Asylpolitik: AfD verhilft Union zu Mehrheit
Artikel von Von Robert Roßmann, Berlin
Von: SZ SZ.de
Ein denkwürdiger Tag: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hört im Bundestag der Rede von CDU-Chef Friedrich Merz zu. © JOHN MACDOUGALL/AFP
Der Bundestag nimmt einen Antrag zu Verschärfungen in der Migrationspolitik an. Bundeskanzler Scholz wirft CDU-Chef Merz vor, mit extremen Rechten gemeinsame Sache zu machen und damit den Grundkonsens der Republik aufzukündigen.
AfD verhilft Union zu Mehrheit
Eine Woche nach der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg hat der Deutsche Bundestag am Mittwochabend einen Antrag der oppositionellen Unionsfraktion zur deutlichen Verschärfung der Migrationspolitik angenommen. Die Mehrheit kam nur dadurch zustande, dass auch Abgeordnete der in Teilen rechtsextremen AfD mit Ja gestimmt haben. Das hat es bisher nicht gegeben, es handelt sich deshalb um eine Zäsur im Parlamentsbetrieb. An der namentlichen Abstimmung hatten sich 703 Abgeordnete beteiligt, 348 votierten mit Ja, 345 mit Nein. Zehn Abgeordnete enthielten sich. Ein zweiter Antrag der Unionsfraktion zur inneren Sicherheit bekam dagegen keine Mehrheit.
In der Debatte vor den Abstimmungen hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein aussichtsreichster Herausforderer, CDU-Chef Friedrich Merz, einen heftigen Schlagabtausch über den richtigen Umgang mit der AfD geliefert. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte zuvor darum gebeten, dass die Auseinandersetzung „ehrlich, schonungslos und respektvoll“ geführt wird, doch Scholz und Merz konzentrierten sich auf das „schonungslos“.
Der Bundeskanzler sagte in der Debatte mit Blick auf Merz: „Bisher kannten wir Ihre Umfaller und Zickzack-Kurse nur von anderen Stellen: Aus der Außenpolitik – ich sage nur: Taurus-Ultimatum. Oder beim Renteneintrittsalter, wo Sie den Leuten etwas anderes erzählen, als in Ihrem Parteiprogramm steht.“ Aber in einer für das Land so zentralen Frage, nämlich der Frage, ob man als Demokrat mit den extremen Rechten gemeinsame Sache mache, da habe er den Zusicherungen von Merz bisher „wirklich vertraut“. Seit Gründung der Bundesrepublik vor mehr als 75 Jahren habe es immer einen klaren Konsens aller Demokratinnen und Demokraten gegeben: „In unseren Parlamenten machen wir mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache!“ Doch Merz habe jetzt „diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt“.
Es gebe aber Grenzen, die man als Staatsmann nicht überschreiten dürfe, sagte Scholz. Der Amtseid eines Bundeskanzlers laute, die Verfassung und das Recht zu wahren und zu verteidigen. Merz habe jetzt jedoch erklärt, er wolle mit seinen Vorschlägen zur irregulären Migration „‚all in‘ gehen – so wie man das beim Pokerspielen so dahersagt“. Aber Politik in unserem Land sei „doch kein Pokerspiel – der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz“. Ein deutscher Bundeskanzler dürfe „kein Zocker sein, denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden“.
Scholz sagte, für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sei nun jedenfalls vollkommen klar: "Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben - sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland.“
Die Vorwürfe gegen ihn seien „niederträchtig und infam“, sagt Merz
Merz verwahrte sich anschließend in seiner Rede vehement gegen Vermutungen, die Union könnte nach der Wahl mit der AfD zusammenarbeiten oder sogar eine Koalition bilden. Solche Äußerungen seien „niederträchtig und infam“, sagte der CDU-Vorsitzende. Er beklagte außerdem, dass Scholz zuvor behauptet hatte, es gebe vor allem ein Vollzugsdefizit – und keinen Mangel bei den gesetzlichen Grundlagen. Und er wies den Vorwurf zurück, die Vorschläge der Union würden gegen Europarecht verstoßen.
Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU eröffne dem nationalen Recht den Vorrang bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sagte Merz mit Blick auf Scholz. „Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor Sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?“ Zudem sei im Artikel 16a des Grundgesetzes ausdrücklich geregelt, dass sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen könne, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Land einreise, in dem die Europäische Menschenrechtskonvention gelte. „Das trifft für alle zu, die auf dem Landweg nach Deutschland kommen.“
Merz verteidigte seinen Kurswechsel, jetzt auch Anträge und Gesetzentwürfe zur Abstimmung zu stellen, die nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erreichen können. Die beiden Anträge, die die Unionsfraktion am Mittwoch eingebracht habe, und der Gesetzentwurf der Unionsfraktion, über den am Freitag abgestimmt werden solle, seien „unabweisbar notwendig“, sagte der CDU-Chef. „Ja, es kann sein, dass die AfD hier im Deutschen Bundestag am Freitag erstmalig die Mehrheit für ein notwendiges
Abgeordneten sehen, die werden unerträglich sein und der Gedanke daran bereitet mir schon jetzt größtes Unbehagen.“
Aber vor die Wahl gestellt, weiter ohnmächtig zuzusehen, wie Menschen in Deutschland bedroht, verletzt und ermordet werden, vor die Wahl gestellt, der rot-grünen Minderheit hier im Deutschen Bundestag weiterhin die Deutungs- und Entscheidungshoheit in der Asyl- und Einwanderungspolitik zu überlassen, „oder jetzt aufrechten Ganges das zu tun, was unabweisbar in der Sache notwendig ist, vor diese Wahl gestellt, entscheide ich mich und entscheiden wir uns für diesen letztgenannten Weg.“ Eine richtige Entscheidung werde nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Die Politik sei es den Menschen in Deutschland schuldig, „jetzt wirklich jeden Versuch zu unternehmen, die illegale Migration zu begrenzen, die ausreisepflichtigen Asylbewerber in Gewahrsam zu nehmen und endlich abzuschieben“. Mit der Ampel-Koalition sei in diesen Fragen leider keine Lösung möglich gewesen.