Armand Zorn setzt sich für Oppositionspolitiker Turgut Öker ein
Armand Zorn (SPD) setzt sich im Patenschaftsprogramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) für den türkisch-deutschen Oppositionspolitiker Turgut Öker ein. (DBT/Stella von Saldern)
Der Bundestagsabgeordnete Armand Zorn (SPD) setzt sich im Rahmen des Patenschaftsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) für den türkisch-deutschen Oppositionspolitiker Turgut Öker ein. Öker wurde von der türkischen Justiz aus politischen Gründen mehrfach verurteilt, mehrfach von den dortigen Strafverfolgungsbehörden festgehalten und verhört. Menschenrechtsorganisationen und die internationale Presse berichteten darüber.
Haftstrafen, Geldstrafen, Ausreisesperren
So war der türkische Oppositionspolitiker sowie Ehrenvorsitzende und Mitbegründer der alevitischen Gemeinde in Deutschland 2020 in Istanbul wegen „Präsidentenbeleidigung“ zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Zuvor war bereits eine Ausreisesperre gegen ihn verhängt worden. Die Haftstrafe wurde später zwar in eine Geldstrafe umgewandelt, die Ausreisesperre wieder aufgehoben, doch Öker wurde kurz darauf zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt. Die türkischen Strafverfolgungsbehörden werfen dem Oppositionellen und Religionsvertreter vor, als Redner auf Kundgebungen in Deutschland sowie in den sozialen Medien zum Terrorismus aufgerufen, Kritik an der türkischen Regierung geübt sowie den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan beleidigt zu haben. Öker hatte unter anderem kritisiert, dass Erdoğan die dritte Bosporus-Brücke in Istanbul nach dem Sultan Selim Yavuz benennen wollte, der als „Mörder der Aleviten“ in die Geschichte eingegangen ist, erklärt Zorn.
Bereits 2010, und im Juni 2022 erneut, war Öker, der sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und seit Jahrzehnten zwischen Deutschland und der Türkei pendelt, von türkischen Beamten unter dem Tatvorwurf der „Terrorpropaganda“ vorübergehend festgenommen und verhört worden, unter anderem weil er an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Massakers von Maras teilnehmen wollte, bei dem 1978 über hundert Angehörige der Religionsgruppe der Aleviten ermordet worden waren. Das Gericht hatte sich jedoch gegen eine Anklageerhebung entschieden. 2021 und 2022 fanden zudem mehrere Verfahren gegen Öker statt, insbesondere wegen Beamten- und Präsidentenbeleidigungen in Facebook-Posts aus den Jahren 2012 bis 2015, deren Urheberschaft Turgut Öker jedoch bestreitet. Auch diese Verfahren endeten mit Freispruch.
Gemeindegründer und Oppositionspolitiker
Öker befinde sich aktuell in Deutschland, nachdem er sich im Frühjahr 2023 im türkischen Präsidentschaftswahlkampf für die Opposition engagiert hatte. Mit der erneuten Wahl von Präsident Erdoğan bestehe aber ein erhöhtes Risiko für Öker, sollte dieser beabsichtigen wieder in die Türkei einzureisen, gibt Armand Zorn zu bedenken. Mit der Patenschaft wolle er daher signalisieren, dass man sich um Ökers Sicherheit Sorgen mache und ihn im Auge behalte. Öker, der 1973 nach Deutschland ausgewandert war, hatte sich von seiner neuen Heimat Köln aus jahrzehntelang für seine Religionsgemeinschaft der Aleviten, für deren rechtliche, gesellschaftliche und politische Anerkennung sowie deren Integration eingesetzt. Er gründete die Alevitische Gemeinde Deutschland, deren Vorsitzender er von 1999 bis 2012 war.
