Islam als Jugendkultur: Warum so viele konvertieren und wie Eltern reagieren sollten

                                 Artikel von Miriam Keilbach/ RND

 

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                                      In sozialen Medien inszenieren junge Menschen den Übertritt zum Islam. .

Eine junge Frau steigt lächelnd von einem Steg ins Wasser. „From Bikinis ...“ steht daneben, wobei der Bikini nicht zu sehen ist, denn der Körper ist schwarz übermalt. Die nächste Aufnahme zeigt die gleiche junge Frau mit einem weinroten Burkini, badend im Wasser und posierend an Land, mit einer Blume im Haar. „... To Burkinis“ ist dazu zu lesen. 20.000 Likes gibt es dafür auf Tiktok. Der Tausch von Bikini zu Burkini steht für mehr als nur ein Kleidungswechsel: Es symbolisiert die Abkehr vom westlich-liberalen hin zu einem strenger reglementierten muslimischen Lebensstil. Und das kommt auf Social Media offenbar an.

Die Konvertierung, im religiösen Kontext oft Konversion genannt, wird seit einiger Zeit von unzähligen Konten in den sozialen Netzwerken inszeniert und präsentiert. Tiktok ist voll mit Hashtags wie #convertie oder #reverted. Videos und Fotos, auf denen junge Menschen aus Deutschland zumindest vorgeblich ihre Neuerfindung im Islam darstellen, sind in sozialen Medien derzeit tausendfach zu sehen.

Expertinnen und Experten sehen darin und in der steigenden Anzahl von Anrufen besorgter Eltern bei Beratungsstellen einen neuen Trend: Mehr junge Menschen denn je interessieren sich für den Islam, manche derart stark, dass sie über eine Konvertierung nachdenken oder gar den Übertritt vollziehen.

Der Islam- und Erziehungswissenschaftler Samet Er hat sich mit den Beweggründen beschäftigt und sieht dabei nicht nur religiöse Sinnsuche. Oft gehe es eher um jugendkulturelle Aspekte. Anders gesagt: Der Islam ist cool geworden. Und die sozialen Netzwerke spielen dabei eine große Rolle.

Manche junge Menschen wollen provozieren und rebellieren. Der in der deutschen Öffentlichkeit regelmäßig negativ diskutierte Islam, oft gar gleichgesetzt mit dem radikalen Islamismus, bietet dafür eine gute Gelegenheit.

Nebst der Aufmerksamkeit und Rebellion spielt ein zweiter Faktor eine große Rolle: die Peergroup. „Es ist Teil von Jugendphänomen, dass geschaut wird, wer das Sagen hat und denjenigen nachgeeifert wird“, sagt Samet Er.

Zugehörigkeitsgefühl in den Schulen

Jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland gehört heute dem Islam an. In vielen Schulklassen finden sich viele Kinder und Jugendliche, die den muslimischen Glauben verfolgen. Mitschülerinnen und Mitschüler anderer Konfessionen haben damit einen anderen, direkteren Zugang zum Islam als noch ihre Eltern, er ist Teil des Alltags.

Wenn Kinder und Jugendliche dazugehören wollen und sehen, dass die Anführer einen muslimischen Hintergrund haben, kann eine Konvertierung die Folge sein. Schon vor einem Jahr zitierte die „Bild“ einen anonymen Staatsschützer: „Es wenden sich auch immer mehr Eltern deutscher Kinder an Beratungsstellen, weil die christlichen Kinder konvertieren wollen, um in der Schule keine Außenseiter mehr zu sein.“ Dass es massenhaft Konversionen aus Angst gibt, halten Expertinnen und Experten wie Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, und Islamwissenschaftler Ahmad Mansour aber nicht für erwiesen, wie sie dem „Focus“ sagten.

Hype in den sozialen Medien

Besonders beliebt in den sozialen Medien: Kinderfotos, überschrieben mit „Born in (Geburtsjahr)“, einer Deutschlandflagge und einem Kreuz, darauffolgend eine Aufnahme einer Person in muslimischer Kleidung. „Born in (Jahr der Konvertierung)“ heißt es dann neben Deutschlandfahne und Halbmond.

