Taktik im Mannheim-Skandal als Eigentor: Die Kritik an der Grünen Tuba Bozkurt schadet der Integrationspolitik

                  Geschichte von Michael Wolffsohn
Mannheim ist tot?“, rief die Grünen-Politikerin Tuba Bozkurt in den Saal des Berliner Abgeordnetenhauses. Seltsam. Oder doch nicht? Der Reihe nach.
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                                             Tuba Bozkurt (Bündnis 90/Die Grünen) im März 2024 im Berliner Abgeordnetenhaus. © Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

 

Das Jedermanns-Lexikon Wikipedia fasst den Vorgang kurz, knapp, klar zusammen. Im Juni 2024 verursachte Tuba Bozkurt im Berliner Landesparlament während einer Fragestunde zum Messerangriff in Mannheim am 31. Mai 2024, bei dem der Polizist Rouven Laur ermordet und weitere Personen schwer verletzt worden waren, einen Skandal.

 „Als Innensenatorin Iris Spranger (…) einen Satz mit ‚Der schreckliche Tod von Mannheim zeigt uns natürlich …‘ begonnen hatte, reagierte Bozkurt mit dem offenbar als Scherz gemeinten Zwischenruf ‚Mannheim ist tot?‘ Die Vorsitzenden der Fraktion der Grünen, Werner Graf und Bettina Jarasch, der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, und schließlich auch Bozkurt selbst entschuldigten sich daraufhin öffentlich für das ‚falsche‘, ‚unanständige‘ und ‚pietätlose‘ Verhalten. Die Berliner Grünen-Politikerin Marianne Birthler forderte Bozkurt zum Rücktritt auf. Als Konsequenz verzichtete Bozkurt auf ihren Sitz im Präsidium des Abgeordnetenhauses.“ So weit also Wikipedia.

Nicht genug damit. Der ehemalige Leiter Spezialeinsatzkommandos der Berliner Polizei, Lothar Ebert, erstattete Anzeige gegen Frau Bozkurt. Das warf er ihr vor: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Billigung und Belohnung von Straftaten. Der Ex-Polizist wörtlich: „Sie hat sich entschuldigt, aber die Motivation kann ich ihr nicht abnehmen. Ich fühle mich als Polizeibeamter beleidigt.“

Die Kritik an Bozkurt ist sachlich falsch

Die Kritik an sowie, ja, die Empörung über das Verhalten der Grünen Politikerin ist in jeder Hinsicht unangemessen, weil sachlich falsch. Sogar total falsch. Ihr wohl eher (von wem?) erzwungener Rücktritt war sicher taktisch motiviert und integrationspolitisch und bezogen auf die politische Kultur unseres Landes kontraproduktiv. Ein klassisches Eigentor. Zugleich ein Lehrstück dafür, wie Taktik die eigene Strategie zunichtemacht.

Meine Kritik an den Bozkurt-Kritikern fällt mir sehr schwer, denn die meisten kenne und schätze ich seit langem. Außerdem zähle ich seit Jahrzehnten zu den wenigen öffentlichen Intellektuellen, die sich von der Polizei geschützt fühlen (und dies auch werden) und sie tatsächlich als „Freund und Helfer“ bezeichnen. Anders als die Vorsitzende der einstigen Volkspartei SPD erkenne ich auch nicht, dass „die“ Polizei ein Rassismus-Problem hat. Und jedes Mal, wenn ich unsere Polizei pries, blies mir der Wind derer ins Gesicht, für die Polizisten „Schweine“ oder bestenfalls „Bullen“ sind. Oder eben solche, die unsere Polizei in die Rassisten-Ecke schubsen.

Wo steckt in den drei Bozkurt-Worten „Mannheim ist tot?“ das Wort „Polizei“? Nirgends. Ergo: Wo nicht von der Polizei die Rede ist, kann die Polizei auch nicht beleidigt worden sein.

Die Berliner SPD-Senatorin sagte: „der Tod von Mannheim“. Sie meinte: den Tod des Polizisten in Mannheim. Inhaltlich, sprachlich und logisch absolut unanfechtbar fragte daraufhin Tuba Bozkurt: „Mannheim ist tot?“

Ironie der Geschichte: Die Senatorin ist, der Ausdruck sei ausnahmsweise erlaubt, „Biodeutsche“ und bekleidet ein hohes Staatsamt in Deutschlands Hauptstadt. Darf man da nicht erwarten, dass sie richtiges, unmissverständliches Deutsch spricht? „Peanuts“ werden manche mir entgegnen. Irrtum, antworte ich, denn: Immer wieder verkünden nicht nur Politiker zurecht (!), dass Ausländer in Deutschland sowie Neu-Deutsche „mit Migrationshintergrund“ Deutsch können müssen. Nur so sei Integration möglich. Nur so würden „die Ausländer“ und Neu-Deutschen tatsächlich bei uns „ankommen“.

Bozkurt personifiziert Integration

Richtig. Dann müssen aber gerade diejenigen, die dies fordern, mit gutem Beispiel vorangehen. Andernfalls machen sie sich selbst vom Gärtner zum Bock. Sie machen sich lächerlich. Freundlicher formuliert: Sie machen sich unglaubwürdig und schaden damit der Sache, also echter Integration, also Partnerschaft auf Augenhöhe, statt bloßer oder gar polarisierter Nachbarschaft.

Ironie der Geschichte und am Namen leicht erkennbar: Tuba Bozkurt ist Deutsche mit Migrationshintergrund. Ihre Großeltern kamen als Gastarbeiter zu uns. Tuba Bozkurt spricht absolut fehler- und akzentfreies, sehr gepflegtes und nuancenreiches Deutsch. Ich kenne sie und weiß es, weil sie den Berliner Wahlkreis vertritt, in dem ich wohne. Das bedeutet: Frau Bozkurt personifiziert echte Integration. Noch ein Eigentor der Kritiker.

„Pietätlosigkeit“ wirft man Frau Bozkurt vor. Ja, wenn. Eben wenn ihr fragender und durchaus gebildet-spitzer Zwischenruf in einer Gedenkstunde ertönt wäre. Tatsächlich fiel er in einer Fragestunde. Seit wann sie bei solchen Sitzungen Zwischenrufe ungebührlich?

Mein Fazit, gerade weil ich nicht nur Frau Bozkurt, sondern viele ihrer Kritiker und eben die Polizei schätze: Die Bozkurt-Kritiker und teils -Jäger haben der Integrationspolitik und der politischen Kultur unseres Landes geschadet. Nicht einmal ihre grünen Partei„freunde“ haben sie verteidigt. Dabei gilt gerade Integrationspolitik als Markenzeichen der Grünen.

Menschliches, allzu Menschliches: Der Erste gibt den Ton an, und dann laufen alle mit und dem „Leithammel“ nach. Nein, „typisch deutsch“ ist das nicht. Doch gerade in Deutschland sollte man noch mehr als woanders erst denken und dann nach- oder mitlaufen.