Zuzugsstopp: Türkei ändert Ausländerpolitik grundlegend
Millionen Vertriebene haben in der Türkei Zuflucht gefunden. Besonders Syrer sind vielerorts aber nicht mehr willkommen. Nun verhängte die Regierung in einzelnen Stadtvierteln gar einen Zuzugstopp. Welche Rolle das für den Wahlkampf spielt.
Wende in der türkischen Ausländerpolitik: In 1.200 Stadtvierteln werden landesweit keine Aufenthaltsgenehmigungen für Ausländer mehr erteilt. Innenminister Süleyman Soylu (AKP) zufolge sind „weder Flüchtlinge noch andere Ausländer“ berechtigt, sich in den betreffenden Stadtteilen niederzulassen.
Zwar betrifft der Zuzugsstopp für Ausländer kaum fünf Prozent der Stadtviertel in der Türkei. Er zielt jedoch besonders auf die ausländerreichsten Städte des Landes ab. Und es trifft vor allem syrische Migranten: In Antep, nahe der syrischen Grenze gelegen, sind rund 20 Prozent der Stadtviertel betroffen, in der Grenzstadt Kilis gar mehr als 90 Prozent.
Pogrom-ähnliche Gewaltausbrüche gegen Syrer
Aber auch gutbetuchtere Einwanderer, wie deutsche Rentner und Auswanderer, trifft die neue Regelung. Besonders an der türkischen Riviera sind mit Alanya, Antalya und Fethiye sind gleich mehrere Städte betroffen. Hinzu kommt die Millionenmetropole Istanbul. Und das hat viele Gründe.
Denn neben den zunehmenden Ressentiments gegen Syrer – DTJ-Online berichtete bereits vor eineinhalb Jahren von Pogrom-ähnlichen Gewaltausbrüchen in mehreren Großstädten – sind es vor allem die schwächelnde Wirtschaft des Landes sowie der Ausverkauf auf dem Immobilienmarkt, der die türkischen Verantwortlichen auf den Plan rief.
Lokale Bevölkerung leidet am meisten
Besonders Russen und Ukrainer sind derzeit auf der Suche nach einer Bleibe in der Türkei. Das führt zu einer Verdrängungsdynamik, unter der die lokale Bevölkerung leidet. In vielen Städten werden die Mieten in zentrumsnahen Stadtvierteln erhöht, Häuser abgerissen und teure Immobilienprojekte für Käufer aus dem Land realisiert.
Viele türkische Einwohner müssen deswegen an den Stadtrand ziehen. Das führte bereits zu Demonstrationen und Konflikten. Auch Gewerkschaften schlugen Alarm. Nun reagierte die türkische Regierung.
Wahlkampf mit strikter Ausländerpolitik
Im Wahljahr ist die Regierung bemüht, die sozialen Probleme des Landes anzugehen. Das beinhaltet auch ein Rückkehrprogramm für Syrer: Vor dem Hintergrund der zunehmend feindseligen Stimmung gegen Flüchtlinge startete Ankara bereits im Frühjahr 2022 den Versuch, eine Million Geflüchtete in ihre Heimat zurückführen.
Der Zuzugsstopp ist ein weiterer Versuch der Erdoğan-Regierung, die Türken mit einer „Türkei-First-Politik“ milde zu stimmen. Besonders die nationalistische İyi-Partei und die Zafer-Partei, eine Protestpartei, hetzen aber immer schärfer gegen Ausländer. Das Thema dürfte im Wahlkampf noch eine entscheidende Rolle spielen.