Unter den Fotos und Videos finden sich oft nicht nur zahlreiche Likes, sondern auch viele Kommentare. Andere Musliminnen und Moslems heißen die neuen Glaubensgeschwister willkommen, freuen sich an der angeblichen Erleuchtung, während Christinnen und Christen ihren Unmut oder ihr Befremden kundtun.

Grundsätzlich ist es einfach, zum Islam zu konvertieren. Die Konvertitinnen und Konvertiten müssen dabei nur das Glaubensbekenntnis, die sogenannte Schahada, vor zwei muslimischen Zeugen mit Überzeugung sprechen. Die Schahada ist ein Satz auf Arabisch, der übersetzt lautet: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott, und ich bezeuge, dass Muhammed sein Gesandter ist.“

In der Praxis jedoch haben viele muslimische Gemeinden Beauftragte für die Konversion. Sie fragen nach den Motiven der Konvertitinnen und Konvertiten und verlangen, dass sie bestimmte Gebete aufsagen und Pflichten einhalten können. Es bedarf allerdings keiner Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, um Muslima oder Moslem zu werden.

Ein Zeichen der Rebellion

Während die einen den tieferen Sinn in ihrem Leben finden, sei der Islam heute für viele der jungen Konvertitinnen und Konvertiten viel mehr als nur Religion, sagt Samet Er, der Projektleiter Niedersachsen beim Violence Prevention Network ist. „Der Islam ist das neue Coolsein, der neue Punk. Er ist leider zu einer Modeerscheinung, einem Hype geworden“, sagt er.

Samet Er arbeitet seit neun Jahren in dem Bereich, damals waren es vor allem Rückkehrerinnen und Rückkehrer des sogenannten Islamischen Staates (IS) und deren Angehörige, die betreut werden mussten. Seither ist nach seinen Angaben die Anzahl der Anrufe von Eltern, die besorgt sind, weil ihre Kinder sich dem Islam zuwenden, stetig gestiegen.

Er begleitet junge Menschen, die zum Islam konvertieren, und er berät ihre Eltern, wenn diese Hilfe suchen. Aus seiner Arbeit weiß er, dass es verschiedene Motivationen gibt, zum Islam zu konvertieren. In vielen Fällen spiele eine Abgrenzung zur Herkunftsumgebung und die Suche nach Aufmerksamkeit eine Rolle.

Mehr als eine Religion

Ein weiteres mögliches Motiv für die Konvertierung zum Islam ist offenbar die erste Liebe. „Wir haben viele Anrufe von Eltern, deren Tochter sich mit 13, 14, 15 Jahren in einen Moslem verliebt hat und konvertieren will“, sagt Samet Er. Häufig sei das gar nicht der Wunsch oder gar eine Forderung des Jungen, vielmehr wolle das Mädchen konvertieren, um ihm und seiner Familie zu gefallen.

Während die meisten Musliminnen und Moslems ihre Religion als Privatsache behandeln, leben viele Konvertitinnen und Konvertiten ihre Religion sehr offen aus. Vorgemacht haben das schon vor vielen Jahren Islamistinnen und Islamisten. „Islamisten haben den Islam zur Mode gemacht und gehen auf alle Jugendthemen ein. Sie sind omnipräsent und stellen es so dar, als hätte der Islam zu allen Themen eine Antwort“, erklärt Er.

Keine offiziellen Zahlen

In Deutschland gibt es keine offizielle Statistik zur Anzahl von Konversionen. Vor rund einem Jahrzehnt hatte das heute nicht mehr existierende Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland noch Hochrechnungen angestellt. 2013 gingen sie von 2000 Konvertierungen pro Jahr aus und 40.000 Konvertitinnen und Konvertiten im Land. Das war allerdings vor dem neuerlichen Hype, der erst vor wenigen Jahren einsetzte.

Etwa drei Anrufe pro Woche erhält das Violence Prevention Network in Niedersachsen. „Wir sind nur eine Organisation von vielen, an die sich Eltern wenden, wenn sie Angst um ihre Kinder haben”, sagt Er, „meistens rufen sie an, wenn ihre Kinder konvertieren wollen und die Eltern diese Konversion mit Islamismus verbinden.“ Die Anzahl der Anrufe habe zuletzt zugenommen.

