Maischberger“ zu Migration: Boris Palmer: Wir schieben systematisch die Falschen ab
Bei Sandra Maischberger ging es am Dienstagabend in der ARD um eine Nachlese zur Europawahl, aber auch das Thema Migration und die tödliche Messerattacke von Mannheim, bei der ein Polizist starb. Zu Gast waren Sergej Lochthofen (Publizist), Anna Planken (ARD-Moderatorin), Nikolaus Blome (n-tv/RTL), Christian Wulff (CDU-Ex-Bundespräsident). Janine Wissler (Linke) und Boris Palmer (Bürgermeister von Thüringen).
Beim Einzelgespräch mit dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff weist Maischberger darauf hin, dass der CDU-Politiker parteipolitisch nicht mehr gebunden sei und sich daher frei äußern könne. Wulff kritisiert, dass es in Deutschland derzeit wenig wichtige Visionen gebe. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könne dies insbesondere der jungen Generation nicht vermitteln. Wulff wirbt für eine europäische Vision. Zur Rechtsruck gerade in den ostdeutschen Bundesländern sagt der 64-Jährige, es sei für ihn „selbstverständlich, dass man keine Zusammenarbeit mit der AfD macht. Die ist so rechtsextremistisch, dass das ausgeschlossen ist“, sagt Wulff klar.
Ex-Bundespräsident Wulff widerspricht Parteichef Merz beim Thema BSW
Weitere Ausschlüsse hält Wulff allerdings für falsch. Er rät CDU-Chef Friedrich Merz davon ab, Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) grundsätzlich abzulehnen. Er halte es „für falsch und auch nicht für hilfreich, wenn das von der Bundespartei kommt“, sagt Wulf. Die „Landesparteien müssen in ihren Ländern ganz wesentlich autonom entscheiden“, so der ehemalige CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen (2003-2010). „So wie sich Herr Merz ja nicht reinreden lassen wird, wenn er morgen mit den Grünen und der FDP eine neue Regierungsmehrheit zimmern will.“
Die CDU müsse nach den Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ausloten, mit wem man koalieren könne. „Das kann nicht die AfD sein, das können nicht die Linken sein. Weitere Ausschlüsse halte ich für einen Fehler“, erklärt Wulff. Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linkspartei hat die CDU per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.
Friedrich Merz lehnt Zusammenarbeit mit BSW ab
Merz war am Montagabend in der ARD gefragt worden, ob er bereit sei, über eine Zusammenarbeit oder Koalition mit dem BSW nachzudenken, um im Osten AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. „Das ist völlig klar, das haben wir auch immer gesagt. Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen“, antwortete Merz. Für Wagenknecht gelte: „Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem.“
Auch in der „Elefantenrunde“ am Sonntagabend bei n-tv hatte sich Merz gegen jegliche Zusammenarbeit mit dem BSW ausgesprochen. Er sei „fassungslos über die Geschichtsvergessenheit“ einiger Menschen, so Merz. Die freiheitliche Ordnung Europas müsse gegen die russische Aggression verteidigt werden. Daher verbiete sich die Zusammenarbeit mit der AfD und auch der Wagenknecht-Partei, da beide Friedensverhandlungen mit Putin forderten.
Debatte bei Maischberger über Migration und Islamismus
Zum Thema Migration sagt Wulff, Deutschland brauche Zuwanderung. Am Ende werden man auch eine positive Bilanz zu der eine Million Menschen ziehen, die 2015 zu uns gekommen seien. „Ich rate uns, den 4. September 2040 im Kalender zu notieren“, sagt Wulff zur Verwunderung Maischbergers. Es gehe um „25 Jahren Nicht-Schließung der Grenzen Deutschlands“, erklärt Wulff. Dann werden man feststellen, dass man 2015 alles richtig gemacht habe, und sehen, dass man „Forscher, Entwickler, Busfahrer, Olympia-Sieger und Schaffner“ habe.
Maischberger will wissen, wie man mit dem Problem Islamismus umgehen solle. Wulff sagt, über die vielen Muslime, die der deutschen Gesellschaft dienten, werde nicht gesprochen. Gegen einzelne Terroristen müsse man aber strikt vorgehen. Der Attentäter von Mannheim hätte längst nach Afghanistan zurückgeschickt werden müssen. „Law-and-Order“ einerseits und Weltoffenheit andererseits sei für ihn nicht zu trennen, so Wulff. Zuwanderer müssten integriert werden.
Linke-Chefin Janine Wissler kritisiert im Gespräch mit Boris Palmer vor allem, dass Migranten zu Sündenböcken gemacht und Narrative der Rechten immer weiter in die Mitte der Parteienlandschaft getragen würden. Es sei eine „falsche Strategie zu glauben, man könnte den Rechten das Wasser abgraben, wenn man ihre Themen übernimmt“, sagt sie.
Boris Palmer: In Afghanistan, Eritrea und Saudi-Arabien gilt das Faustrecht
Palmer, dessen Einstellung vor allem in der Migrationsfrage zum Zerwürfnis mit den Grünen geführt hatte, sieht dies erwartungsgemäß komplett anders. Seine These: Weil er in Tübingen Probleme mit Migration offen anspreche, habe die AfD hier mit 4,6 Prozent besonders schwach abgeschnitten. Alles sei eine Frage, was von einer Gesellschaft leistbar sei. Wenn es zu viele Zuwanderer beispielsweise in Schulen gebe, „dann werden die Leistungen schlechter, es gibt mehr Gewalt auf dem Schulhof. Das hat was mit Migration zu tun, wie wir sie gestalten“, meint Palmer.
Zu Mannheim sagt er: „Wir regeln Konflikte in unserer Gesellschaft nicht mehr mit dem Faustrecht. Wir sind uns aber einig, dass das in Afghanistan, in Eritrea, in Saudi-Arabien und vielen Ländern, wo die Menschen herkommen, noch nicht so weit ist“, behauptet Palmer. Der Respekt vor Polizei und Justiz sei bei diesen Menschen nicht besonders weit ausgeprägt.
Wir müssen viel früher intervenieren und sagen: Wer Vertreter unseres Staates angreift, der hat hier leider kein Aufenthaltsrecht“, fordert er. Schwere Straftäter müssten auch nach Afghanistan abgeschoben werden können. In Deutschland würden allerdings systematisch die Falschen abgeschoben, und zwar nicht die Straftäter, sondern gut integrierte Menschen.
„Lageristen, Altenpflegerinnen und Fahrradmechaniker“ seien in Tübingen abgeschoben worden, einfach, weil sie sich nicht abgesetzt hätten, sondern brav morgens zur Arbeit erschienen seien. „Während die Drogenhändler im Park immer noch da sind“, ebenso die „Serienkriminellen“, meint Palmer. Dafür bekommt der Bürgermeister Applaus des Publikums. Wissler weist darauf hin, dass dies aus juristischen Gründen nicht immer ganz so einfach sei – ihre Einwände gehen aber fast unter. (mit dpa