Ein Landesantidiskriminierungsgesetz für Niedersachsen

Menschen vor Diskriminierung zu schützen ist eine der Kernaufgaben des demokratischen Rechtsstaats. Niemand soll aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer rassistischen, antisemitischen oder antiziganistischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, des Gewichts, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie einer chronischen Erkrankung oder des sozialen Status diskriminiert werden. Ein Landesdiskriminierungsgesetz fördert die Präventionsmöglichkeiten von Diskriminierung durch Landesbehörden und ermöglicht und vereinfacht die Geltendmachung von Entschädigungs- und Ersatzansprüchen gegen das Land Niedersachsen in Fällen von Diskriminierung.

Im Bereich des Antidiskriminierungsrechts bestehen trotz gesetzgeberischer Tätigkeit in der Vergangenheit auf Bundes- und Landesebene immer noch Schutzlücken, insbesondere im öffentlichen Bereich. Das Antidiskriminierungsrecht bleibt damit auch hinter den europäischen Vorgaben zurück. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurden auf Bundesebene vier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung umgesetzt, wobei sich das AGG auf die Erwerbstätigkeit und den Privatrechtsverkehr beschränkt. Das “Niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz” (NGG) beschränkt sich auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der öffentlichen Verwaltung. sodass ein vergleichbarer Diskriminierungsschutz in Niedersachsen bei öffentlich-rechtlichem Handeln, z.B. beim staatlichen Bildungswesen oder bei den Sicherheitsbehörden, fehlt.

Daher fordern wir ein Landesantidiskriminierungsgesetz nach dem Vorbild des Berliner LADG, das ein umfängliches Diskriminierungsverbot im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns des Landes Niedersachsen vorsieht, einen verbesserten Zugang zu Instrumenten des Diskriminierungsschutzes schafft sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt als Leitprinzip verankert.

Essenzielle Bestandteile dieses Landesantidiskriminierungsgesetzes sollen sein:

  • Schließung bestehender Rechtsschutzlücken
  • Diskriminierung im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Handelns wird verboten. Der Diskriminierungskatalog umfasst (mindestens):
  • Geschlecht;
  • ethnische Herkunft;
  • rassistische Zuschreibung;
  • Nationalität;
  • Religion und Weltanschauung;
  • Behinderung und/oder chronische Erkrankung;
  • Lebensalter;
  • sexuelle Identität;
  • sozialer Status.
  • Gewicht
  • Möglichkeit der Verbandsklage und die Möglichkeit einer Prozessstandschaft
  • Prozesse gegen erlebte Diskriminierung zu führen, ist für Privatpersonen oft sehr aufwändig (nicht zuletzt auch finanziell), langwierig und belastend. Mit dem LADG wird es anerkannten Antidiskriminierungsverbänden möglich sein, mit Unterstützung der Betroffenen gegen Diskriminierung durch staatliche Einrichtungen im Namen der Betroffenen zu klagen.

            - Beweiserleichterung für Betroffene

  • In den seltensten Fällen geschieht Diskriminierung eindeutig und offensichtlich nachweisbar. So heißt es beispielsweise in einer Ablehnung bei der Wohnungssuche meistens nur, die Wohnung sei anderweitig vergeben worden. In Testing-Verfahren kann dann herausgearbeitet werden, dass die Ablehnungen überwiegend an Personen gehen, deren Nachname aus Sicht der Wohnungsgesellschaft einen internationale Geschichte nahelege. Betroffene sollen daher die Tatsachsen der Diskriminierung glaubhaft darlegen, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen das LADG überwiegend wahrscheinlich machen. Die Beweislast, dass keine Diskriminierung vorliegt, läge dann bei der beklagten Institution. Bei einer solchen Beweiserleichterung handelt es sich darüber hinaus um die Umsetzung der EU-Antirassismus-Richtlinie.

            - Einführung struktureller Diversity-Maßnahmen

  • Durch Maßnahmen wie Nachteilsausgleiche, Schulungen in Behörden u.a. soll Diversität gefördert und Menschen mit (Mehrfach-) Diskriminierungserfahrungen der gleichberechtigte Zugang zu Institutionen erleichtert werden. Für Vorgesetzte und Mitarbeiter*innen mit Leitungsfunktion ist eine Fortbildungsverpflichtung vorgesehen. Die dafür erforderliche Finanzierung muss im Landeshaushalt sichergestellt werden.

            - Schadensersatz und Entschädigungszahlungen

  • Für die erlittene Diskriminierung können Betroffene und solche die mittelbar durch die Diskriminierung einen Schaden erleiden verschuldensunabhängig Schadensersatz und Entschädigungszahlungen erhalten, für solche Nachteile, die nicht finanzieller Natur sind. Bezüglicher solcher Ansprüche gilt eine Beweiserleichterung zugunsten der Betroffenen.

            - Antidiskriminierungs-Ombudsstelle

  • Zur Unterstützung und Beratung Betroffener zur Durchsetzung ihrer Rechte nach dem LADG sollen in Niedersachsen Antidiskriminierungs-Ombudsstellen eingerichtet werden, die in Erfüllung ihrer Aufgabe nicht weisungsgebunden ist. Eine solche Stelle bedarf zur effektiven Unterstützung der Betroffenen umfassende Recht, wie z.B. das Recht zur Akteneinsicht, Sachverständige hinzuzuziehen, Gutachten einzuholen, die Kompetenz, Stellungnahmen von Behörden abzufragen und die Befugnis, nicht nur Handlungsempfehlungen auszusprechen, sondern auch die Umsetzung zu überprüfen. Betroffene müssen, unabhängig von ihrem Wohnort in Niedersachsen, einen niedrigschwelligen Zugang zu Ombudsstelle haben.

