Festnahme im Fall „NSU 2.0“
Nach rechtsradikalen Drohbriefen: Ermittler melden Erfolg
„Am offenen Rechner festgenommen“: BKA-Chef Holger Münch berichtete gestern in Berlin von dem Fahndungserfolg.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Wiesbaden/Berlin. Ermittlungserfolg zur Serie rechtsextremer Drohschreiben „NSU 2.0“: Ein 53 Jahre alter Mann ist in Berlin bei einer Wohnungsdurchsuchung festgenommen worden.
Der arbeitslose Deutsche stehe im dringenden Verdacht, „seit August 2018 unter dem Synonym ,NSU 2.0’ bundesweit eine Serie von Drohschreiben mit volksverhetzenden, beleidigenden und drohenden Inhalten verschickt zu haben“, teilten die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und das Hessische Landeskriminalamt in der Nacht zu Dienstag mit. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte in Berlin: „Der Tatverdächtige ist gestern festgenommen worden am offenen Rechner.“
Die Absenderkennzeichnung „NSU 2.0“ nahm Bezug auf die Mordtaten der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zwischen 2000 und 2007. Empfänger der Drohschreiben waren überwiegend Personen des öffentlichen Lebens, vor allem aus der Medienwelt und der Politik, darunter Abgeordnete des Bundestags und des Hessischen Landtags.
Auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hatte Mitte vergangenen Jahres eine Mail erhalten, in der damit gedroht wurde, ihn umzubringen. Unterzeichnet war das Schreiben mit „Heil Hitler“, „Der Nationalsozialistische Untergrund“ und „NSU 2.0“. Die Ermittler
Mittwoch, 5. Mai 2021 Politik
„NSU 2.0“: Polizei fasst arbeitslosen Rechtsextremisten
Verdächtiger soll sich unter falscher Identität Auskünfte erschlichen haben – Hessens Innenminister Beuth sieht Landespolizei als entlastet an
Von Felix Huesmann
und Jan Sternberg
Vielfach herrscht Betroffenheit: Demonstrantin während einer Kundgebung im vergangenen Sommer in Wiesbaden.Foto: Arne Dedert/dpa
Berlin. Lange war vermutet worden, hinter den Drohbriefen mit dem Absender „NSU 2.0“ steckten hessische Polizisten. Nun nahmen Ermittler am Montagabend nach zweieinhalb Jahren einen arbeitslosen Rechtsextremen in Berlin fest. Betroffene zeigten sich erfreut über den Ermittlungserfolg. Es bleiben jedoch wichtige Fragen offen.
Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz erhielt im August 2018 das erste Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“. In dem Schreiben wurde auch der Name ihrer Tochter erwähnt, der nicht öffentlich bekannt war. Kurz bevor die Anwältin das Drohschreiben erhielt, waren zudem ihre Daten von einem Computer der Frankfurter Polizei abgefragt worden.
So wie Basay-Yildiz erhielt seit dem Sommer 2018 eine ganze Reihe von Frauen Drohschreiben des „NSU 2.0“: Die Kabarettistin Idil Baydar etwa, und die Linken-Politikerinnen Martina Renner, Anne Helm und Janine Wissler. Mehrere Schreiben enthielten nicht öffentlich zugängliche Informationen. Die hessische und auch die Berliner Polizei gerieten zunehmen in den öffentlichen Fokus. Verschickten Polizisten rechtsextreme Drohungen an ihnen unliebsame Personen?
Umso überraschender kam die Festnahme am Montag. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt und das Hessische Landeskriminalamt durchsuchten eine Wohnung in Berlin und vollstreckten einen Haftbefehl gegen einen 53-jährigen Tatverdächtigen. Der Mann sei in der Vergangenheit bereits wegen zahlreichen, unter anderem auch rechtsmotivierten Straftaten verurteilt worden, teilte das LKA mit. Der wohl wichtigste Satz der Mitteilung: „Er war zu keinem Zeitpunkt Bediensteter einer hessischen oder sonstigen Polizeibehörde.“ Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärte am Dienstag, er sehe die hessische Polizei entlastet.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Berliner Rechtsextremist sich als Polizist ausgegeben und sich durch Anrufe bei Behörden Auskünfte erschlichen hat. Darauf habe es bereits früh Hinweise gegeben, erklärte der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, am Dienstag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Noch nicht geklärt sei, warum es im zeitlichen Zusammenhang mit dem Versand von Drohschreiben Datenabfragen von Polizeicomputern gegeben habe.
Auch Anne Helm erhielt Drohschreiben. Die Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hält die Erklärungen der Ermittlungsbehörden für „glaubwürdig, aber nicht hinreichend“. Gesperrte Adressdaten aus Polizeicomputern würden höchstwahrscheinlich nicht einem externen Anrufer mitgeteilt. „Er muss Quellen gehabt haben, oder es gab ein Netzwerk“, sagt sie.
Judith Porath, Vorstandsmitglied des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, bewertete den mutmaßlichen Ermittlungserfolg am Dienstag skeptisch. „Wir befürchten, dass die Polizei uns auch hier wieder einen Einzeltäter präsentieren und von der Verantwortung der hessischen Polizei ablenken wird. Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, müssen wir davon ausgehen, dass es mehr Täter, als den in Berlin festgenommenen gibt“, sagte sie in Berlin.