Ein „islamischer Vatikan“ in Albanien? Diese Idee könnte schlafende Hunde wecken

                                                                 Artikel von Christiane Jaenick /BZ 
                                       khuzgtrf.jpg
                                            Die Große Moschee von Tirana soll 4500 Gläubigen Platz bieten. © Depositphotos/imago

Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Dass der Balkan noch immer ein Pulverfass ist, daran besteht leider kein Zweifel. Allerdings beschränken sich internationale – auch deutsche – politische Analysten in diesem Zusammenhang zumeist auf Akteure aus Belgrad, Pristina oder Sarajevo. Tirana bleibt meistens unter dem Radar. Wenn überhaupt, wird Albanien als angesagte Urlaubsdestination erwähnt oder als ewiger Beitrittskandidat, der geduldig im Warteraum der Europäischen Union sitzt. Aber manchmal ist Albanien auch gut für eine Sensation.

Als der albanische Premierminister Edi Rama vor wenigen Tagen am Vorabend der UN-Generalversammlung in New York die Idee publik machte, in der Hauptstadt Tirana einen „Souveränen Staat des Bektashi-Ordens“ zu errichten, war ihm zumindest die größtmögliche mediale Aufmerksamkeit sicher für sein neues Projekt. Er wolle „eine tolerante Version des Islam“ fördern, auf die Albanien stolz sei, erklärte Rama den Journalisten der New York Times.

Die Bektashi gehören dem sufistischen Islam an und sind seit dem 17. Jahrhundert in Albanien beheimatet. Sie bildeten in der Vergangenheit nach dem sunnitischen Islam und der Orthodoxen Kirche die drittstärkste Religionsgemeinschaft in Albanien. Bis zum Verbot aller Derwisch-Orden in der Türkei durch Kemal Atatürk war Anatolien das Zentrum der Bektashi gewesen, nach 1930 wurde es Albanien, das damals die größte Zahl religiöser Anhänger hatte.

Die Bektashi spielten in der albanischen Nationalbewegung, genannt Rilindja, Wiedergeburt, in der Zeit zwischen 1870 und 1912 eine große Rolle. So wollte Naim Frashëri, einer der bedeutendsten Dichter der albanischen Nationalbewegung, die Bektashi zum religiösen Pfeiler der nationalen Bewegung machen. Die Bektashi sind besonders tolerant. Frauen und Männer haben die gleichen Rechte und besuchen religiöse Zeremonien gemeinsam. Frauen müssen keinen Schleier tragen. Die religiösen Zeremonien finden in der Tekke statt, was „Rückzugsort“, „Schutz“ oder „Asyl“ bedeutet.

                                                    huzgtr.jpg

                                     Das derzeitige Oberhaupt der Bektashi, Baba Mondi, mit Gläubigen bei der Feier des Ashura-Festes im Bektaschi-Schrein von Sari Salltik, Kruje, Albanien.  © Philippe Lissac/imago
 

Die Familie des späteren kommunistischen Diktators Enver Hoxhas war eng mit dem Bektashi-Orden verbunden. Bevor Hoxha nach Frankreich zum Studium aufbrach, soll sein Vater ihn dazu gebracht haben, den Segen von Baba Selim der Tekke von Zall zu erhalten. Der bekannteste Bektashi aus den frühen Hoxha Zeiten war Baba Faja Martaneshi, der seine eigene Partisaneneinheit hatte. Auf alten Fotos steht er mit Turban und wallendem schwarzen Bart, den Patronengürtel umgeschlungen, manchmal neben Hoxha. Dessen Sinneswandel hat er nicht mehr erlebt, denn am 18. März 1947 wurde er aus einem Hinterhalt erschossen.

Angelehnt an die chinesische Kulturrevolution von Mao erklärte Enver Hoxha am 6. Februar 1967 Albanien zum ersten und einzigen atheistischen Staat der Welt. Innerhalb der folgenden Monate wurden alle Gotteshäuser in Albanien, darunter 530 Tekkes geschlossen. Nach der Aufhebung des Religionsverbots in Albanien nach dem Sturz der Diktatur wurde Tirana wieder zum internationalen Zentrum des Bektashi Ordens. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges sollen 15–20 Prozent der Albaner dem Bektashi Orden angehört haben, heute rechnet man mit ca. 5 Prozent.

Das derzeitige Oberhaupt der Bektashi, Edmond Brahimaj, den Anhängern als Baba Mondi bekannt, äußerste sich in ersten Interviews hocherfreut zu Ramas Plänen und hob hervor, diese Initiative würde eine neue Ära weltweiter religiöser Toleranz und der Förderung des Friedens einläuten. Die Bektashi würden nun in der Lage sein, vatikanähnliche Souveränität zu erlangen, die es ermöglichten, „religiöse und administrative Angelegenheiten autonom zu regeln“. Der Orden könne dann seine Rolle bei der Förderung des globalen interreligiösen Dialogs und der Bekämpfung des zunehmenden gewalttätigen Extremismus auf der ganzen Welt stärken.

