Viele antisemitische Angriffe bei Corona-Demos
Die WeltAm vergangenen Sonntag stand eine blonde Frau um die 50 Jahre zwischen Polizisten und Einsatzfahrzeugen auf der Straße in Berlin-Westend, als sie einen bekannten Journalisten mit Kamerateam erblickte. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn, schrie: „Dieser Jude-Arsch!“ Zwei jüngere Männer neben ihr riefen „Judas“ und „Lügenpresse“.
Ein Video der Szene von der Querdenker-Demonstration kann man sich bei Twitter ansehen, zusammen mit anderen Beispielen von judenfeindlichen und Holocaust-verharmlosenden Vorfällen: Während der Corona-Proteste am Sonntag legten Unbekannte in Plastik eingeschweißte Zettel aus, auf die ein KZ-Tor mit der Aufschrift „Impfen schafft Freiheit“ gemalt war. Andere Teilnehmer hatten sich einen Davidstern mit dem Hinweis „ungeimpft“ auf den Hemdsärmel geklebt. Auf dem Potsdamer Platz wurde eine kleine Gegenkundgebung angegriffen, deren Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“ trugen. Demonstranten versuchten, das Transparent zu stehlen.
Der Bundesverband Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus e.V. (Rias) ist besorgt: „Die Proteste am ersten Augustwochenende zeigen, dass es eine Kontinuität hinsichtlich antisemitischer Äußerungen bei Versammlungen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie gibt“, sagte Daniel Poensgen von Rias der WELT AM SONNTAG. Man habe es hier mit einem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum zu tun, das auch mit Ende der Coronapandemie nicht einfach verschwinden werde.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Rias-Studie im Auftrag des American Jewish Committee Berlin Ramer Institute, die dieser Zeitung exklusiv vorliegt. Seit dem Beginn der Coronapandemie erlebten antisemitische Verschwörungsmythen demnach eine starke Konjunktur. Juden wurden verantwortlich gemacht für die Pandemie oder auch für staatliche Eindämmungsmaßnahmen.
Rias betreibt zahlreiche regionale Meldestellen in Deutschland. Im Zeitraum vom 17. März 2020 bis 17. März 2021 wurden bei diesen 561 antisemitische Vorfälle mit Bezug zur Coronapandemie gemeldet. Fast 60 Prozent davon ereigneten sich bei Versammlungen und Demonstrationen. Juden und Jüdinnen schilderten jedoch auch Alltagssituationen, in denen sie beispielsweise im Supermarkt von Fremden beschimpft wurden – und beschuldigt, das Virus in die Welt gesetzt zu haben.