Nach Festnahme: Abgeordnete sind empört über die Türkei

Artikel von Helene Bubrowsk    FAZ

 

 

 Gökay Akbulut (Die Linke) spricht bei der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. April 2023.

 Gökay Akbulut (Die Linke) spricht bei der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. April 2023. © dpa

 

Deutsche Politiker verurteilen die kurzzeitige Festnahme der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut in der Türkei. „Die Festnahme einer deutschen Staatsbürgerin nur aufgrund von öffentlichen Meinungsäußerungen ist inakzeptabel für die Bundesrepublik Deutschland“, sagte der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul der F.A.Z. „Das muss die Bundesregierung gegenüber der türkischen Regierung unmissverständlich klarmachen.“

Der Grünenabgeordnete Max Lucks, Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag, sagte, er kenne die Linkenpolitikerin „als aufrechte Demokratin“. Er habe ihr seine „volle Solidarität und Unterstützung zugesagt“, nachdem er von dem Vorfall erfahren hatte. Die „kurzzeitige Ingewahrsamnahme“ Akbuluts trotz Diplomatenpasses sei „ein nicht zu entschuldigender Ballast für die deutsch-türkische Freundschaft“.

Akbulut hatte bei der Einreise in die Türkei am 3. August erfahren, dass gegen sie ein Haftbefehl vorliegt. Anschließend war die Politikerin der Partei Die Linke mehrere Stunden lang festgehalten worden, auch nachdem sie sich als Bundestagsabgeordnete ausgewiesen hatte. Ihr sei nach eigenen Aussagen „Terrorpropaganda“ vorgeworfen worden. Dabei ging es offenbar um Einträge in sozialen Medien sowie um politische Äußerungen und Reden zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und zur Lage der Kurden. Im Jahr 2019 kritisierte sie zum Beispiel eine türkische Militäroffensive in Nordsyrien, als die Armee die von kurdischen Milizen dominierten Demokratischen Kräfte Syriens angriff. Außerdem setzt sich die in der Türkei geborene Akbulut aus Mannheim, die seit 2017 im Bundestag sitzt, für die Aufhebung des Betätigungsverbots gegen die PKK in Deutschland ein.

Empörung über „Kriminalisierung“

Wadephul hält das Verbot der PKK für „richtig und notwendig“. Er sagt aber auch, dass Deutsche dies kritisieren dürfen, „erst recht natürlich als Parlamentarier“. Mit Blick auf die neu erwachten Bestrebungen der Türkei auf eine baldige Mitgliedschaft in der Europäischen Union sagt der Politiker: „Eine Türkei, die immer wieder vorgibt, möglichst schnell in die EU zu wollen, kann sich derartige Verletzungen rechtsstaatlicher europäischer Standards nicht erlauben.“ Lucks findet es indes „inakzeptabel, dass wieder einmal mehr in der Türkei der Versuch unternommen wurde, eine demokratisch gewählte Abgeordnete zu kriminalisieren“.

Die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe plant im Oktober eine Reise in die Türkei. Lucks betont gegenüber der F.A.Z., dass diese nur mit Akbulut stattfinden werde. „Wir werden sicher nicht von Autokraten und einer politisch instrumentalisierten Justiz eine Delegation des Bundestages abhängig machen.“ Ob die Reise stattfinden kann, ist angesichts des bereits stark beanspruchten Reisebudgets des Bundestags aber noch unklar. Sollte die Gruppe in die Türkei fahren, werde sie auch die „Angst vieler deutscher Staatsbürger, bei einer Einreise aus politischen Gründen festgenommen zu werden, thematisieren“

Das Auswärtige Amt warnt auf seiner Seite davor, dass deutsche Staatsangehörige willkürlich festgenommen, an der Einreise in die Türkei gehindert oder auch mit einer Ausreisesperre beleg

werden können. Vor allem aufgrund des weit gefassten Terrorismusbegriffs in der T könne etwa das „bloße Teilen, Kommentieren oder 'Liken' von Beiträgen in sozialen Medien“ ausreichen für eine Strafverfolgung. Oft berufen sich die Behörden dabei auf die Unterstützung von beziehungsweise Propaganda für als terroristisch eingestufte Organisationen. Zu diesen zählen unter anderem der sogenannte Islamische Staat oder die PKK.

PKK spricht auch junge Deutsche an

Nach Angaben der Bundesregierung vom April wurde seit Juli 2022 in 51 Fällen Deutschen die Einreise in die Türkei verweigert. 64 deutsche Staatsangehörige waren zu jenem Zeitpunkt mit einer Ausreisesperre belegt. Bei 18 von 39 im vergangenen Jahr verhängten Ausreisesperren ging es laut Bundesinnenministerium demnach um Vorwürfe der Propaganda für eine Terrororganisation, die Mitgliedschaft in oder die Unterstützung einer solchen.

Die PKK war 1984 von Abdullah Öcalan gegründet worden, um mittels Guerillaeinheiten für eine kurdische Autonomie zu kämpfen. Zuletzt schrieb Ankara der PKK die Explosion eines Sprengsatzes in der Istanbuler Einkaufsstraße İstiklal zu. Dabei waren im November sechs Menschen getötet und 81 verletzt worden. Die PKK bestritt eine Beteiligung an dem Anschlag. Nach Daten der International Crisis Group sind allein seit 2015 in der Türkei, in Syrien und im Irak mehr als 6600 Menschen bei Zusammenstößen zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Milizen ums Leben gekommen, darunter mehr als 600 Zivilisten.

In Deutschland ist die PKK seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt und wird seit 2002 auf der EU-Terrorliste geführt. Der im Juni veröffentlichte Verfassungsschutzbericht 2022 widmet den Aktivitäten der PKK mehrere Seiten. Demnach bemühe sich die Organisation in Europa „seit Jahren um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild“. In Deutschland gehe es vor allem um die logistische und finanzielle Unterstützung der PKK, die Rekrutierung neuer Anhänger und „Propaganda in eigener Sache“, etwa durch Demonstrationen oder Volksfeste.

Der Bundesverfassungsschutz resümiert: „Die PKK ist die mitgliederstärkste und schlagkräftigste Organisation im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland.“ Sie habe ein hohes Mobilisierungspotential. Der PKK gelinge es, vor allem junge Menschen in Deutschland „für die Ausreise zum bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten zu rekrutieren“. Im Juni meldeten türkische Staatsmedien, dass Thomas J. aus Mainburg, Kampfname „Azed Sergeş“, bei einem Drohnenangriff auf PKK-Einheiten im Nordirak getötet worden sei.