Faktencheck: Islamistische "Gefährder" in Deutschland

Matthias von Hein, Peter Hille

Der mutmaßliche Attentäter von Straßburg stand als Gefährder auf französischen Terror-Listen. In Deutschland rechnet man mit 774 islamistischen Gefährdern. Wer fällt darunter und wie geht man hierzulande mit ihnen um?

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Was ist ein Gefährder?

Im offiziellen Sprachgebrauch sind Gefährder Menschen, bei denen "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten". Zu diesen Tatsachen zählen vor allem Erkenntnisse von Sicherheitsdiensten oder den Staatsschutzabteilungen der Polizei.

In Haft nehmen darf man Gefährder nicht, solange man sie keiner Straftat überführen kann. Das deutsche Sicherheitsrecht und vor allem das Strafrecht orientieren sich an Taten, nicht an Gesinnung oder Gefährlichkeit.

Allerdings gilt bereits die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung als Straftat. Verboten ist auch die "Vorbereitung und Unterstützung einer schweren staatsgefährdenden Straftat".

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Wie viele Gefährder gibt es?

In der französischen "Fiche-S-Datei" sind etwa 26.000 Personen verzeichnet, die potentiell gefährlich werden könnten. Die Schwelle hierfür ist deutlich niedriger als für die Aufnahme in die deutsche Gefährder-Datei.

Aktuell trauen Polizei und Geheimdienste nach Angaben des Bundeskriminalamts 774 Personen aus der Islamisten-Szene in Deutschland einen Terrorakt zu. Davon halten sich 450 Gefährder derzeit in Deutschland auf. Die Anderen sind ausgereist.

Die Zahl der islamistischen Gefährder ist stark gewachsen. Im Jahr 2010 zählten die deutschen Behörden noch 127 Gefährder aus der islamistischen Szene.

Wer sind die Gefährder?

Der jüngste Verfassungsschutzbericht vom Sommer 2018 sieht drei Gruppen von Islamisten, von denen terroristische Gefahren ausgehen können: sich selbst radikalisierende Einzeltäter und Kleinstgruppen, Rückkehrer aus sogenannten Dschihad-Gebieten sowie "Hit-Teams", die im Auftrag von globalen Terrornetzwerken wie dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) komplexere Anschläge durchführen.

Die sich selbst radikalisierten Einzeltäter und Kleinstgruppen sind am schwersten zu identifizieren. Das sind Menschen wie der abgelehnte palästinensische Asylbewerber, der im Sommer 2017 in einem Hamburger Supermarkt einen Menschen erstach und weitere verletzte.

Der Attentäter wollte seine Tat als "Beitrag zum weltweiten Jihad" verstanden wissen, ohne jedoch einer bestimmten Gruppe anzugehören.

© picture-alliance/dpa/M. Scholz Nach dem Messerangriff untersuchen Polizisten den Tatort in Hamburg im Juli 2017

Etwas besser weiß man über die Dschihad-Rückkehrer Bescheid: Den Behörden sind mehr als 960 Personen bekannt, die seit Mitte 2013 in Gebiete des IS ausgereist sind. Etwas mehr als 300 von ihnen sind inzwischen wieder in Deutschland.

Besondere Sorgen machen den Sicherheitsbehörden diejenigen Dschihad-Rückkehrer, die eine militärische Ausbildung bekommen haben und Kampferfahrung sammeln konnten.

Wie groß ist die islamistische Szene?

Neben den Gefährdern haben die Sicherheitsbehörden auch sogenannte "relevante Personen" im Blick: Menschen aus dem näheren Umfeld von Gefährdern, die logistische Unterstützung bei Anschlägen leisten könnten.

Der Verfassungsschutzbericht 2017 weist ein "Islamismuspotenzial" von insgesamt 25.810 Personen aus. Davon gehören allein 10.800 salafistischen Organisationen an.

s- und Linksextremisten: der deutsche Verfassungsschutz

Die salafistische Szene stellt ein wesentliches Rekrutierungsfeld für islamistische Truppen in Kriegsgebieten dar: Fast ausnahmslos alle Ausgereisten kamen aus salafistischen Strukturen.

Mit dem Verbot des Vereins "Die wahre Religion" im Jahr 2016 haben die Behörden den Druck auf die salafistische Szene erhöht. "Die wahre Religion" hatte unter anderem die Koranverteilungen der "Lies"-Aktion organisiert.

Kann Gefahr auch von Flüchtlingen ausgehen?

Der IS nutze gezielt Migrationsrouten, um Attentäter nach Europa zu schleusen, sagt der deutsche Verfassungsschutz. Außerdem bemühe die Terrorgruppe sich, Flüchtlinge in Deutschland für Anschläge zu gewinnen. Für vier islamistische Anschläge in Deutschland waren bislang Asylsuchende verantwortlich - in Berlin, in Hamburg, in Ansbach und bei Würzburg.

Wie geht man mit Gefährdern um?

Jeder Gefährder wird von den Sicherheitsbehörden einzeln bewertet. Entsprechend dieser Bewertung werden unterschiedliche Maßnahmen getroffen. Die Polizeibehörden sind sehr zurückhaltend mit Auskünften über ihren Maßnahmenkatalog. Fest steht: das Spektrum reicht von der sogenannten "Gefährderansprache" über technische Überwachungsmethoden bis hin zur Rund-um-die-Uhr-Beobachtung durch Polizeikräfte.

Bei der Gefährderansprache wird dem Betroffenen mitgeteilt, dass die Polizei ihn im Auge hat und die Lage ernst nimmt. Die Komplettüberwachung wiederum ist sehr personalintensiv. Nach Angaben des Verfassungsschutzes wären für einen Betroffenen 25 bis 30 Polizisten erforderlich. Deshalb wird sie nur in Einzelfällen durchgeführt.