Scholz wirft Merz „unverzeihlichen Fehler“ vor – CDU-Chef spricht von „infamer Unterstellung“
Der Bundestag debattiert nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg über die Migrationspolitik. Bundeskanzler Scholz nennt die Vorschläge der Union verfassungswidrig. CDU-Chef Merz verteidigt seine Pläne – und nennt Aussagen von Scholz „niederträchtig“. Ein Überblick.
Scholz wirft Merz „unverzeihlichen Fehler“ vor – CDU-Chef spricht von „infamer Unterstellung“ © Getty Images/Sean Gallup
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz in der Migrations-Debatte scharf angegriffen und ihm rechtswidrige Scheinlösungen vorgeworfen. Die von Merz angekündigten Maßnahmen verstießen gegen die Verfassung und europäisches Recht, sagte der SPD-Politiker im Bundestag. Solche Scheinlösungen beschädigten den Rechtsstaat und würden das Fundament der EU untergraben. „Genau das aber tun Sie, Herr Merz, wenn Sie sagen, wir wenden europäisches Recht an unseren Grenzen einfach nicht mehr an“, kritisierte Scholz.
Scholz warf Merz vor, einen „unverzeihlichen Fehler“ zu machen, indem er eine Mehrheit zusammen mit der AfD im Bundestag riskiere. „Es ist nicht gleichgültig, ob man mit den extremen Rechten zusammenarbeitet. Nicht in Deutschland“, fügte er hinzu. Merz habe einen „Grundkonsens unserer Republik im Affekt“ aufgekündigt. „Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten.“ Scholz verwies darauf, dass die Konservativen in Österreich nach der Wahl mit der FPÖ zusammenarbeiten wollen.
„Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben“, warnte er im Bundestag. „Sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland.“ Die Union schließt eine gemeinsame Koalition mit der AfD aktuell allerdings klar aus.
In Aschaffenburg hatte der Afghane Enamullah O. vergangene Woche eine Kindergartengruppe angegriffen. Ein zwei Jahre alter Junge wurde getötet. Ein 41 Jahre alter Passant, der helfen wollte, wurde ebenfalls tödlich verletzt. O. sollte schon 2023 abgeschoben werden, das Bundesinnenministerium macht auch Überlastung im BAMF dafür verantwortlich, dass das nicht geschehen sei.
Die Union will ihre beiden Anträge zur Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik zur namentlichen Abstimmung stellen. Eine der Anträge sieht einen Fünf-Punkte-Plan vor, in dem unter anderem permanente Grenzkontrollen und Zurückweisungen auch von Schutzsuchenden gefordert werden. Die politische Konkurrenz kritisiert Unions-Kanzlerkandidat Merz seit Tagen dafür, weil er für eine nötige Mehrheit auch Stimmen der AfD in Kauf nehmen würde.
Scholz kritisiert auch das BAMF
In seiner Regierungserklärung kritisierte Scholz das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wegen Verzögerungen im Verfahren des Tatverdächtigen des Messerangriffs von Aschaffenburg. „Ja, auch das BAMF hätte schneller sein müssen“, sagte er. Das habe er dem Präsidenten der Behörde mitgeteilt. „Denn das ist nicht akzeptabel.“ Aber auch die bayerische Landesregierung machte er erneut dafür verantwortlich, dass der afghanische Tatverdächtige von Aschaffenburg nicht abgeschoben worden war.
Außerdem kündigte Scholz weitere Abschiebungen nach Afghanistan an. „Der nächste Flug ist in Vorbereitung“, sagte er. „Und wir schauen uns auch die Entwicklung in Syrien an. Sobald die Lage es vorlässt, werden wir auch dahin Abschiebungen vornehmen.“
Merz wehrt sich gegen Vorwürfe
Der Unionsfraktionschef Friedrich Merz verteidigte sich gegen die Kritik von Scholz – und nannte seine Vorschläge zur Migrationspolitik rechtmäßig. Der EU-Vertragsartikel 72 eröffne dem nationalen Recht den Vorrang bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. „Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?“, fragte Merz.
„Es kann sein, dass die AfD hier im Deutschen Bundestag am Freitag erstmalig die Mehrheit für ein notwendiges Gesetz ermöglicht“, sagte Merz zu einem Gesetzentwurf, das die Union noch diese Woche einbringen möchte. Er fügte hinzu: „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig.“
Die Bilder, die wir gegebenenfalls von jubelnden und feixenden AfD-Abgeordneten sehen, die werden unerträglich sein. Und der Gedanke schon daran bereitet mir jetzt größtes Unbehagen“, sagte Merz. Die Demokratie gerate aber auch in Gefahr, wenn eine gesellschaftliche und politische Minderheit „die Radikalen als Werkzeug benutzt, um den Willen der Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft zu ignorieren“, kritisierte Merz SPD und Grüne. Die Union werde sich von beiden Parteien nicht mehr sagen lassen, „was wir zu tun und was wir nicht zu tun haben“.
Scharf wies Merz den Vorwurf von Kanzler Scholz zurück, er strebe nach der Wahl eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD an. Eine solche „Unterstellung“ sei „niederträchtig und infam“, sagte Merz.
„Was ist das für ein erbärmliches Demokratieverständnis?“, fragt Weidel
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel griff Oppositionsführer Merz scharf an. „Sie haben Ihre Chancen gehabt, echtes Kanzlerformat zu beweisen“, sagte Weidel an die Adresse des Unions-Kanzlerkandidaten. Aber Merz werde in der Migrationspolitik bereits gebremst von den eigenen Reihen und lehne eine Zusammenarbeit mit ihrer Partei weiter ab. „Was ist das für ein erbärmliches Demokratieverständnis?“, fragte Weidel. „Mit dieser Union ist tatsächlich kein Staat zu machen.“
Sie fügte hinzu: „Die sogenannte Brandmauer ist nichts anderes als eine antidemokratische Kartellabsprache“, um Millionen von Wählern auszuschließen.