SPD-Politiker Stephan Weil "Deutschland hat ein Rassismus-Problem"
Misstrauen und Ablehnung gegenüber Migranten dürfen sich nicht weiter verbreiten, sagt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil im Interview. Schwere Vorwürfe macht er der CSU-Spitze.
Seit Wochen berichten Menschen mit Migrationshintergrund auf Twitter unter dem Hashtag #Metwo, wie sie im Alltag diskriminiert werden. Hätten Sie das in diesem Ausmaß für möglich gehalten?
Ja, leider. Ich spreche viel mit Migranten. Menschen mit ausländischen Wurzeln schlägt zunehmend Misstrauen und Ablehnung entgegen, auch bei uns in Niedersachsen. Der Nachbar im Treppenhaus grüßt nicht mehr. Im Supermarkt gibt es argwöhnische Blicke. Es ist gut, dass #Metwo die Erfahrungen der Betroffenen jetzt bündelt und öffentlich macht. Diese Dinge müssen auf den Tisch, das darf nicht so weitergehen.
Was muss passieren?
Die deutsche Mehrheitsgesellschaft darf unser Rassismus-Problem nicht länger ignorieren oder verharmlosen. Die allermeisten Menschen in Deutschland wünschen sich – davon bin ich überzeugt – ein faires, freundliches Klima in unserer Gesellschaft. Aber dafür müssen wir auch aktiv etwas tun. Alle von uns sind angesprochen, wenn Mitbürger schlecht behandelt werden.
Wo fängt Rassismus an?
Er beginnt da, wo Menschen wegen ihrer Herkunft erkennbar anders behandelt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Misstrauen und Ablehnung gegenüber Migranten immer weiter verbreiten. Diese Entwicklung der letzten Jahre bedrückt mich sehr.
Woher rührt das gewachsene Misstrauen?
Der tiefere Grund ist wohl die Verunsicherung vieler Menschen, die sich Sorgen wegen der Zukunft machen. Globalisierung und Digitalisierung sind nicht nur Zukunftsverheißungen, sondern werden oft auch als bedrohlich empfunden. Das gilt allgemein, kommt aber auch in Vorbehalten gegen Zuwanderung zum Ausdruck. Ich nehme an, dass deswegen viele Menschen heute kritischer auf ihre migrantischen Nachbarn schauen als noch vor ein paar Jahren.
Welche Verantwortung trägt die Politik für diese Entwicklung?
Politik muss Sicherheit und Vertrauen vermitteln. Das war in der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel anfangs sicher nicht der Fall. Sie war leider planlos. Unsere Systeme waren nicht auf den Flüchtlingszuzug ab September 2015 vorbereitet. Das hat viele Menschen verunsichert und es rechtspopulistischen Brandstiftern letztlich leicht gemacht, aufzuhetzen und die Gesellschaft zu spalten. Damals ist ein Geist aus der Flasche gelassen worden.
Also hat die Politik, hat der Staat versagt?
Das ist überzogen. Aber es sind Fehler gemacht worden. Kommunen und Länder mussten innerhalb weniger Wochen ein Krisenmanagement aus dem Boden stampfen, das sie sich zuvor nicht hätten ausmalen können. Aber es war kein Staatsversagen und auch keine Herrschaft des Unrechts, wie Horst Seehofer behauptet hat.
Der Streit um die Flüchtlingspolitik wird nunmehr seit Jahren mit einer besorgniserregenden Härte geführt. Woran liegt das?
Vielleicht hätte die Bundeskanzlerin schon zu einem früheren Zeitpunkt Fehler eingestehen müssen. Es war für viele Deutsche eine ganz neue, zutiefst verunsichernde Erfahrung, dass der Staat mit seinen Aufgaben nicht fertig wird. Aber anstatt nüchtern zu bilanzieren, was falsch gelaufen ist, hat die Bundeskanzlerin zu lange darauf beharrt, recht gehabt zu haben. Bei meinen Bürgerversammlungen fällt mir immer wieder auf, dass sich beim Thema Flüchtlinge die Atmosphäre sofort entkrampft, wenn wir nüchtern miteinander sortieren, was richtig und was falsch gelaufen ist. Man muss die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Würde ich den Leuten erklären, dass sie falsch fühlen, wären die Gespräche zu Recht rasch beendet.
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