der Türkei und Redaktionssprecher der kämpferischen, zweimonatlich erscheinenden 'Fremden-Info‘, vertritt eine Position, die in der Konsequenz die muttersprachlichen Medien zum Aussterben, zum Untergang verurteilt. „Ich lehne die multikulturelle Gesellschaft ab, also lehne ich auch multikulturelle Medien ab“ — die schrille These erregte nicht zufällig in der Stadt des ersten deutschen multikulturellen Stadtrats Daniel Cohn- Bendit einiges Aufsehen. Eine „globale“ Gesellschaft mit „universalistischen“ Werthaltungen setzt Yagmur gegen den „Multikulturalismus“, der nämlich die Gesellschaft gerade wieder nach den ethnischen Differenzen definieren würde, die man dabei sei zu überwinden.

In dieser Diskussion um „Multikultur“, die Cohn-Bendit mindestens für überzogen, wenn nicht für korinthenkackerische Profilneurose hält, steht Yagmur nicht allein. „Wer von Multikultur spricht, meint gemeinhin Monokultur“, konnte man im Frankfurter 'diskus‘ unter Verweis auf Frankreichs „Neue Rechte“ lesen; der Bielefelder Pädagoge Frank-Olaf Radtke bekämpfte den „Multikulturalismus“ als „Ethnisierung der Gesellschaft“ im Bremer 'Forum entwicklungspolitischer Aktionsgruppen‘. Die erste Generation, so Cuma Yagmur, möge ja ihre Heimatgefühle pflegen, möge versuchen, im Sinne der althergebrachten Werte bis hin zur jungfräulichen Eheschließung weiterzuerziehen, wozu ihr selbstverständlich die muttersprachlichen Sendungen als Vehikel dienen — aber ihre Kinder und Enkel sind Mitglieder der Weltgesellschaft geworden und pfeifen auf die alten Normen wie auf die alte Sprache.

Wenn diese Medien im Generationenkonflikt tatsächlich bankrott gehen, was geschieht dann mit den Menschen, die sich gerade mit ihrer Hilfe in der Einwanderungsgesellschaft zurechtfinden? Nach einem Vortrag Yagmurs über „Schwierigkeiten mit der multikulturellen Öffentlichkeit“ vor dem Frankfurter „Förderkreis Offene Medien“ meinte die italienische Erziehungsberaterin und Psychotherapeutin Rosalba Maccarone empört, wer der Jugend die muttersprachlichen Sendungen wegnehme, zerstöre ihre Identität. Auf einen weiteren Einwand muß der postnationale Kurde gefaßt sein: Immigration als permanenter Prozeß bringt immer neue „erste Generationen“ hervor, heute aus Osteuropa, aus Kurdistan, morgen vielleicht aus Bangladesch. Kann, soll die jeweils jüngere Generation durch das Verwischen der kulturellen Unterschiede dem „eigenen Lager“ den Todesstoß versetzen?

Es ist paradox: Die muttersprachlichen Medien hatten in den letzen zwei Jahren viel Zustimmung verbuchen können. Die ExpertInnen sprachen sich für Erhaltung und Ausbau der ARD-Ausländerprogramme aus; die Mahnwachen gegen die Kürzung des türkischen 'Biz Bize‘ bei Radio Bremen gehörten zu den kräftigsten Aktionen in der Medienpolitik überhaupt; ImmigrantInnenverbände machten sich nicht zuletzt deshalb für die hierzulande produzierten heimatsprachlichen Programme stark, weil die importierten (etwa das türkische TRT) mit ihrer Zensurwillfährigkeit sonst konkurrenzlos wären. In diesem Moment die muttersprachlichen Medien zum auslaufenden Modell erklären? Yagmur nimmt den Widerspruch nicht leicht, setzt aber auf die reale Heimatlosigkeit als praktische Kritik des jeweiligen kulturellen „Eigentums“: „Gott sei Dank bin ich nicht Deutscher, Gott sei Dank bin ich nicht Türke oder Spanier.“ Seine Version: eine Tagesschausprecherin mit schwarzem Kraushaar, aber in der gemeinsamen Verständigungssprache Deutsch

■ Das Porträt

Cuma Yagmur

„Wenn man im eigenen Land als Minderheit gelebt hat, wird man sich auch in einem fremden Land für Minderheiten einsetzen.“ Cuma Yagmur (41), halb Türke, halb Armenier aus Türkisch- Kurdistan und als Alevit Angehöriger einer kleinen islamischen Glaubensgemeinschaft, ist seit fünf Jahren deutscher Staatsbürger — und seit einigen Wochen geschäftsführender Vorsitzender des „Einwanderertreffs“ im Frankfurter Stadtteil Bockenheim.

Cuma Yagmur hat sich in der Migrantenszene der Mainmetropole einen Namen gemacht. Er ist Herausgeber und Chefredakteur des Fremden Info, einer Zeitschrift für MigrantInnen und Deutsche. Seit 1980 ist er mit Sabine Kriechhammer verheiratet, die bei der Interessengemeinschaft von mit Ausländern verheirateten Frauen mitarbeitet. Sein Vater, sagt Yagmur, habe ihm vor seiner Flucht aus der Türkei einen Rat gegeben: „Du sollst dich selbst vertreten und dich nicht von anderen vertreten lassen.“ Und deshalb sei es sein politisches Ziel, die MigrantInnen zu organisieren.

Nach dem ersten Militärputsch in der Türkei 1971 war Yagmur in die Bundesrepublik Deutschland geflohen. Eigentlich wollte er nach Frankreich emigrieren — „weil ich mich als Student intensiv mit der deutschen Geschichte beschäftigt hatte und glaubte, in Deutschland nicht leben zu können“. Doch bei einer Zwischenlandung in Frankfurt/Main traf er einen gleichfalls geflohenen Kommilitonen: „Und so bin ich in Frankfurt hängengeblieben.“ Acht Jahre lang lebte Yagmur mit einem Fremdenpaß in der Stadt. Als die Militärs in der Türkei 1980 erneut putschten, stellte Yagmur einen Asylantrag und wurde als Flüchtling anerkannt. „Mir war nach diesem Putsch klar, daß ich nie mehr in die Türkei zurückgehen konnte und wollte.“

Seit 1985 ist Yagmur „auf dem Papier“ deutscher Staatsbürger. Doch weil ihn die Türkei nicht aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen hat, kann Yagmur auch als Deutscher nicht in seine Heimat reisen. „Die würden mich an der Grenze sofort verhaften.“

Und deshalb bleibt Yagmur hier in Frankfurt. Wegen Rostock und Hoyerswerda, sagt Yagmur, sei die Arbeit im „Einwanderertreff“ noch wichtiger geworden. Sie könen alle zu ihm kommen in die Kasseler Straße 13, die ausländischen Jugendlichen und die Frauen — „und selbstverständlich auch die Männer“. Yagmur und sein kleines Team leisten Beratungsarbeit, bieten themenzentrierte Diskussionsabende an oder laden einfach nur zum Plaudern ein. Yagmur: „Man kann doch nicht davonlaufen, vor der Gewalt — wohin auch?“ Sein ganzer Stolz ist seine kleine Tochter Mira-Banu. Und Mira-Banu, sagt Yagmur, soll schließlich einmal in einer „wirklichen multikulturellen Gesellschaft“ leben können. Yagmur: „Dafür lebe und arbeite ich hier in diesem kalten Land.“ Klaus-Peter Klingelschmitt