Gleich und gleicher: Wenn der deutsche Pass nicht reicht
Artikel von Bernd Müller
Deutschland ist gespalten in der Frage der Zugehörigkeit.
(Bild: KI/Bearbeitung heise medien)
In Deutschland entscheidet der Pass über Zugehörigkeit. Im Ausland reicht es, „deutsch“ zu sein – ohne Staatsbürgerschaft. Was bedeutet das für die Debatte über Identität? Ein Kommentar.
Kurz vor dem Ausscheiden aus ihrem Amt sorgte die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für Furore. Sie präsentierte der Öffentlichkeit ein Papier des Verfassungsschutzes, in welchem die Alternative für Deutschland (AfD) als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wurde.
Der Vorwurf gegen die AfD: Ethnisch-kultureller Volksbegriff
Wie bereits vielfach diskutiert wurde: Der Hauptvorwurf gegen die AfD lautete, sich verwende einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff. Das nicht offiziell ausgesprochene Ziel der Partei sei daher, alle deutschen Staatsbürger mit Migrationshintergrund rechtlich abzuwerten und von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen.
Als Beleg führten die Verfassungsschützer Aussagen von AfD-Funktionären an, die etwa von "Passdeutschen" sprachen. Damit solle seitens der AfD-Funktionäre deutlich gemacht werden, dass es einen Unterschied zwischen eingebürgerten und eingeborenen Deutschen gebe. Gegenüber Telepolis erklärte das ein Sprecher des Bundesverfassungsschutzes so:
Im Rechtsextremismus ist eine häufig anzutreffende Formulierung z. B. der Begriff "Passdeutsche", mit dem suggeriert wird, dass es sich bei Deutschen mit Zuwanderungsgeschichte – die ihren deutschen Pass durch Einbürgerung erhalten haben – und gebürtigen Deutschen um qualitativ unterschiedliche Bevölkerungsgruppen handelt.
Millionenschwere Deutschtums-Förderung im Ausland
Diese Bewertung verwundert nicht nur, weil die offizielle Beschlusslage der AfD – noch – etwas anderes sagt. Sie ignoriert nämlich auch, dass alle deutschen Regierungen der vergangenen 110 Jahre von einem deutschen Volk ausgingen, das sich nicht unbedingt über die Staatsbürgerschaft definiert.
Die Ampel-Regierung mit Nancy Faeser als Innenministerin machte hier keine Ausnahme. Millionenbeträge wurden aufgewendet, um das Deutschtum im Ausland zu fördern. In der Amtszeit von Nancy Faeser flossen rund 64 Millionen Euro (davon fast zehn Millionen für 2025 bewilligt) aus dem Haushalt des Innenministeriums an die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland, wie das BMI gegenüber Telepolis bestätigte.
Gemäß Zweckbestimmung der entsprechenden Haushaltstitel im Einzelplan des BMI und den dazugehörigen Erläuterungen werden aus den zugewiesenen Mitteln im Interesse der deutschen Minderheiten in den jeweiligen Herkunftsländern Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Gemeinschaften, zur Verbesserung der Lebensperspektiven sowie zum Erhalt der ethnokulturellen Identität durch insbesondere Sprach- und Jugendarbeit finanziert.
Antwort BMI
Das BMI kennt die Deutschen also auch als ethnisch-kulturelle Gruppe – zumindest, wenn sie im Ausland leben. Egal, ob die "Jeckes" in Israel, deutsche Minderheiten in Lateinamerika oder in Osteuropa, sie werden vom Innenministerium als Deutsche angesehen, ohne unbedingt die deutsche Staatsbürgerschaft haben zu müssen.
Wie stehen Sie zum ethnisch-kulturellen Volksbegriff?
Er sollte verboten werden.
Er sollte die Politik stärker beeinflussen.
Vom VDA zur Stiftung Verbundenheit: Personelle Kontinuitäten
Die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland, die vom BMI mit üppigen Summen ausgestattet wird, gilt als Mittlerorganisation, arbeitet also im staatlichen Auftrag und vermittelt zwischen den Interessen des deutschen Staates und den Interessen der deutschen Minderheiten.