Er erklärte auch schon mal, wie er beabsichtige, über sein kleines Land zu herrschen. Danach würden alle Entscheidungen mit Liebe und Freundlichkeit getroffen werden. Details wie etwa die Frage, wer Anspruch auf einen Pass habe, müssten noch geklärt werden, er fügte aber hinzu, die Farbe des Passes sei Grün, eine wichtige Farbe im Islam. In den sozialen Netzen kursierten sofort „Mustervorschläge

                                                hgztrd.jpg

                                                       Baba Mondi mit Besuchern am Wallfahrtsort Sari Salltik © Philippe Lissac/imago

 

Aber lustig ist das nicht. Nicht zum ersten Mal überrascht der albanische Premierminister nicht nur das internationale, sondern auch das heimische Publikum, seine eigene Partei einbegriffen. Seit dem überschlagen sich in Albanien und darüber hinaus Kommentare und Analysen, die sich mit dem Für und Wider, mit der Machbarkeit oder Absurdität von Ramas Idee beschäftigen. Vermutlich möchte sich Rama durch die Idee eines islamischen Staates, der für Toleranz und Förderung des Friedens steht, international profilieren. Und was könnte das national bedeuten? Entstünde da eine Art islamischer Vatikan mitten in Tirana? Oder würde aus dem unscheinbaren Wohngebiet am Rande der Hauptstadt ein Mekka 2.0?

Kritik kam unverzüglich von der albanischen Opposition, die Ramas Plan als abenteuerlich und verfassungswidrig bezeichnet. Akil Pano, Pfarrer und Professor für Philosophie in Tirana, forderte den albanischen Präsidenten Bajram Begaj auf, den Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen. Schließlich definiere die albanische Verfassung Albanien als unteilbares Territorium. Es könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden, nach dem andere (nationale) Minderheiten ebenfalls das Recht auf eigene Territorien einfordern würden. Die Idee Ramas bezeichnete Pano in einem Fernsehinterview als Landesverrat.

Wenn Baba Mondi in ersten Interviews sagt „Wir verdienen einen Staat…Wir sind die Einzigen auf der Welt, die die Wahrheit über den Islam sagen und ihn nicht mit der Politik vermischen“, läuten die Alarmglocken auch für die Muslimische Gemeinschaft Albaniens. Auch sie hätten von dieser Initiative erst aus den Medien erfahren. Dabei wäre eigentlich der Interreligiöse Rat Albaniens die Institution gewesen, die Rama vorher hätte konsultieren müssen.

Auch Sonila Meço meldet sich zu Wort, die Urenkelin des Bektashi Führers Baba Kamberi, der einer der ersten Opfer der Hoxha Diktatur im Kampf gegen den Klerus gewesen war. Meço verweist darauf, dass der albanische Staat nach dem Sturz der Diktatur nicht genug unternommen habe, die Religionsgemeinschaft der Bektashi angemessen zu

entschädigen. Und nun wolle man ihnen einen ganzen Staat schenken? Sie wisse nicht welche Rolle der hohe Bektashi-Klerus bei dieser Initiative spielen würde, aber da sie selbst Bektashi sei, nehme sie ihr Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch.

Auch Vertreter des Bektaschi-Ordens in der Türkei reagierten auf den Plan. Man verstehe nicht, warum es einen solchen Staat brauche. Würden die türkischen Bektashi dazu gehören? Oder wäre der Staat eine „albanische Sache“? Man befürworte jedenfalls keinen auf Glauben basierenden Staat.

Kritik an Ramas Idee gibt es allerdings auch aus einer ganz anderen Richtung. Kreshnik Spahiu, Gründungsvorsitzender der albanischen nationalistischen rechtspopulistischen Partei „Allianz Rot und Schwarz“ (AKZ) merkte auf dem Portal Repolitix an, er warte darauf, dass der albanische Premierminister „die Idee einer Union Albaniens mit dem Kosovo bei den Vereinten Nationen vorstellte, … die das jahrhundertealte Streben der Albaner nach Identität und nationaler Einheit zum Ausdruck“ bringe. Das sei „einfacher als die Schaffung mehrerer religiöser Ministaaten“. Spahiu hat sich aus der aktiven Politik zurückgezogen, seine AKZ hat seit ihrer Gründung 2012 bei Wahlen nie den Einzug ins Parlament geschafft. Rama mag mit seinem Vorschlag schlafende Hunde geweckt haben. Ein Spiel mit dem Feuer.

Christiane Jaenicke studierte Geschichte mit Schwerpunkt Südosteuropa. Ab 1999 für die OSCE und EU auf dem Balkan im Einsatz, darunter als Senior-Beraterin im albanischen Außenministerium in Tirana für den albanischen OSZE-Vorsitz 2020. Heute freie Autorin und gelegentlich unterwegs als Wahlbeobachterin.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.