Gefälschte Erlaubnisse für Islamlehrer in NRW – „System nicht mehr zu retten“

Artikel von Kristian Frigelj/ WELT
Der islamische Religionsunterricht an Schulen in Nordrhein-Westfalen wird von Betrugsfällen erschüttert: Mehrere Lehrerlaubnisse sind nach WELT-Informationen gefälscht. Was steckt dahinter? Jetzt wird die Forderung laut, das System umzukrempeln – und den Unterricht abzuschaffen.
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                                                                     picture alliance/dpa

 

 

Ahmet Ü. schmückte sich nicht nur mit falschen Studienabschlüssen und einem Doktortitel, der ihm nie verliehen worden war. Im Betrugsprozess gegen den 48-jährigen Deutsch-Türken, der mit erfundenen akademischen Titeln zum einflussreichen Islamberater des Bildungsministeriums in Nordrhein-Westfalen aufgestiegen war, kam im Juli dieses Jahres noch etwas anderes heraus: Ü. hatte eine Lehrerlaubnis für den islamischen Religionsunterricht, eine so genannte Idschaza, gefälscht.

Für die NRW-Landesregierung war dies der Anlass, weitere solche Lehrerlaubnisse zu überprüfen. Dabei stieß sie auf mehrere Fälschungen. Nach WELT-Informationen sind bisher insgesamt drei Fälle aufgefallen. Dies geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort des NRW-Bildungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP-Landtagsabgeordneten Franziska Müller-Rech hervor.

„Die Überprüfung der religiösen Bevollmächtigung aller dokumentierten Idschaza der aktiv im islamischen Religionsunterricht eingesetzten Lehrkräfte hat dabei zwei Ungereimtheiten ergeben“, teilt das Ministerium mit. Die eine der betreffenden Personen darf demnach nicht mehr unterrichten. Eine Strafanzeige wurde gestellt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Im zweiten Fall sei die Person nicht mehr im Schuldienst aktiv. „Die Urheberschaft der vermutlich gefälschten Dokumente ist dem Ministerium für Schule und Bildung nicht bekannt“, heißt es in der Antwort.

Bereits im Herbst 2021 habe es in einem anderen Fall „anlässlich eines Routinevorgangs Zweifel an der Echtheit einer Idschaza“ gegeben. Die Kommission für islamischen Religionsunterricht, die solche Lehrerlaubnisse erteilen darf, habe eine „Fälschung“ im Dezember 2021 bestätigt. Die Lehrkraft wurde suspendiert. Ein Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt, doch das Disziplinarverfahren läuft noch.

Die Antwort wirft neue Fragen auf: So teilt das NRW-Bildungsministerium nicht mit, wie viele Idschaza überprüft wurden. Es lässt sich auch nicht nachvollziehen, warum nicht bereits nach der bekannt gewordenen Fälschung 2021 eine umfassende Überprüfung eingeleitet worden war. In jenem Jahr hatte WELT AM SONNTAG das betrügerische Treiben von Ahmet Ü. enthüllt. Die Recherchen hatten den Prozess vor dem Amtsgericht Duisburg im Juli dieses Jahres zur Folge, in dem Ü. zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde.

Immerhin hatte Ü. das Ministerium nach deren Auskunft gegenüber WELT 2021 „in Fragen des Islams und zur Bildung und Arbeit der Kommission für den islamischen Religionsunterricht“ beraten.

Es geht mithin um die Verlässlichkeit der Kommission mit Vertretern verschiedener Moscheegemeinden. In der Antwort an FDP-Parlamentarierin Müller-Rech stellt sich auch heraus, dass der Landesregierung und die ihr untergeordneten Bezirksregierungen bisher keine Listen mit Lehrkräften, die eine Idschaza besitzen, vorlagen. Sie mussten stattdessen auf die Dokumentation des früheren Beirats (bis Mitte 2021) und der aktuellen Kommission für den islamischen Religionsunterricht zwischen Januar 2012 und April 2024 zurückgreifen. „Aus aktuellem Anlass haben die Bezirksregierungen nunmehr zu Prüfungszwecken Listen zu den derzeit aktiv im islamischen Religionsunterricht eingesetzten Lehrkräften erstellt“, erklärt das NRW-Bildungsministerium.

Die FDP-Fraktion sieht sich durch die neuen Erkenntnisse in ihrer Forderung bestätigt, den islamischen Religionsunterricht, kurz IRU, in NRW gänzlich abzuschaffen. „Die aktuellen Berichte über gefälschte Lehrerlaubnisse zeigen einmal mehr, dass dieses System in seiner derzeitigen Form nicht mehr zu retten ist“, erklärt Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion NRW, gegenüber WELT. Die Landesregierung müsse „jetzt endlich Entschlossenheit zeigen und den islamischen Religionsunterricht durch Ethik oder praktische Philosophie ersetzen“.

60 Prozent der Lehrkräfte „anti-westlich“ eingestellt

Neben diesen „organisatorischen und strukturellen Mängeln“ beklagt Müller-Rech auch „erhebliche inhaltliche Probleme“ mit den Einstellungen vieler angehender IRU-Lehrkräfte: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass der Islamische Religionsunterricht zu einem Einfallstor für extremistische Ideologien wird.“ Müller-Rech bezieht sich dabei auf eine jüngst publizierte Studie der Universität Münster, wonach unter 252 befragten Studenten der Islamischen Theologie und Religionslehre „antisemitische und extremistische Positionen“ weit verbreitet seien.

Das NRW-Bildungsministerium lässt den islamischen Religionsunterricht bis Oktober 2025 wissenschaftlich evaluieren. Dann wird über Konsequenzen beraten. Von mehr als 470.000 muslimische Schülerinnen und Schülern nehmen landesweit bisher etwa sechs Prozent am IRU teil. NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) hält den IRU nach aktueller Aussage für „unverzichtbar“.

Politikredakteur Kristian Frigelj ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.

Demnach sind etwa 60 Prozent der angehenden Islamlehrer und Theologen „anti-westlich“ eingestellt. Fast 48 Prozent seien der Meinung, dass der Staat Israel kein Existenzrecht habe, und nach Ansicht von 37 Prozent hätten Juden zu viel Macht und Einfluss. Mehr als zwei Drittel der Befragten fühlt sich durch den deutsch-türkischen Moscheeverband Ditib vertreten, knapp 59 Prozent von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). In der Studie wird festgestellt, dass islamische Verbände mit religiös-orthodoxen Vorstellungen „erheblichen Einfluss“ auf Studium und Karriere der Studenten besäßen.