- Vorwürfe gegen Ditib Spitzeln für Erdogan in Deutschland?
- Stand: 15.01.2017 10:30 Uhr
Der islamische Dachverband Ditib soll in Deutschland Informationen über die Gülen-Bewegung gesammelt haben - im Auftrag der türkischen Regierung. Ditib will die Sache prüfen, Grünen-Politiker Beck fordert Ermittlungen des Generalbundesanwalts.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
In der Affäre um angebliche Spitzeleien des türkisch-islamischen Dachverbands Ditib sieht der Grünen-Politiker Volker Beck die Bundesregierung und die Justiz am Zug. Im Gespräch mit tagesschau.de kritisierte Beck den Generalbundesanwalt, weil dieser bislang nicht offiziell gegen den Verein "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (Ditib) ermittelt.
Volker Beck vermutet politische Rücksichtnahme.
"Seit fast einem Monat liegt dem Generalbundesanwalt meine Strafanzeige mit entsprechenden Unterlagen vor", betonte Beck. "Dass man immer noch 'ordnungsgemäß prüft', ob man ermittelt, wundert mich doch sehr." Es bestehe so "die Gefahr, dass sich Beweise und Tatverdächtige so in Ruhe in die Türkei absetzen". Beck vermutet "Rücksicht auf außenpolitische Implikationen auf die Türkei", wegen denen man "das Verfahren schleifen" lasse.
Hintergrund ist der Verdacht, Ditib habe im Auftrag der türkischen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland die Gülen-Bewegung ausgekundschaftet. "Die Indizienkette für den Spionageverdacht ist dicht", sagt Beck - und verweist unter anderem auf eine Anweisung aus Ankara zur Informationssammlung über die Gülen-Bewegung in Deutschland und anderen Staaten. Dieses Schreiben liegt tagesschau.de vor.
Weder Ditib noch der Generalbundesanwalt äußerten sich bislang auf eine Anfrage von tagesschau.de.
Partner beim Religionsunterricht
Ditib ist der Dachverband für türkisch-islamische Gemeinden in Deutschland. Der Verband soll die kulturellen, sozialen und religiösen Aktivitäten der türkischen Moscheegemeinden koordinieren - dazu gehört unter anderem Jugend- und Frauenarbeit, Seelsorge sowie viele weitere Angebote. Außerdem ist Ditib ein Kooperationspartner einiger Bundesländer beim Islamunterricht an staatlichen Schulen. Dies sorgte in den vergangenen Monaten bereits für Diskussionen, da Kritiker Ditib als verlängerten Arm der türkischen Regierung in Deutschland ansehen.
Ein Indiz für diese Behauptung ist unter anderem, dass die Ditib-Imame von der türkischen Religionsbehörde Diyanet ausgebildet, für einen begrenzten Zeitraum nach Deutschland entsandt und bezahlt werden - also quasi türkische Beamte sind.
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Ditib betont Unabhängigkeit
Ditib weist Vorwürfe zurück, der Verein werde aus Ankara gesteuert. Ditib sei in verschiedenen Bundesländern von unabhängigen Wissenschaftlern eine für den Religionsunterricht nötige Unabhängigkeit bescheinigt worden, kommentierte ein Ditib-Sprecher im August 2016. Durch die Vorwürfe würden Muslime genau zu dem gedrängt, was man ihnen unterstelle: "Dass sie sich von Deutschland weiter entfremden."
Doch zuletzt haben sich die Hinweise auf eine Abhängigkeit von Ankara verdichtet. So berichtete der Deutschlandfunk, in der Satzung des Vereins werde festgelegt, dass Ditib ein Ableger des türkischen Religionsamtes Diyanet sei. Es gebe "organisatorische und institutionelle Verbindungen zum Diyanet", sagte Stefan Muckel, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Universität zu Köln. Aus der Satzung lasse sich entnehmen, dass "es bestimmte Rechte für hohe Bedienstete des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten" gebe.
"Dringende Bitte" aus Ankara
Im September richtete genau dieses Amt zudem eine "dringende Bitte" an die türkischen Konsulate in Deutschland. So sollten detaillierte Angaben über Strukturen der Gülen-Bewegung gesammelt und nach Ankara geschickt werden. Die Türkei macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich, bei dem zahlreiche Menschen getötet wurden. Daher sollten Informationen über Organisationsstruktur, Aktivitäten, Schulen, aber auch Wohnheime, Hilfsorganisationen und Kulturvereine der von der Türkei als Terrororganisation eingestuften Bewegung des Predigers Fehullah Gülen gesammelt werden.
Dem Deutschlandradio liegen entsprechende Listen vor, die Imame von Ditib-Moscheen angefertigt und nach Ankara geschickt hätten. Darin geben sie demnach genaue Informationen über angebliche Gülen-Anhänger preis, die sie ausspioniert hätten - im Auftrag Ankaras.
Ditib untersucht Vorwürfe
Der Grünen-Politiker Beck erstattete daher bereits Mitte Dezember Strafanzeige wegen des Verdachts auf Spionage. "Es gibt eine Anweisung zur Informationssammlung der Diyanet in Ankara an die Konsulate der Türkischen Republik", erklärte Beck. "Die Konsulate wiederum führen die Fachaufsicht über die Ditib-Vereine in Deutschland. Zudem liegen Berichte von Ditib-Imanen mindestens aus Köln, Düsseldorf und Niedersachsen vor." Für Ermittlungen müsste das allemal reichen, so Beck.
Ditib wies den Vorwurf der "Bespitzelung" zurück, betonte aber, man nehme die Sache ernst und untersuche die Anschuldigungen. "Die Untersuchungen betreffen insbesondere solche Behauptungen, ob und in welcher Art auf die Aufforderung reagiert wurde." Diyanet in Ankara habe zudem ausdrücklich zugesichert, dass Dienste außerhalb der religiösen Betreuung der Muslime von Imamen nicht erwartet würden, so Ditib. "Wir sind weiterhin um transparente Aufklärung bemüht."
Genau diese Aufklärung fordert auch der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland. Gökay Sofuoglu betonte im Deutschlandfunk, man könne "nicht spionieren, und als Imame sowieso gar nicht". Deswegen müsse Ditib die Vorwürfe lückenlos aufklären, um wieder Vertrauen zu schaffen.
Außerdem warnte er davor, alle Ditib-Mitglieder unter Generalverdacht zu stellen: Innerhalb des Verbandes gebe es "sehr viele Menschen und sehr viele Funktionäre", die versuchten, die Strukturen zu verändern. Diese müsse man auf jeden Fall stärken und dürfe sie nicht allein lassen.
Keine Spionage, sondern Bürgerpflicht
Der Journalist Ekrem Senol hält den Spionage-Vorwurf gegen Ditib indes für übertrieben. Im Gespräch mit tagesschau.de betonte der Chefredakteur des "Migazin": "Dass die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich ist, ist in der Türkei und innerhalb der türkischen Community weitestgehend gesetzt, wobei man danach unterscheidet, auf welchem Level die Anhänger in dieser Bewegung sind."
Vor diesem Hintergrund könne er sich durchaus vorstellen, dass Imame vereinzelt Infos weitergegeben haben. "Das tun sie aber nicht, weil sie Agenten sind oder sich wie Agenten fühlen, sondern als Bürgerpflicht - eben wie ein Beamter in Deutschland, der meint, irgendwo einen möglichen Islamisten mit Gewaltpotenzial ausfindig gemacht zu haben. Das würden wir ja auch nicht als Spionage bezeichnen."