Abdassamad El Yazidi im Interview - Islamismus beim Zentralrat? Nach Solingen reagiert Verbands-Chef auf harte Vorwürfe

                                                              Artikel von Von FOCUS-online-Redakteur Sebastian Scheffel (Berlin)
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Abdassamad El Yazidi ist seit Juni 2024 Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Peter Förster/dpa-Zentralbild/dpa, Christoph Reichwein/dpa © Peter Förster/dpa-Zentralbild/dpa, Christoph Reichwein/dpa
 
Der Zentralrat der Muslime hat den Solingen-Anschlag verurteilt, das Tatmotiv aber nicht genannt. Warum, erklärt der Vorsitzende im Interview. Er wehrt sich zudem gegen Behauptungen, extremistische Mitglieder im Verband zu dulden.

Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Solingen richten sich die Blicke auch auf die muslimische Gemeinschaft in Deutschland. Tut sie genug gegen Gewalt im Namen ihrer Religion – oder befördert sie diese sogar?

FOCUS online hat mit Abdassamad El Yazidi darüber gesprochen. Er hat im Juni den Vorsitz des Zentralrats der Muslime von seinem Vorgänger Aiman Mazyek übernommen. Der Zentralrat ist einer der größten islamischen Dachverbände in Deutschland.

FOCUS online: Herr El Yazidi, in der Pressemitteilung des Zentralrats zum Anschlag in Solingen heißt es, man sei schockiert über die Tat und trauere mit den Angehörigen der Opfer. In Solingen und anderswo gibt es aber offenbar kaum Muslime, die diese Worte leben – zum Beispiel, indem sie zu Demonstration gegen Hass im Namen des Islam aufrufen. Warum geschieht das nicht?

Abdassamad El Yazidi: Ich glaube nicht, dass es gar nicht geschieht. In den aktuellen Debatten versuchen sich verschiedenste Menschen und Gruppen von Verantwortung freizusprechen.

Die Verantwortung für ein friedliches Miteinander ist aber eine gesamtgesellschaftliche. Die Moscheegemeinden leisten dabei einen vorbildlichen Einsatz. Von ihnen geht keine Radikalisierung aus, trotzdem werden sie verantwortlich gemacht. Leider wurden auch wir als Zentralrat nach dem Anschlag beschimpft und verurteilt.

Wir trauern aber um die Getöteten und beten für sie. Als Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind auch wir Opfer des Anschlags. Der Terrorist wollte möglichst viele Menschen töten, er hat dabei keine Rücksicht auf Glauben oder Herkunft genommen. Die Organisation, die sich zur Tat bekannt hat, hat mehr Muslime getötet als Menschen anderen Glaubens.

Will Terror-Organisationen nicht helfen, in dem ich ihren Namen nenne“

Sie meinen den sogenannten Islamischen Staat. In der Pressemitteilung findet sich kein Wort zur mutmaßlich islamistischen Motivation des Täters. Warum haben Sie dieses für einen Islamverband doch so wichtige Detail ausgespart?

El Yazidi: Es ist bislang eben nur ein mutmaßliches Motiv. Wir haben in der Pressemitteilung die Opfer und die Verurteilung der Tat in den Vordergrund gestellt.

Auch ihr Vorgänger als Zentralratsvorsitzender, Aiman Mazyek, hat in seinen Stellungnahmen zum Messerangriff in Mannheim im Mai das Tatmotiv außen vor gelassen. In beiden Fällen gab es früh gewichtige Indizien dafür, dass die Attacken einen islamistischen Hintergrund haben.

El Yazidi: Ich will diesen terroristischen Organisationen nicht helfen, indem ich ihre Namen nenne. Man muss sie bestrafen, indem man ihnen keine Deutungshoheit zumisst. Sie wollen größtmögliches Blutvergießen anrichten und dabei die Gesellschaft spalten.

Im Fokus stehen dabei auch die Muslime, die im Westen integriert sind und sich mit dem Land identifizieren, in dem sie leben. Im Übrigen benennen wir das Motiv auch nicht, wenn es ein anderes ist als in diesem Fall.

Extremistische Mitglieder? „Richten uns nicht nach Unterstellungen“

Ihr Vorgänger Mazyek wurde von manchen dafür kritisiert, Islamismus nicht entschieden genug entgegenzutreten. Was werden Sie auf diesem Feld anders machen als er?

