Kann die Erfahrungen meiner Tochter nicht ignorieren“ – Özdemir fordert Kehrtwende bei Migration

Cem Özdemir (Grüne) berichtet in einem Gastbeitrag bei der FAZ, dass seine Tochter in Berlin von jungen Männern mit Migrationshintergrund sexuell belästigt wird. Ihre Freundin sei wiederum Opfer rassistischer Übergriffe. Der Landwirtschaftsminister fordert eine Wende in der Migrationspolitik.

Von Faz

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                                                                Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) HCPlambeck/WELT

Ungewohnt persönliche Worte von Cem Özdemir (Grüne): In einem Gastbeitrag bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) geht Deutschlands Landwirtschaftsminister, selbst ein Kind türkischer Einwanderer, hart mit der derzeitigen Migrationspolitik ins Gericht – und nennt als Hauptgrund für seine deutliche Kritik verstörende Erfahrungen seiner Tochter.

Seine Tochter mache im nächsten Jahr Abitur und überlege gerade, was sie gerade mit ihrem Leben anfangen wolle, schreibt Özdemir. Und ihm bereite Sorgen, wie sich das Land seit seiner Schulzeit verändert hat. „Wenn ich ihr zuhöre, bin ich nicht sicher, ob das Erwachsenwerden heute so unbeschwert ist, wie ich es damals empfunden habe.“

Während die Freundin einer Tochter aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe auf einem Campingplatz in Mecklenburg an der Ostsee verbal dermaßen beleidigt und angefeindet worden sei, dass der Urlaub nach einem Tag habe abgebrochen werden müssen, sehe sich Özdemirs Tochter in Berlin vor allem sexueller Belästigung durch junge Männer mit Migrationshintergrund ausgesetzt. „Gegen solche Übergriffe hat sie sich, wie viele Frauen, das sprichwörtliche dicke Fell zugelegt“, berichtet Özdemir. „Doch ich spüre, wie sie das umtreibt. Und wie enttäuscht sie ist, dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.“

Er schreibe den Beitrag nicht nur als Politiker Özdemir, sondern als sich sorgender Vater. „Während gerade die junge Generation gut begründete Sorgen haben müsste, Sorgen um das Erstarken autoritärer Kräfte, Kriege, Bürgerkriege und Unterdrückung, Klimakrise und Artensterben, dominiert gerade ein ganz anderes Thema die Debatten nicht nur bei uns im Land.“ Deutschland müsse das Thema Migration dringend angehen, damit eine Debatte darüber überhaupt wieder möglich werde, fordert Özdemir.

Die Erfahrungen seiner Tochter könne Özdemir nicht ignorieren. „Als Vater will ich es nicht, als Politiker darf ich es nicht.“ Es sei nun wichtig, Realitäten zu benennen, zu „sagen, was ist. Und uns eingestehen, dass wir es uns in der Echokammer der eigenen Selbstvergewisserung viel zu gemütlich eingerichtet haben – links wie rechts.“

Dabei müsse reguläre und irreguläre Migration auseinandergehalten werden. „Der Kompass ist verrutscht. Zeit, ihn wieder richtig einzustellen.“ Die deutsche Asylpraxis habe sich im vergangenen Jahrzehnt „immer mehr zu einem Recht des Stärkeren entwickelt. Es kommen eben gerade nicht nur die Verletzlichsten und Schutzbedürftigsten aus den Krisengebieten der Welt, sondern in ganz überwiegender Zahl die Stärkeren, das heißt junge Männer.“ Diese Entwicklung höhle zunehmend die Akzeptanz für das Grundrecht auf Asyl aus und führe zu massiven gesellschaftlichen Verwerfungen.

Wir müssen wissen, wer im Land ist“

Die Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland sei lange konsequent ausgeblendet worden. „Diese Strategie kann man nur mit Amnesie erklären. Und zwar durch diejenigen, die mit Anwerbeabkommen und großzügiger Flüchtlingsaufnahme Deutschland faktisch zum Einwanderungsland gemacht haben“, sagt Özdemir. „Diese Ignoranz hat nicht nur den Zusammenhalt unseres Landes gefährdet, sondern auch unseren Wohlstand und die Produktivität.“

Deutschlands Landwirtschaftsminister fordert: „Wir müssen wissen, wer im Land ist. Wir müssen dafür sorgen, dass nur die im Land sind, die hier sein dürfen.“ Bei denen, die hier sind, müsse Deutschland in die Integration und Identifikation mit gesellschaftlichen Werten investieren. „Und mit Vehemenz als Aufnahmegesellschaft einfordern, was es dafür braucht: Sprache, Arbeit, Bekenntnis zum Grundgesetz!“

Am Ende seines Beitrags ruft der Landwirtschaftsminister die „demokratischen Kräfte“ dazu auf, bis zur Bundestagswahl das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen. „Sonst gerät etwas dauerhaft ins Rutschen, wofür wir dann alle Verantwortung tragen, die wir wissend um die drohenden Gefahren für unser Land nicht gehandelt haben“, mahnt Özdemir.