Nach vier Jahrzehnten in Deutschland entschied er sich, sein politisches Engagement in der Türkei fortzuführen, ließ sich als Kandidat der oppositionellen Halklarin Demokratisik Partisi (HDP) aufstellen und war von Juni bis zur Auflösung des Parlaments im November 2015 Abgeordneter im türkischen Parlament. Für die Parlamentswahl 2018 wurde Öker von seiner Partei erneut aufgestellt. Kurz darauf wurde Anklage gegen ihn erhoben und er wurde vom Wahlausschuss von den Wahlen ausgeschlossen.
Betreuung im Patenschaftsprogramm
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen (SPD) hatte im Juli 2020 erstmals die Patenschaft für Turgut Öker im Patenschaftsprogramm des Deutschen Bundestages übernommen. „Politisch Druck machen, persönlich Mut machen“ wolle sie mit ihrem Engagement, so Nissen damals. Der türkischen Führung seien die Aktivitäten der religiösen Minderheit der Aleviten ein Dorn im Auge. Erdoğan und seine Partei, die AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi), fürchteten eine Diversifizierung der türkischen Gesellschaft und die Erosion ihrer eigenen Machtposition. Daher diskriminiere und verfolge man die zweitgrößte Religionsgruppe der Türkei im In- und Ausland.
Die türkische Führung wolle alevitische Geistliche zentral von der staatlichen Behörde für Religionsangelegenheiten ausbilden lassen und diese dann in Gemeinden im In- und Ausland einsetzen. So wolle Ankara die Kontrolle behalten. Akteure wie Öker versuche man aus dem Verkehr zu ziehen.
„Umfassendes, nicht rechtsstaatliches System“
In der Türkei habe, leider dank der Mitarbeit vieler, „ein umfassendes, nicht rechtsstaatliches System“ Fuß fassen können. „Die Schaffung und Ausführung solcher Gesetze wie des Paragrafen 301 über die Beleidigung des Türkentums, das ruht auf vielen Schultern“, ist Zorn überzeugt. Und die Staatsanwaltschaft entscheide nicht allein, sondern werde „politisch an der Leine geführt. Daran arbeiten viele mit.“
„Der Vorwurf der Präsidentenbeleidigung kann ganz schnell wieder auf dem Tisch liegen“, warnte Nissen. Dieser „Gummi-Straftatbestand“ gebe den Behörden erheblichen Spielraum, jederzeit etwas gegen Kritiker und Oppositionelle zu finden. Es bestehe jedoch die berechtigte Hoffnung, mit jedem einzelnen Fall im PsP-Programm etwas zu bewirken und den Menschenrechten und denjenigen, die sie verteidigen, wieder etwas mehr Raum zu geben.
Öker steht stellvertretend für viele andere
Der Fall Öker stehe stellvertretend für viele andere, die in der Türkei angeklagt oder in Haft sind, „für etwas, das überhaupt nicht zu verurteilen ist“, und stellvertretend für viele Parlamentarier, die an der Ausübung ihres Mandats und dem Recht, die Regierung zu kritisieren, dem Recht auf Meinungsfreiheit, gehindert werden, sagt Armand Zorn. Besonders störend empfinde er, dass Öker gezielt angegriffen werde.
„Ich erkenne da ein System, das darauf zielt, eine Minderheit mundtot zu machen. Sie zu hindern, an der politischen Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen.“ Das sei „ein sehr gefährliches Problem“ für die Türkei. Das Land bestehe ja auf der Perspektive, einmal der Europäischen Union beizutreten, einer Gemeinschaft des Rechts. Daher finde er den Fall des Oppositionspolitikers, Parlamentariers und Vorkämpfers einer religiösen Minderheit, Turgut Öker, besonders unterstützenswert. „Personen wie Öker ermutigen, für die Interessen ihres Landes zu kämpfen, das ist meine Motivation.“
„Öker ermutigen, seine Widersacher entmutigen“
Er habe den Oppositionspolitiker seit September 2021 im Blick. Nachdem er sein Mandat, und damit den Wahlkreis Frankfurt seiner Vorgängerin und Parteifreundin Ulli Nissen, in der Wahl zum 20. Bundestag gewonnen habe, habe er auf Anregung von Nissen und des Sekretariats des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag die Fortführung der Patenschaft für Turgut Öker im Rahmen des PsP-Programms beantragt, die nun seit April 2022 bestehe, erzählt Zorn. Das Sekretariat des Menschenrechtsausschusses habe Öker über die Patenschaft informiert. Er selbst wolle Öker bald auch persönlich kennenlernen.