El Yazidi: Die Vorwürfe sind unbegründet. Ich habe mit meinem Vorgänger gut zusammengearbeitet, als ich noch Generalsekretär des Zentralrats war. Wir arbeiten beide nach der Devise, jeglichen Extremismus zu verurteilen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Diejenigen, die uns vorwerfen, zu wenig zu tun, sollen unsere Gemeinden besuchen und dann konkret sagen, was wir mehr leisten können.

Statt eine Brandmauer gegen den Extremismus zu bilden, zerfleischt sich die Gesellschaft selbst, indem sie unschuldige Muslime in Mithaftung für grausame Taten nimmt. Die Politik und Medien tragen dabei auch eine Verantwortung. Mit Populismus werden wir keinen Schritt vorankommen.

Sie wollen also den Kurs im Vergleich zu Ihrem Vorgänger nicht anpassen. Das heißt, die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) bleibt auch unter Ihnen Teil des Zentralrats der Muslime? Der Verfassungsschutz ordnet die Vereinigung den türkischen rechtsextremen Grauen Wölfen zu.

El Yazidi: Der Zentralrat hat in der Vergangenheit sehr deutlich gezeigt, dass er sich wehrhaft zeigen kann gegenüber Extremismus. Wir haben die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (Anm. d. Red.: gilt dem Verfassungsschutz als Ableger der islamistischen Muslimbruderschaft) ausgeschlossen und beim Islamischen Zentrum Hamburg (Anm. d. Red: verboten mit der Begründung, dass es vom Iran gesteuert ist und verfassungsfeindliche Ziele verfolgt) die Mitgliedschaft eingefroren. Die Atib geht gerichtlich gegen die an sie gerichteten Vorwürfe vor. Sie hat versucht, ihre Arbeit transparent zu machen. Wir sehen nur, dass Einzelpersonen problematische Aussagen bei Social Media gepostet haben, Atib hat darauf aber sofort reagiert.

Es ist unsere Verantwortung, uns nicht nach einem Generalverdacht oder Unterstellungen zu richten, sondern für ein friedliches Zusammenleben zu sorgen. Atib hat den Weg gewählt, beim Zentralrat der Muslime Mitglied zu werden. Das begrüßen wir, denn damit stellt sie die deutsche Identität in den Vordergrund. Stattdessen hätte sie sich auch direkt türkischen Organisationen anschließen können.

„Wir sehen keine islamistischen Mitgliedsorganisationen“

Es ist für Sie also keine Option, die Mitgliedschaft so lange auszusetzen, bis alle Zweifel ausgeräumt sind?

El Yazidi: Wir können nicht auf Zuruf die Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime einfrieren. Wir haben das auch beim Islamischen Zentrum Hamburg erst gemacht, als Gerichte ein Urteil gefällt hatten und die Politik ein Verbot ausgesprochen hat. Sollte das bei der Atib geschehen, würden wir ebenfalls handeln. Wir haben aber nicht dieselben Mittel wie die Sicherheitsbehörden, die Organisation zu beobachten.

Können Sie dann überhaupt ausschließen, dass es im Zentralrat Mitgliedsorganisationen gibt, die islamistischen Ideen anhängen?

El Yazidi: Wir sehen keine islamistischen Mitgliedsorganisationen. Wenn wir das sähen, würden wir eingreifen. Es gab Organisationen, die eine Mitgliedschaft beantragt haben, die wir aber nicht aufnehmen konnten, weil wir nicht den Eindruck hatten, dass sie sich für die demokratische Ordnung einsetzen.

Unsere Jugendarbeit wirkt stark immunisierend gegen Extremismus“

Der Zentralrat schreibt auf seiner Webseite, zu seinen wichtigsten Aufgaben zähl unter anderem die „Bekämpfung von Extremismus jeglicher Couleur“. Was konkret unternehmen Sie gegen Islamismus?

El Yazidi: Wenn Sie sich unsere Medienarbeit und Pressemitteilungen anschauen, werden Sie eine Linie des Respekts gegenüber anderen Religionen und allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sehen – auch in schwierigen Situationen.

Während Corona haben die muslimischen Organisationen zum Beispiel ihre Jugendarbeit dafür eingesetzt, älteren Menschen mit Einschränkungen zu helfen. Unsere Jugendarbeit wirkt stark immunisierend gegen Extremismus. Die Menschen, die durch Extremismus auffallen, werden nicht in den Moscheegemeinden sozialisiert, sondern im Internet.

