Grünen-Chef Nouripour : „Die Debatte über ein AfD-Verbot ist schädlich

  von: FAZ

Bundesvorsitzender Omid Nouripour im Gespräch bei einer Grünen-Veranstaltung in Wiesbaden

Bundesvorsitzender Omid Nouripour im Gespräch bei einer Grünen-Veranstaltung in Wiesbaden © Marcus Kaufhold

 

Was schadet der Demokratie? Omid Nouripour, der Bundesvorsitzende der Grünen, hat ein Beispiel: Er spricht von Abgeordnetenkollegen im Bundestag, die ihn schräg beäugen, wenn er etwa den CDU-Politiker Jens Spahn duzt oder die Linken-Vorsitzende Janine Wissler umarmt. Der freundschaftliche Umgang mit dem politischen Gegner irritiert sie, sie wünschen sich mehr Distanz. Nouripour hält das für falsch. Er plädiert für Dialoge unter Demokraten, für Auseinandersetzungen auf Augenhöhe statt Abgrenzung und starrem Lagerdenken.

Es ist eines der dringlichsten Themen zurzeit, auf Podien, in Talkshows und auch in Freundes- und Bekanntenkreisen tausendfach diskutiert: Wie lässt sich die Demokratie stärken? Wie verteidigt man sie gegen populistische Bedrohungen und Rechtsextreme? Wie stoppt man die Erfolgswelle der AfD, die auch bei der hessischen Landtagswahl im Oktober auf Stimmengewinne hofft? Im Gallustheater wird darüber am Dienstagabend bei einer Veranstaltung der Frankfurter Grünen debattiert. Neben dem aus Frankfurt stammenden Parteivorsitzenden sitzen der Extremismusforscher Julian Junk, Carmen Colinas vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, Matthias Thoma, der Leiter des Museums von Eintracht Frankfurt, und Friederike Haupt aus der Parlamentsredaktion der F.A.Z. in Berlin auf der Bühne.

AfD-Positionen zu übernehmen „schwerer Fehler“

Dass sich die Diskussion schnell immer wieder um die AfD dreht, verwundert nicht. Die jüngsten Erfolge der Partei bei Abstimmungen im Osten und ihre guten Umfragewerte lassen die Sorge vor einer „Trumpisierung“ wachsen. Julian Junk, der die Forschungsstelle Extremismusresilienz an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, der Polizeihochschule des Landes, leitet, warnt trotzdem vor Alarmismus. In den Befragungen der Wissenschaftler nämlich zeige sich keine drastische Demokratieverdrossenheit der Bevölkerung, Junk wünscht sich deshalb mehr „Unaufgeregtheit“ in der Diskussion. Gefahren benennt er dennoch: Debatten würden heute immer hitziger und einseitiger geführt, soziale Medien senkten die Hemmschwellen.

Was ist dem entgegenzusetzen? Wie überzeugt man die Menschen, ihre Stimme nicht den Populisten und Vereinfachern zu geben? Auf jeden Fall nicht mit einem AfD-Verbot, ist Omid Nouripour überzeugt. Eine „schädliche Diskussion“ nennt der Grünen-Vorsitzende die Debatte darüber. Auch wenn die juristische Chance, die Partei zu verbieten, wohl sogar besser wäre als bei der NPD, würden man AfD-Unterstützer damit kaum zurückgewinnen. „Mit einem Verbot würden wir den Leuten ins Gesicht sagen: Ihr seid doof“, meint Nouripour. „Das wäre völlig verfehlt.“ Demokraten dürften vor der AfD nicht erstarren „wie das Kaninchen vor der Schlange“, sondern müssten viel stärker versuchen, sie argumentativ zu bekämpfen. Das sei zwar schwer, weil das AfD-Programm sehr schwammig sei, aber dennoch unerlässlich. Nouripour nennt ein Beispiel: „Die AfD will, dass Deutschland aus der EU austritt. Nichts würde mehr Wohlstand in unserem Land vernichten.“

Julian Junk hält im Umgang mit der AfD besonders die „Kooptierung von Positionen“, also den Versuch, die AfD kleiner zu machen, indem man ihre Standpunkte und ihren Populismus übernimmt, für einen schweren Fehler. Der CDU-Chef Friedrich Merz und der CSU-Vorsitzende Markus Söder würden das seit einiger Zeit immer wieder probieren – und damit am Ende nur der AfD helfen. „Man stärkt damit das Original, jede Studie zeigt das“, sagt Junk.

Carmen Colinas weist darauf hin, dass es vor allem für Schwarze und Menschen mit Migrationsgeschichte schwierig sei, angesichts der AfD-Erfolge gelassen zu bleiben. Matthias Thoma sagt, dass es wichtig ist, dass sich auch Sportvereine in politischen Debatten positionieren – so wie es der Eintracht-Präsident Peter Fischer häufig gemacht habe. Grünen-Chef Nouripour äußert sich

selbstkritisch: „Die Leute müssen wieder mehr das Gefühl haben, dass der Staat funktioniert.“

Friederike Haupt sieht aber auch die Bürger in der Pflicht, die Demokratie sattelfester zu machen. Sie hält eine sich immer weiter ausbreitende „Kundenmentalität“ gegenüber der Politik für gefährlich. Nicht das Allgemeinwohl, sondern der persönliche Vorteil stehe dabei zu oft im Fokus. „Es darf nicht sein, dass jeder Politik nur noch aus seinen Bedürfnissen heraus beurteilt“, sagt Haupt. „Bürger haben in der Demokratie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.“