Auch ohne Pass: „Stille Gruppe“ verschafft sich immer mehr Gehör

 
Eine Person füllt einen Einbürgerungstest aus. Foto: Uli Deck/dpa
 

Lange Zeit galten Menschen mit Migrationsgeschichte als eine stille, wenig engagierte Gruppe in der Gesellschaft. Doch dank eines zunehmenden Wandels eröffneten sich neue Perspektiven, so ein Experte. Dies stelle einen Gewinn für die Demokratie dar.

Die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe sollte grundsätzlich allen Menschen offenstehen. Dies kann durch ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement, etwa durch die Mitgliedschaft in Vereinen verwirklicht werden. Auch politische Beteiligung, sei es durch Unterzeichnung von Petitionen, Teilnahme an Demonstrationen oder die Mitgliedschaft in einer Partei, ist ein wichtiger Teil davon. Allerdings gestaltet sich die praktische Umsetzung der Teilhabe als komplexer und anspruchsvoller, besonders für Menschen mit Migrationsgeschichte.

Doch „die einst so stille Gruppe der Menschen mit Migrationsgeschichte erschließt sich immer mehr Räume der Teilhabe. Für die Demokratie ist das eine gute Nachricht“, betont Dr. Ferdinand Mirbach von der Robert Bosch Stiftung. Laut dem Senior Expert im Bereich Einwanderungsgesellschaft mit Fokus auf Integration und Diversität gelten sie häufig als „stille Gruppe“ in Partizipationsprozessen, in denen ihre Stimmen kaum gehört werde und sie unzureichend repräsentiert seien. Die Gründe hierfür seien vielfältig und es komme darauf an, dass Teilhabe ermöglicht, gewollt und angestrebt wird.

Herausforderungen der Teilhabe: Deutscher Pass als große Hürde

Eine bedeutende Herausforderung in Deutschland stellt die Anknüpfung der formellen politischen Beteiligung an die deutsche Staatsangehörigkeit dar: Bekanntlich dürfen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit nicht am Wahlprozess teilnehmen. Laut Mirbach waren im Jahr 2022 etwa 11,6 Millionen Menschen davon betroffen. Während EU-Staatsangehörige über ein kommunales Wahlrecht verfügen, sind laut Mirbach annähernd acht Millionen sogenannte Drittstaatenangehörige von der formalen politischen Teilhabe an ihrem Wohnort ausgeschlossen. Es wird daher diskutiert, ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einzuführen oder den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern.

Neben den formalen Hürden stehen auch individuelle Voraussetzungen und Ressourcen im Fokus. Teilhabe erfordert Zeit und möglicherweise finanzielle Mittel, insbesondere wenn es um politische Aktivitäten geht. Kenntnisse über politische Prozesse und demokratische Kompetenzen sind ebenso von immenser Bedeutung. Für Menschen mit Migrationsbiografie, insbesondere für diejenigen mit einer kurzen Aufenthaltsdauer, stellt die Sprachkompetenz eine zusätzliche Barriere dar, die ihre soziale und gesellschaftliche Beteiligung erheblich einschränkt. Diese Ressourcen und Fähigkeiten müssen möglicherweise aufwendig erworben werden. Hier ist laut Mirbach der Staat gefragt, unterstützende Maßnahmen wie Integrationsangebote, Demokratieschulungen und die Förderung des Ehrenamts bereitzustellen.

Auch der persönliche Wille zur Teilhabe spielt eine entscheidende Rolle. Obwohl einige Menschen alle Voraussetzungen erfüllen und die nötigen Ressourcen besitzen, nehmen sie dennoch nicht aktiv an politischen Prozessen teil. Dies könnte daran liegen, dass sie nicht glauben, dass die Politik in Deutschland auch für sie von Bedeutung ist. Zweifel an der eigenen Wirksamkeit und die Frage, ob ihr Engagement tatsächlich einen Unterschied machen kann, könnten ebenfalls Gründe dafür sein. Hier könnten Vorbilder aus ihren eigenen Gemeinschaften eine wichtige Rolle spielen, um die Bedeutung von Repräsentation und Mitbestimmung zu betonen. Es ist jedoch möglich, dass der persönliche Wille allein nicht ausreicht, da einige von ihnen immer wieder Diskriminierung erfahren und ihre Anliegen nicht ernst genommen werden.

Die wachsende Teilhabe für eine starke Demokratie

Trotzdem gibt es ermutigende Entwicklungen zu verzeichnen. Eine Vielzahl von Menschen mit Migrationsbiografie engagiert sich bereits aktiv in der Gesellschaft und der Politik. Sie zeigen beeindruckendes zivilgesellschaftliches Engagement und sind aktiver Teil von Ausländer- bzw. Integrationsbeiräten. Migrantenorganisationen werden ebenfalls immer mehr zu politischen Akteuren, die Probleme aufdecken und Lösungsvorschläge einbringen. Die Anzahl politischer Mandatsträger:innen mit Migrationsbiografie steigt kontinuierlich, was zu einer verbesserten Repräsentation führt.

Die einst als stille Gruppe betrachteten Menschen erkämpfen sich zunehmend Räume der Teilhabe, was für unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von großem Wert ist, ist sich Mirbach sicher.