Welcher Anteil in Ihrem Budget fließt in die Extremismusbekämpfung?

El Yazidi: Unser Budget ist allgemein sehr klein, wir bekommen keinerlei Förderung aus dem In- und Ausland. Deshalb kann ich das nicht beziffern. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich, wir investieren abertausende Stunden zum Beispiel für die theologische Fortbildung oder Jugendarbeit. Die Menschen, die neben ihrem Job Zeit in den Moscheegemeinden aufwenden, werden leider aber unhaltbaren Verdächtigungen ausgesetzt.

„Merz fischt in den Gewässern der AfD“

CDU-Chef Friedrich Merz hat nach dem Anschlag in Solingen gesagt, nicht die Messer seien das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen würden. Er meint vor allem Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten steckten islamistische Motive dahinter. Teilen Sie seine Analyse und die daraus abgeleiteten Vorschläge?

El Yazidi: Herr Merz fischt in den Gewässern der AfD und lässt sich von ihr sein Reden vorgeben. Es stimmt, dass nicht die Messer das Problem sind, sondern die Menschen. Aber für sie trägt keine Religionsgemeinschaft eine Verantwortung. Wir sollten in Deutschland mit einer Theologie der Barmherzigkeit anpacken, nicht Ressentiments schüren.

Welche der derzeit diskutierten Forderungen als Konsequenz aus Solingen unterstützen sie denn?

El Yazidi: Es ist die Aufgabe eines wehrhaften Staates, zu reagieren, wenn wir angegriffen werden. Die Vorschläge, die nun gemacht werden, müssen geprüft und die sinnvollen dann umgesetzt werden.

„Dürfen durch populistische Politik nicht doppelt gestraft werden“

Von der Asyldebatte nach dem Anschlag könnten die AfD und andere Rechtspopulisten profitieren. Fürchten Sie, dass das negative Auswirkungen auf die Muslime in Deutschland haben könnte?

El Yazidi: Wir Bürgerinnen und Bürger wurden schon durch den Anschlag gestraft und dürfen durch populistische Politik nicht doppelt gestraft werden. Die AfD verbreitet Hass, nicht nur gegen Muslime, auch gegen Juden und andere. Ich rufe deshalb dazu auf, bei den Landtagswahlen nicht die AfD zu wählen. Aber es ist nicht nur diese Partei, es geht auch um diejenigen, die ihr nach dem Mund reden. Das ist ohnehin nicht erfolgreich, am Ende wählen die Menschen lieber das Original.

Sprechen Sie also auch für die CDU keine Wahlempfehlung aus?

El Yazidi: Nein, die CDU ist weiterhin eine demokratische Partei, auch wenn ihr Vorsitzender und andere Politiker in der Führung derzeit populistisch unterwegs sind.

Wenige Muslime wählen etablierte Parteien – und stattdessen Erdogan-Unterstützer

Kürzlich wurden erstmals Daten zum Wahlverhalten von Muslimen bei einer bundesweiten Abstimmung veröffentlicht. Demnach stimmten 17 Prozent für Partei Dava. Sie soll dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahestehen. Wie interpretieren Sie das Ergebnis?

El Yazidi: Wir sprechen sehr oft über die Symptome und schauen nicht auf den Kern der Problematik. Was ich aus dem Ergebnis herauslese, ist, dass mittlerweile wenige Muslime die etablierten Parteien wählen.

Auch das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht erhielt bei Muslimen 17 Prozent und liegt mit der Dava auf dem geteilten ersten Platz.

El Yazidi: Genau, die etablierten Parteien sollten überlegen, wie sie diese Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen. Mit Spalterei wird das nicht funktionieren. 

Dennoch, es haben sich zahlreiche Muslime für die Dava entschieden. Manche Experten sehen bei ihr islamistische Züge.

El Yazidi: Ich kenne die Dava und ihre Strukturen nicht. Aber die Frage bleibt für mich, was schiefläuft, wenn Menschen sich dazu bewegt fühlen, eine aus der Türkei gesteuerte Partei zu wählen.

Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen, denn dann zeigen mehrere Finger auf uns zurück. Ich glaube, wir wären gut beraten, uns darauf zu konzentrieren, warum es uns mit unserer etablierten politischen Parteienlandschaft nicht gelingt, junge, in Deutschland sozialisierte Muslime für unsere Arbeit und Politik zu begeistern.