Türkischer Präsident wütet gegen den Westen und Israel: Es ist überfällig, Erdogan Grenzen aufzuzeigen
Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die USA und Europa, am Krieg in Nahost Schuld zu sein. Mitte November will der türkische Präsident Deutschland besuchen. Muss er ausgeladen werden?
Schon der Schal macht deutlich, auf wessen Seite Recep Tayyip Erdogan steht. Am Wochenende trägt er bei einer Solidaritätskundgebung vor Hunderttausenden Anhängern über dem Sakko ein Tuch, auf dem neben der türkischen auch die Flagge Palästinas prangt.
Die islamistische Terrorgruppe Hamas nennt er zum wiederholten Male eine „Befreiungsorganisation“, Israel wirft er in seiner Rede Kriegsverbrechen und Massaker vor, dem Westen gibt er die Hauptschuld am Krieg im Nahen Osten.
Doch dabei belässt es der Staatschef nicht. Erdogan spricht fast in einem Atemzug vom Holocaust und westlichen Gräueltaten in Gaza. Und warnt vor einem neuen Kreuzzug gegen die islamische Welt. Dem werde sich sein Land entgegenstellen.
Da wütet einer, der sich als Anwalt aller Muslime geriert und zugleich sowohl die USA als auch Europa verdammt. Es sind Staaten, die wie die Türkei der Nato angehören, also Partner.
Das kümmert Erdogan offenbar herzlich wenig. Nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal unmissverständlich deutlich versucht er, sich auf Kosten der Verbündeten zu profilieren, macht massiv Stimmung gegen sie.
Der Westen darf die Tiraden nicht milde weglächeln
Klar, da lässt sich einer zunächst einmal von innenpolitischen Zielen leiten. In ein paar Monaten sind Kommunalwahlen. Die Kundgebung sollte schon mal die Gefolgsleute der Regierungspartei AKP in Stimmung bringen. Doch folgt für den Westen daraus, die Vorwürfe einfach an sich abprallen zu lassen, sie als bloße Rhetorik wegzulächeln?
Nein, das kann und darf nicht sein. Denn es hieße, Erdogans Tiraden, die einer Kampfansage gleichen, nicht ernstzunehmen. Aber das sollte man tunlichst. Zu offenkundig ist, dass das türkische Staatsoberhaupt bereit zu sein scheint, mit dem Westen zu brechen.
Erdogans Ausfälle, Erdogans Eitelkeit
Erdogan sieht sein Land als Großmacht, das stark genug ist, diesen Schritt zu gehen. Ein Trugschluss, der zwar zu seinem großen Ego passt, jedoch beispielsweise angesichts finanzieller Abhängigkeiten geradezu hasardeurhaft wirkt. Apropos Eitelkeit: Erdogans Ausfälle dürften auch der Tatsache geschuldet sein, dass er als Vermittler zwischen Hamas und Israel nicht gefragt ist.
Dieser Mann wird Mitte November zu einem Deutschland-Besuch erwartet. Die Freude bei Kanzler Olaf Scholz dürfte sich schon vor den verbalen Entgleisungen des türkischen Gastes in Grenzen gehalten haben. Jetzt müsste Erdogan eigentlich ausgeladen werden.
Dazu wird es jedoch wohl kaum kommen. Es wäre ein diplomatischer Affront, vor dem die Bundesregierung sicherlich zurückschreckt. Allerdings sollte Scholz seinem Gegenüber unmissverständlich klarmachen, wie sehr er sich ins Abseits begeben hat. Nur glaube keiner, dass dies bei Erdogan verfängt. Er hat seinen Kurs gewählt.