Das ist Erdoğans Frau für das große Geld
Artikel von Frederike Holewik
Sie ist die erste Frau an der Spitze der türkischen Zentralbank. Eine große Aufgabe für Hafize Gaye Erkan, denn um der Erwartungen gerecht zu werden, muss sie sich gegen Erdoğan stellen.
Sie ist erst seit Juni im Amt, doch ihr Wirken ist bereits deutlich spürbar: Hafize Gaye Erkan ist die erste Frau an der Spitze der türkischen Zentralbank und hat das Institut in schwierigen Zeiten übernommen.
Das zeigte sich auch bei ihrem Auftritt in der vergangenen Woche. Erkan, die eigentlich das Vertrauen von Investoren für die Türkei zurückgewinnen will, musste die Inflationsprognose für das laufende Jahr deutlich nach oben korrigieren. Bis zum Jahresende würden die Preise im Schnitt um 58 Prozent steigen, verkündete sie.
Unter ihrem Vorgänger hatte die Prognose noch bei 22,3 Prozent gelegen. Analysten hatten zwar mit einem Anstieg gerechnet, allerdings lagen sie mit Schätzungen zwischen 40 und 44 Prozent weit unter dem tatsächlichen Wert der Prognose.
Inflation sinkt offiziell – Experten skeptisch
Hinzu kommt: Die Inflation in der Türkei ist besonders hoch. Zwar geht sie seit einigen Monaten zurück, doch lag sie im Juni immer noch bei 38,2 Prozent. Unabhängige Experten rechnen allerdings mit drastisch höheren Raten von über 100 Prozent. Ökonomen gehn zudem davon aus, dass die Rate wieder ansteigt, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die angekündigte massiven Ausgabenpläne aus seinem Wahlkampf umsetzten sollte.
Erdoğan war im Mai als Präsident wiedergewählt worden. Seitdem baut er seinen Wirtschaftsstab um. Zunächst holte er den früheren Finanzminister Mehmet Şimşek zurück ins Amt und setzte dann Erkan an die Spitze der Notenbank.
Sie ersetzt dort ihren Vorgänger Şahap Kavcıoğlu. Dieser hatte zuvor gegen die Einschätzung von Ökonomen die Linie von Präsident unwidersprochen mitgetragen und trotz hoher Inflation die Zinsen nicht erhöht.
An den Märkten wurde Erkans Ernennung deshalb als ein Zeichen gewertet, dass die türkische Geldpolitik sich wieder normalisieren könnte. Kein leichtes Unterfangen, denn wie stark Erdoğan bereit ist, dieses Ziel zu unterstützen, ist ungewiss.
Wer ist also diese Frau, die die türkische Wirtschaft wieder auf Kurs bringen soll?
Die strebsame Schülerin
Erkan wurde 1979 in Istanbul geboren. Ihr Vater war Ingenieur und ihre Mutter Physik- und Mathematiklehrerin. Ihre Eltern hätten ihr mitgegeben, nach drei Werten zu leben: Ehrlichkeit, harte Arbeit und Demut, wird es später in ihrem Profil auf der Seite der First Republic Bank heißen. Darin präsentiert sie sich auch als besonders wissbegierig und schildert, wie sie als Jugendliche private Programmierstunden nahm, da ihre Schule keine Kurse anbot.
Ihre Mutter habe sie dann zu drei Nachbarn, die ein Software-Startup betrieben, geschickt. "Im Gegenzug dafür, dass ich ihnen türkischen Kaffee kochte, lehrten sie mich die Programmiersprache C++ und die Freude an rekursiven Funktionen", wird Erkan auf der Website zitiert.
Nach ihrem Schulabschluss in Istanbul studierte sie dann in ihrer Heimatstadt an der staatlichen Bosporus-Universität. Ihren Bachelor als Industrieingenieurin schloss sie 2001 als Jahrgangsbeste ab.
Innerhalb von nur einem Jahr erwarb sie anschließend ihren Doktortitel an der US-amerikanischen Eliteuniversität Princeton, wie aus ihrem Linkedin-Profil hervorgeht. Zudem absolvierte sie Ausbildungsprogramme in Management an der Harvard Business School und in Leadership an der Universität Stanford.
Die erfolgreiche Bankerin
Von 2005 bis 2014 arbeitete Erkan als leitende Analystin beim Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen Goldman Sachs. Danach wechselte sie in den Vorstand der First Republic Bank. Nebenbei war sie auch als zeitweise als Vorständin beim Schmuckkonzern Tiffany & Co. und beim US-Versicherungsmakler Marsh McLennan tätig. Laut dem Nachrichtensender CNN war Erkan zu dieser Zeit in den USA als "Awesome Turkish Girl" (zu Deutsch "Fantastisches türkisches Mädchen") bekannt.
2021 schied sie bei der First Republik Bank aus – rechtzeitig, um nicht mit dem ein Jahr später folgenden Kollaps der Bank in Verbindung zu stehen. Kurzzeitig war sie im Anschluss Chefin des New Yorker Immobilienfinanzierers Greystone, verließ das Unternehmen aber nach wenigen Monaten wieder. Seit Mai steht sie nun der türkischen Zentralbank vor.
Hart, klug und effektiv"
Erfahrung in der Geldpolitik besitzt sie bisher nicht. Dafür genießt sie Anerkennung in der New Yorker Finanzindustrie. Sie "gilt als hart, klug und effektiv", zitiert die Agentur Reuters Kathryn Wylde, Vorsitzende von Partnership for New York City, einer gemeinnützigen Organisation, in der Erkan einst im Vorstand war. "Sie ist sicherlich nicht jemand, den man herumschubsen kann, aber sie kann auch anderer Meinung sein, ohne unangenehm zu sein", sagte Wylde.
Letztlich wird ihr Erfolg davon abhängen, wie viel Autonomie ihr Erdoğan einräumt, sagt Nick Stadtmiller vom Berater Medley Global Advisors der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Die Ernennung Erkans stellt hoffentlich eine Verbesserung gegenüber der Politik ihres Vorgängers dar", so Stadtmiller weiter. "Die offene Frage ist, ob Erdoğan der Zentralbank erlauben wird, die Zinsen ausreichend anzuheben, um die Inflation zu senken
Chefposten wechselt häufig
Analysten werteten ihre ersten Handlungen in diese Richtung zwar als notwendigen Schritt, aber als nicht genug. So hatte Erkan die Leitzinsen im Juni auf 15 Prozent angehoben und im Juli erneut 2,5 Prozentpunkte hinzugefügt. "Mit der krassen Erhöhung der Inflationserwartung räumt die neue Zentralbankchefin indirekt ein, dass ihre Institution wohl kaum alle Hebel in Bewegung setzen wird, um genau diese Preissteigerungen effektiv zu bekämpfen", schreibt das "Handelsblatt".
Das habe auch politische Gründe, denn höhere Zinsen bekämpfen zwar die Inflation, sorgen häufig aber auch für mehr Arbeitslosigkeit. Das kann Erdoğan aktuell nicht gebrauchen. Für den neuen Finanzminister Şimşek und Erkan ist es ein Spagat zwischen den Erwartungen der Märkte, den eigenen Ansprüchen und den Wünschen des Präsidenten. Ob sich Erkan an dieser Stelle beweisen kann, bleibt abzuwarten.
Klar ist: Erdoğan schreckt nicht davor zurück, unliebsame Zentralbänker abzusägen. Erkan ist die fünfte Person innerhalb von vier Jahren an der Spitze der Bank