EU-Parlament legt sich mit Türkei an – und spricht sich weiter gegen Beitrittsgespräche aus

Artikel von Erkan Pehlivan - FR

 

 

Strassburg

Das EU-Parlament übt schwere Kritik an der Türkei: Ein EU-Beitritt rückt in weite Ferne. Von Menschenrechtsgruppen kommt ähnliche Kritik.

Straßburg – Zwischen dem EU-Parlament und der Türkei sind die Beziehungen erneut angespannt. Der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei, Nacho Sánchez Amor, hat seinen Bericht für das Land vorgelegt. Darin wird die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan erneut scharf kritisiert. Der Bericht wurde mit einer Mehrheit der Stimmen des Parlaments angenommen.

In seinem Bericht geht Amor auf die Beziehungen Ankaras zu Russland, den Nato-Beitrittsprozess von Schweden, den Stand der Rechte und Freiheiten in der Türkei, die Beziehungen zu den Nachbarn Armenien und Griechenland sowie das weiterhin geteilte Zypern ein. In der Botschaft wird der Türkei, die eine Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche fordert, mitgeteilt, dass diese unter den derzeitigen Bedingungen nicht fortgesetzt werden können. Auf X (vormals Twitter) stellt Amor unmissverständlich klar: „Unsere Botschaft ist klar: Wenn die Türkei den EU-Beitrittsprozess wiederbeleben will, brauchen wir klare, konkrete Taten, keine Worte!“

EU-Parlamentarier fordern Türkei auf, Menschenrechte zu respektieren

Die Abgeordneten empfehlen einen parallelen und realistischen Rahmen für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei und fordern die EU-Kommission auf, mögliche Formate zu prüfen. Die Abgeordneten bekräftigen, dass die EU ein Beitrittskandidat, ein Nato-Verbündeter und ein wichtiger Partner in den Bereichen Sicherheit, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und Migration bleibt. Ankara müsse aber die demokratischen Werte, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte respektieren und die Gesetze, Grundsätze und Verpflichtungen der EU einhalten.

Der EU-Bericht kritisiert auch das Verhalten der Türkei beim Beitrittsprozess Schwedens in die Nato. Die Verzögerungstaktik von Erdogan habe Russland gedient und die Beziehungen der Türkei zu ihren Nato-Partnern untergraben. Beim Nato-Gipfel in Vilnius hatte Erdogan zuletzt aber versichert, seine Blockade gegen die Aufnahme Schwedens aufzugeben.

Kritik wegen Zögerung bei Nato-Beitrittsprozess von Schweden

Der Bericht kritisiert auch die Verzögerung bei der Genehmigung der schwedischen Nato-Mitgliedschaft und stellt fest, dass diese Situation nur Russland zugutekommt und die Beziehungen zwischen der Türkei und ihren Nato-Verbündeten untergräbt. Der Bericht erinnerte auch an die Erklärung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass der Antrag Schwedens auf Nato-Mitgliedschaft im türkischen Parlament diskutiert werden wird. Doch nach dem G20-Gipfel in Indien gibt es erneut Zweifel, ob die Türkei Schwedens Nato-Beitritt endgültig zustimmen wird. Es müsse das Parlament darüber entscheiden. Damit versucht Erdogan offenbar den US-Kongress unter Druck zu setzen, der bislang einen Verkauf von F-16 nicht genehmigen wollte.

Rechte von queeren Menschen und Frauen in Gefahr

Auch die Lage der Frauen und der LGBTI+–Community macht den Abgeordneten des EU-Parlaments immer mehr Sorgen. Seit Jahren schon werden die Demonstrationen queerer Menschen verboten und gewaltsam aufgelöst. Die Türkei ist zudem aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen soll.

Türkei-Bericht deckt sich mit Beobachtungen von Amnesty International und HRW

Gerade in Bezug auf Menschenrechte decken sich die Beobachtungen in dem Bericht mit denen von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International. Besonders nach dem Putschversuch von 2016 hatte Erdogan eine Hexenjagd gegen seine Kritiker, die er immer wieder als „Terroristen“ bezeichnet, begonnen. Immer wieder kommt es daher zu Massenverhaftungen von Kurden und vermeintlichen Anhängern der sogenannten Gülen-Bewegung. Hunderttausende wurden im Anschluss an den Umsturzversuch verhaftet und viele von ihnen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.

Türkei „klassisches Regime aus dem Nahen Osten“

Auch der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Prof. Savaş Genç kritisiert im Gespräch mit

FR.de von IPPEN.MEDIA die ständige Verletzung von Menschenrechten in der Türkei. „Seit das Erdogan-Regime die Demokratie abgeschafft und die Justiz unter ihre Kontrolle gebracht hat, hat sich die Türkei von einem demokratischen Land entfernt.“

In ihrem derzeitigen Zustand hätte die Türkei daher nicht den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten können. „Die Türkei ist weit davon entfernt, eine moderne Republik, geschweige denn eine demokratische Republik zu sein. Das Land hat sich vom westlichen Pakt losgesagt“, so Genç. Die Türkei werde daher vom Westen nur noch als „klassisches Regime aus dem Nahen Osten“ wahrgenommen.