Öker setze sich für Meinungsfreiheit und Demokratie ein und spreche für die religiöse Gruppe der Aleviten. Dafür werde er angegriffen. Es gehe der türkischen Regierung offenbar darum, junge Menschen, die sich engagieren, davon abzuhalten, in die Politik zu gehen und politisch aktive Oppositionelle mundtot zu machen. Ein Oppositionspolitiker muss das Recht haben, die Regierung zu kritisieren, stellt der im Wahlkreis Frankfurt am Main I direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Digital- und Finanzpolitiker Zorn klar. „Das fällt unter Meinungsfreiheit, einem eigentlich weltweit gesicherten Grundrecht.“ Öker stehe beispielhaft für zahlreiche Menschen in der Türkei, die eine offene, pluralistische Vorstellung ihres Landes haben. Mit seiner Patenschaft wolle er Öker ermutigen und dessen Widersacher entmutigen.
Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit nötig
Dessen kritische Äußerungen gegenüber Präsident Erdoğan in Deutschland seien den türkischen Behörden offenbar Grund genug gewesen, Öker bei seiner Ankunft in Istanbul zu verhaften. Seine deutsche Staatsangehörigkeit mache die Sache nicht leichter. „Die Regierung in Ankara will zeigen, dass ihr langer Arm bis nach Deutschland reicht“, vermutet Zorn. Auch wenn Öker aktuell nicht mehr in Haft sei, sei es wichtig, dass der Fall nicht in Vergessenheit gerate. Der Vorwurf der Präsidentenbeleidigung könne von der türkischen Regierung schnell wieder erhoben werden. Daher will Zorn weiter Präsenz zeigen und Aufmerksamkeit schaffen. Nicht zuletzt gehe es darum zu signalisieren: „Hier im Deutschen Bundestag ist jemand, der sich für ihn einsetzt.“
Außerdem sei das Auswärtige Amt gefordert. „Das ist was für die diplomatische Ebene. Das muss beides zusammen gehen. Mein Verständnis ist: Es hilft.“ Die alevitische Gemeinde in Frankfurt organisiere Mahnwachen und Demonstrationen. Die Patenschaft im PsP-Programm des Bundestages verleihe der Hilfe, die Öker von verschiedenen Seiten erfahren habe, Nachdruck, ist Zorn überzeugt.
Zorn: Menschenrechte weltweit verteidigen
Auch wenn Turgut Öker sich momentan frei bewegen könne, seine Patenschaft für den Deutsch-Türken stehe erst am Anfang. Ziel seines Engagements für Öker sei dessen „Schutz vor weiteren ungerechtfertigten Anschuldigungen, Anklagen und Urteilen sowie seine vollständige Rehabilitation“, hat sich der gebürtige Kameruner Zorn vorgenommen. „Was anderes kann es nicht geben.“
Als Abgeordneter spüre er den Auftrag, sich über seinen Wahlkreis Frankfurt, ja über Deutschland hinaus, einzusetzen, so Zorn. „Wir müssen über die Landesgrenzen hinaus schauen und die Menschenrechte weltweit verteidigen.“ Damit helfe man anderen und schaffe gleichzeitig ein stabiles Umfeld für uns selbst. In Deutschland befinde man sich in einer privilegierten Situation, die dazu verpflichte, anderen zu helfen, findet der SPD-Politiker und unterstreicht, es gehöre zu seinem Grundverständnis des Parlamentarismus, dass ein demokratisch gewählter Abgeordneter nicht daran gehindert werden darf, sein Mandat auszuüben. (ll/14.08.2023)