Sie kann als eine Nachfolgeorganisation des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) angesehen werden, zumindest gibt es inhaltliche und personelle Überschneidungen. Der VDA wurde 1881 gegründet und war ein Sammelbecken für völkische Nationalisten, die das Deutschtum in der Welt fördern wollten.
Wie Walter von Goldendach und Hans-Rüdiger Minow in ihrem Buch "Deutschtum erwache!" zeigen, blieb der VDA dieser Tradition bis in die 1990er Jahre hinein verpflichtet. Dann geriet der Verein immer mehr in Verruf: Parlamentarier der Linken und Grünen gingen vermeintlichen Skandalen rund um den Verein nach, wie in den Unterlagen des Bundestags nachzulesen ist.
1998 benannte sich der Verein um in "Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA)", was den Verein allerdings auch nicht retten konnte. Nachdem VDA-Mitglieder in den 1990er Jahren in Verdacht geraten waren, Gelder veruntreut zu haben, strich die rot-grüne Regierung ihm 1998 Gelder in Millionenhöhe. Im Jahr 2019 stellte der VDA dann seine Arbeit ein.
Im Jahr 2004 wurde die Stiftung Verbundenheit ins Leben gerufen. Die Führung im Stiftungsrat übernahm Hartmut Koschyk (CSU), der im Jahr 1994 zum VDA-Vorsitzenden gewählt worden war. Koschyk war zuvor auch Generalsekretär des "Bundes der Vertriebenen" und vertrat in dieser Funktion offen revanchistische Positionen. So hatte er 1988 mit Blick auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze erklärt:
Die Volksrepublik Polen besitzt über die Gebiete östlich von Oder und Neiße keine territoriale Souveränität, sondern lediglich Gebietshoheit.
zitiert nach: "Deutschtum erwache!", S. 400
In ihrem Buch "Deutschtum erwache!" legen die Autoren auch nahe, dass der VDA in den 1990er Jahren ein deutsches Siedlungsprojekt in der Region Kaliningrad vorantrieb. Ziel war es demnach, dort eine deutsche, autonome Republik zu errichten (S. 456). Um jeden Preis wollte man sie errichten, egal, wie klein sie auch sei. Und Koschyk trommelte demnach für diese Idee: "Die Europäer müssen sich mehr in der Region Königsberg engagieren", wird er in dem Buch wiedergegeben.
Koschyk war nicht nur Generalsekretär des "Bundes der Vertriebenen", sondern auch von 1990 bis 2002 Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Vertriebene und Flüchtlinge" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von 2014 bis 2017 war er als Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten tätig. Seit 2004 bis heute ist er Leiter des Stiftungsrats der Stiftung Verbundenheit.
Rechtliche Verankerung des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs
Auch wenn es zwischen dem VDA und der Stiftung Verbundenheit eine personelle Kontinuität gibt, ist dies nicht unbedingt mit einer inhaltlichen Kontinuität gleichzusetzen. Darum soll es hier auch nicht gehen.
Bedeutender ist, dass der Verweis auf das deutsche Volk als ethnisch-kulturelle Gruppe, der 1913 in das Staatsbürgerrecht Eingang gefunden hat, bis heute fest im deutschen Rechtssystem verankert war.
Im "Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit" aus dem Jahr 1955 etwa wurde immer wieder auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volk – mit oder ohne deutschen Pass – verwiesen. Erst mit der grundlegenden Novelle des Staatsangehörigkeitsrecht, die im Jahr 2000 in Kraft trat, wurde der Verweis auf eine Volkszugehörigkeit im StAG gestrichen. Heute findet sich dieser Verweis aber noch im Bundesvertriebenengesetz.
Man mag das Gerede über "Passdeutsche", die von anderen Deutschen unterschieden werden, schrecklich finden. Das ändert aber nichts daran, dass die bundesdeutsche Politik die Unterscheidung zwischen ethnisch-kulturellem Volk und Staatsvolk selbst betreibt. Hätte Faeser mit dieser Tradition ernsthaft brechen wollen, dann hätte sie wohl auch die Deutschtums-Politik im Ausland einstellen müssen.
Dass im Inland alle Deutschen gleich sind, gebietet das Grundgesetz und darüber wachen Institutionen und Gerichte. Aber das stellt die AfD bislang auch nicht offiziell infrage