- ergänzendes Landesprogramm zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt, z.B. durch (verpflichtende) Schulungen im Bereich Diversity zur Stärkung der individuellen Handlungskompetenzen

-Mitarbeiter*innen und Behörden müssen in den Verwaltungen auf die Einführung eines solchen Gesetzes vorbereitet und entsprechend geschult werden, die entsprechenden Mittel müssen im Haushalt bereitgestellt werden

Begründung:

1) Jeder Mensch möchte fair und vorurteilsfrei behandelt werden. Dennoch ist Diskriminierung ein alltägliches Phänomen, dass– wenn zwar nicht alle – auf die eine oder andere Weise doch die allermeisten Menschen betrifft. Und nicht selten sind es staatliche Behörden und Akteur*innen, von denen Diskriminierung ausgeht. Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) schützt vor Diskriminierung und fördert Diversität in der Verwaltung. Ziel des Gesetzes ist die tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt. Mit dem Beschluss des LADG gehen wir analog zum Land Berlin einen wichtigen Schritt, um diese Forderung zu erfüllen und damit auch der gesetzgeberischen Pflicht zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien nachzukommen.

2) Das LADG schließt auf diese Weise eine bestehende Rechtslücke und baut den Diskriminierungsschutz in Niedersachsen aus. Mit dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) hat der Bundesgesetzgeber vier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung umgesetzt. Das AGG ist allerdings auf die Erwerbstätigkeit und den Privatrechtsverkehr beschränkt, sodass ein vergleichbarer Diskriminierungsschutz bei öffentlich-rechtlichem Handeln, z.B. beim staatlichen Bildungswesen oder bei den Sicherheitsbehörden, fehlt. Diese Regelungslücke schließt das LADG, um die die Gleichbehandlung langfristig durchzusetzen. Der Geltungsbereich des LADG ist weit gefasst. Eine Beschränkung der Geltung des Gesetzes auf bestimmte Lebensbereiche, wie im AGG, erfolgt nicht, da auch die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote, deren Durchsetzung das Gesetz bezweckt, für die Gesamtheit des Handelns des Landes Niedersachsen gelten. Zudem entfaltet das LADG Geltung für die landesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Darunter fallen beispielsweise die Hochschulen und Fachhochschulen.

3) Das LADG arbeitet mit einem Katalog von Diskriminierungsgründen, der sich in der Grundstruktur am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und an den in Art. 3 Abs. 3 VerfND aufgezählten Merkmalen orientiert. Das LADG verbietet eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie einer chronischer Erkrankung, des Gewichts und des sozialen Status. Dem LADG liegt der Gedanke zugrunde, dass Diskriminierungen an gesellschaftlich wirkmächtige und historisch verfestigte Ungleichheitsstrukturen anknüpfen. Diese äußern sich in Stigmatisierungen, Benachteiligungen und Ausgrenzungen von gesellschaftlicher Teilhabe, die auf historisch, strukturell und diskursiv verfestigten Ungleichheiten beruhen. 

4) Das LADG unterstützt von Diskriminierung Betroffene wirkungsvoll in ihren Rechten und hilft bei der Rechtsdurchsetzung, indem den Betroffenen erweiterte Rechtschutzmöglichkeiten und Beratungsangebote garantiert werden. Durch einen verschuldensunabhängigen Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch für Betroffene wird die Pflicht der Verwaltung, diskriminierungsfrei zu handeln, flankiert. Die Vermutungsregelung, die den Beweis zugunsten der Betroffenen erleichtert, senkt die Hemmschwelle zur Anzeige diskriminierender Handlungen und verstärkt die Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung. Darüber hinaus handelt es sich dabei um die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben.

Anerkannte Antidiskriminierungsverbände können Betroffene bei der Durchsetzung ihrer Rechte prozessstandschaftlich unterstützen, das bedeutet, dass diese Verbände die Rechte der Betroffenen im eigenen Namen gelten machen können und Menschen, die diskriminierendes Verhalten erfahren haben, sich keinem belastenden Prozess aussetzen müssen. Auch erhalten anerkannte Antidiskriminierungsverbände ein Verbandsklagerecht, wenn Verwaltungsakte, Allgemeinverfügungen oder sonstiges Verwaltungshandeln nicht nur im Einzelfall gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Die vom LADG vorgesehene Ombudsstelle kann im Diskriminierungsfall von jeder Person angerufen und das Beratungsangebot in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht mit dem LADG auch für solche Personen ein Schadensersatzanspruch, bei denen sich ein Schaden infolge einer Diskriminierung realisiert, obwohl diese nicht selbst diskriminiert wurden. Diese Regelung zur sogenannten „assoziierten Diskriminierung“ beruht auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2008 und greift immer dann, wenn die „merkmalstragende“ Person und diejenige Person, bei der aufgrund einer Ungleichbehandlung ein Schaden entstanden ist, in einem engen persönlichen Näheverhältnis zueinander stehen.

Verweise:

            https://gruene-fraktion.berlin/ladg_5_gute_gruende/

            https://gruene-fraktion.berlin/faq-ladg/

            https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-1996.pdf

            http://www.migrationsrat.de/ladg/

            https://hausderstatistik.org/wp-content/uploads/161116-koalitionsvertrag-final.pdf

            http://www2.thomasbirk.de/uploads/d17_2574_landesantidiskriminierungsgesetz.pdf