Ähnliche Strömungen werden auch in Deutschlands Nachbarländern wahrgenommen. Federico Biasca vom Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg sagte dem „Tagesanzeiger“, dass die Zahl der Konvertitinnen und Konvertiten in der Schweiz steige.

In Deutschland ist laut Er auffällig, dass sich einige Jugendliche nach zwei, drei Jahren wieder vom Islam abwenden. „Ist man erst einmal etabliert in einer Gruppe, erhält man nicht mehr die Aufmerksamkeit, die man als neue Person erhält“, sagt Er. Das zeige auch, dass es sich eher um Jugendkultur und eine „Scheinreligiosität“ handele, wie Er es nennt.

Wie Eltern damit umgehen können

Wie aber sollten sich Eltern verhalten, wenn ihr Kind konvertiert? „Ich wäre auch besorgt, wenn meine Tochter konvertieren wollen würde“, sagt Er. Allerdings sei eine starke Abwehrhaltung oft keine zielführende Reaktion. Der erste Tipp, den er Eltern gibt, lautet: „Nicht Panik schieben, die Füße stillhalten, Gespräche suchen.“ Wenn das nicht helfe, könnten sich Eltern an spezifische Beratungsstellen wenden.

„Wenn Provokation und Rebellion als Motive eine Rolle spielen, merkt das Kind, dass der Plan funktioniert“, sagt Er. Viele Eltern befürchteten nicht nur eine Entfremdung von ihren Kindern, sondern auch eine Radikalisierung. Letzteres ist allerdings dem Experten zufolge eher selten.

Dennoch gibt es Gefahren, denn der radikale Islam ist in den sozialen Medien sehr präsent. Wer nach Inhalten und Informationen zum Islam sucht, wird dort häufig mit dem radikalen Islamismus als Norm konfrontiert. Kinder und Jugendliche auf der Suche nach Orientierung finden hier womöglich eine Art von Halt - was Islamistinnen und Islamisten zu nutzen wissen. Pierre Vogel etwa, der vor rund zehn Jahren den Salafismus in Deutschland bekannt machte und als berühmtester Konvertit Deutschlands gilt, erreicht über soziale Medien noch immer rund 200.000 Menschen.

Der radikale Islam übt auf rebellische Jugendliche mitunter sogar einen besonderen Reiz aus, erklärt Experte Er. Das Aufmerksamkeitspotenzial sei da noch einmal höher. „Die Jugendlichen fühlen sich wichtig und noch cooler, wenn sogar der Staat sie verfolgt. Das bestätigt sie“, sagt Er. Auch mit diesen Gefühlen spielen radikal-islamistische Accounts.

Eigene Meinung ohne Anti-Haltung

„Wenn man das Kind nicht verlieren will, sollten Eltern ihre Haltung, ihr Verhalten und ihre Gedanken hinterfragen“, sagt Er. Eltern sollten sich für den neuen Lebensstil ihrer Kinder interessieren. Das kann bloßes Nachfragen zu Thesen und Motiven des Islam sein, aber auch der Verzicht von Schweinefleisch am gemeinsamen Esstisch, oder die Bitte, das Kind beim Beten oder beim Gang zur Moschee begleiten zu dürfen.

Dem Kind zu sagen, dass man eine Konvertierung nicht gut findet, ist laut Er in Ordnung, es solle aber bestenfalls keine grundsätzliche Anti-Haltung entstehen. Es sei zielführender zu erklären, dass man sich eben Sorgen mache, das Kind aber trotzdem bei seinen Entscheidungen unterstütze. Er warnt: Finden die jungen Konvertitinnen und Konvertiten zu Hause keine Unterstützung, kann diese Lücke viel leichter von radikalen Islamistinnen und Islamisten besetzt werden.

Bei Mädchen, die für einen Jungen konvertieren, empfiehlt Er den Eltern, den Jungen einzuladen. „Dem Jungen sollten sie nichts vorwerfen, aber sie sollten signalisieren, dass die Tochter von ihrer Familie geliebt wird und den Eltern wichtig ist. Das zeigt, dass die Familie stabil ist.“

Sollte kein Durchdringen mehr möglich sein, könnten womöglich entweder Familienmitglieder helfen, die einen besonders guten Draht zu dem Kind oder Jugendlichen