AfD spricht von „großartigem Tag für die Demokratie“ – Proteste vor CDU-Parteizentrale

Von: Welt

Der Bundestag stimmt für eine verschärfte Migrationspolitik. Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion zeigen sich erschüttert. Die AfD feiert das Abstimmungsergebnis. Lesen Sie hier alle Reaktionen.

Mit knapper und durch Stimmen der AfD erreichter Mehrheit hat die Union einen Antrag für eine drastische Verschärfung der Asylpolitik im Bundestag durchgesetzt. Das Parlament nahm am Mittwoch mit 348 Ja-Stimmen gegen 345 Nein-Stimmen ein fünf Punkte umfassendes Papier an, das von der Bundesregierung die Umsetzung unter anderem von dauerhaften Grenzkontrollen, Zurückweisungen von Schutzsuchenden und eine Inhaftnahme vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer verlangt.

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) verteidigte nach der Abstimmung dieses Vorgehen. „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen“, sagte der Fraktionsvorsitzende. Für Freitag hat die Union die Abstimmung über einen Gesetzentwurf, der Asylrechtsverschärfungen vorsieht, auf die Tagesordnung setzen lassen. Auch er könnte mithilfe der Stimmen der AfD angenommen werden.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirft dem Unions-Kanzlerkandidaten indes nach der Abstimmung eine unverantwortliche Leichtfertigkeit vor. Dieser Tag werde sich ins Gedächtnis der Demokratie und wohl auch in die Geschichte des Landes eingraben. „Unsere Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, ist empört“, sagte Mützenich und nannte den wohl mit Stimmen der AfD beschlossenen Antrag der Union leichtfertig und wahrheitswidrig. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar entscheide sich, ob es sich nur um einen leichtfertigen, unverantwortlichen Fehler handele, „oder ob die Rutschbahn noch weitergeht“, betonte Mützenich. Zu seinem Statement hatte sich die gesamte SPD-Fraktion im Bundestag hinter ihrem Vorsitzenden versammelt.

Habeck spricht von „Bruch mit der Tradition der Republik“

Der Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck warf der Union einen „Bruch mit der Tradition der Republik“ vor. Es werde nicht irgendeine Sachfrage entschieden, sondern es gehe um die politische Kultur, sagte Habeck.

Auch die Co-Vorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, sprach während einer Unterbrechung der Bundestagssitzung von einem „schwarzen Tag für unsere Demokratie“. In einem Appell an CDU/CSU sagte sie: „Es braucht die Union in der Mitte der Gesellschaft, es braucht die Union in der Mitte der demokratischen Parteien, es braucht die Zusammenarbeit mit der Union.“ Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der Union, wolle sie gern wieder glauben. Dafür müsse er etwas tun. „Und dafür muss die Brandmauer wieder aufgerichtet werden. Das ist die Glaubwürdigkeit, die Friedrich Merz wiederherstellen muss.“ Es brauche eine Zusage von ihm, dass er so etwas künftig nicht wiederhole.

Dröge und ihre Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann machten jedoch keine Absagen zu möglichen schwarz-grünen Koalitionen. Dröge betonte, mit ihrer Forderung an die Union, zurück in die demokratische Mitte zu kommen, stehe ganz bewusst eine Einladung, „auch weiterhin miteinander über die Zukunft zu sprechen und auch die Verantwortung für das Land zu übernehmen.“ Gerade jetzt brauche es einen kühlen Kopf. Auch Haßelmann äußerte sich dazu „Jede demokratische Kraft muss bündnisfähig sein.“

AfD feiert großartigen Tag für die Demokratie

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel hat das Bundestagsvotum für mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen als „großartigen Tag für die Demokratie“ gefeiert. „Wir sehen, dass bürgerliche Mehrheiten da sind und vernünftige Anträge beschlossen werden können“, sagte sie. Weidel rief die Union zum Nachdenken darüber auf, „ob man die Brandmauer, die aus unserer Sicht undemokratisch ist, weiter aufrechterhält.“

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                                     Selfie im Bundestag: Die AfD ist zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis Michael Kappeler/dpa

Die Union habe die Begrenzung der Migration selbst lange abgelehnt, sagte Weidel. Nun habe sie Forderungen der AfD übernommen. Sie gehe davon aus, dass sich die Mehrheiten weiter zugunsten von „bürgerlichen Mehrheiten von Blau-Schwarz“ verschieben würden.

Fraktions- und Parteichef Tino Chrupalla sprach von einer „Zeitenwende in der Migrationspolitik“. Er hoffe darauf, dass Friedrich Merz am Freitag den angekündigten Gesetzentwurf zur Migration auch wirklich zur Abstimmung stelle.

Die Spitzenkandidatin der Linken für die Bundestagswahl, Heidi Reichinnek, sagte im Plenum nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses: „Herr Merz, aller politischen Differenzen zum Trotz, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert!“.

Die Mehrheiten mit der AfD seien nicht in Kauf genommen worden und keine Zufallsmehrheiten. „Sie haben diese Mehrheiten gesucht, gemeinsam mit der FDP haben sie diese Mehrheiten gezielt gesucht und das ist das verdammte Problem und Sie verstehen es bis jetzt noch nicht!“, rief Reichinnek in Richtung Union.

Mehrere hundert Menschen protestieren bei einer Kundgebung vor der CDU-Zentrale in Berlin REUTERS/Annegret Hilse

Vor der CDU-Parteizentrale in Berlin haben am Abend derweil mehrere hundert Menschen gegen das gemeinsame Abstimmen von Union und AfD für eine schärfere Migrationspolitik im Bundestag demonstriert. Zu der Kundgebung unter dem Motto „Brandmauer statt Brandstiftung“ hatten unter anderem Amnesty International, Seebrücke und andere Organisationen aufgerufen. Die Polizei sprach zunächst von rund 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.