Cem Özdemir wird in Berlin von Taxifahrern bedroht
Der Grünen-Chef wurde in Berlin mehrfach von ultranationalistischen türkischstämmigen Taxifahrern angegangen. Aus Angst verzichtet er meist ganz auf Taxifahrten - und fordert nun Hilfe von der Taxi-Innung.
Abgeordnete des Bundestages fahren, wie andere viel beschäftigte Leute auch, öfter mit dem Taxi von Termin zu Termin. Für die meisten ist das kein Problem. Wer aber türkischstämmig ist und zugleich der türkischen Regierung kritisch gegenübersteht, muss sich auf einiges gefasst machen, wenn er in Berlin in ein Taxi steigt – jedenfalls, wenn ein strammer türkischer Nationalist am Steuer sitzt und den Politiker erkennt. Dann muss mit Beschimpfungen, Beleidigungen und aggressivem Verhalten gerechnet werden.
Auch Cem Özdemir, der bekannteste türkischstämmige deutsche Politiker, kann ein Lied davon singen. Ihm reicht es nun. Özdemir, den seine Grünen gerade zu ihrem Spitzenmann für die Bundestagswahl nominiert haben, hat vor Weihnachten in einem Brief an die Berliner Taxi-Innung und den Taxi-Verband Berlin-Brandenburg seine Erfahrungen mit rabiaten türkischen Taxifahrern geschildert und die Innung aufgefordert, etwas dagegen zu tun.
Besonders heftig wurde es nach der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages im Juni 2016. Fast einstimmig hatte das Parlament beschlossen, den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in der Türkei um das Jahr 1915 als solchen zu bezeichnen und zu verurteilen. Viele regierungstreue Türken reagierten wütend darauf, auch in Berlin. Damals, schreibt Özdemir an die Taxi-Innung, "wurde mir sowohl vom Bundeskriminalamt als auch einigen Berliner Taxifahrern abgeraten, weiterhin Transfers mit dem Taxi wahrzunehmen".
Aus Angst verzichtet Özdemir meistens auf ein Taxi
Auch schon vor der Resolution, erzählt Özedmir, sei er gewarnt worden. "Ich wurde von alevitischen und kurdischen Taxifahrern angesprochen. Sie erzählten mir, da gibt's Fahrer, die sagen, ich mach den kalt. Oder: Ich spucke dem ins Gesicht." Es blieb nicht bei solchen Geschichten vom Hörensagen. Özdemir erzählt von jener bedrohlichen Fahrt, bei der er mit seinem kleinen Sohn im Taxi saß. Erst ging alles gut, aber dann erkannte ihn der Taxifahrer wohl doch auf den zweiten Blick "und veränderte abrupt seine Fahrweise, er raste los. Er wollte zeigen, wie wütend es ihn macht, einen 'Verräter' im Taxi zu haben."
In seinem Brief an die Taxi-Innung schreibt Özdemir, er habe "kein Problem damit", dass manche Taxifahrer den "nahezu einstimmig gefassten Beschluss des Verfassungsorgans Deutscher Bundestag" kritisch sähen. "Im Gegensatz zur Erdogan-Türkei darf man dies ja Gott sei Dank in Deutschland, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen oder seine Existenz zu gefährden." Es überschreite aber jede Grenze, "wenn ich oder andere Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen jeglicher Art ausgesetzt werden".
Was Özdemir ärgert, ist, dass solche zu erwartenden Attacken seinen Alltag bestimmen. "Wieso soll ich mein Leben ändern? Wieso soll ich meinen Kindern und meiner Frau sagen: Nennt im Taxi nicht meinen Namen und redet nicht über Politik." Oft verzichte er darauf, ein Taxi zu rufen, aber der Fahrdienst des Bundestags, den er nutzen kann, brauche länger, und manchmal müsse es eben schnell gehen. So rief er neulich doch wieder ein Taxi.
Auch Can Dündar fühlt sich im Taxi nicht mehr sicher
"Die Fahrt verlief ruhig, aber als wir ankamen und ich zahlte, wies der Fahrer mein Trinkgeld zurück – an diesem Geld, sagte er, klebe das Blut toter türkischer Märtyrer des Putschversuchs." Die Szene schildert er auch in seinem Brief an die Innung und fordert deren Einschreiten: "Solche offensichtlich fanatisierten Menschen brauchen meines Erachtens einen klaren Hinweis darauf, dass in Deutschland das deutsche Grundgesetz gilt und nicht Ultranationalismus und religiöser Fanatismus."
Nicht nur ihm ergeht es so. "Auch Abgeordnetenkollegen berichten mir immer wieder von vergleichbaren Fälle, in denen gezielt grüne Abgeordnete meinetwegen 'bestraft' werden", sagt Özdemir.
Und die Wut nationalistischer türkischer Personenbeförderer trifft nicht nur deutsche Abgeordnete. Einer der bekanntesten türkischen Journalisten, Can Dündar, Ex-Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet", hält sich wegen der Lage in der Türkei derzeit in Berlin auf. Auch Dündar habe, berichtet Özdemir, "immer wieder unangenehme Begegnungen" mit Berliner Taxifahrern gehabt. "Auch er sieht aktuell davon ab, Taxikunde zu sein, da er sich nicht sicher fühlt."
Die Taxi-Innung repräsentiert nur zehn Prozent der Fahrer
Özdemir beruft sich auf die Beförderungspflicht. "Wenn ich im Zug sitze, und der Schaffner hat eine andere politische Einstellung als ich, beschimpft er mich ja auch nicht." Die Taxi-Innung solle ihren Fahrern deutlich machen, dass so etwas nicht gehe. "Ich verlange nicht, dass sie ihren Mund halten." Ein Taxifahrer möge ihm ruhig seine Meinung sagen, aber ihn nicht beleidigen.
Die Innung des Berliner Taxigewerbes reagiert schockiert auf Özdemirs Brief: "Solche Vorfälle sind schrecklich und nicht akzeptabel", sagt ihr Vorsitzender Leszek Nadolski. Er bedauere die Erlebnisse von Özdemir und bemühe sich um ein persönliches Gespräch. "Das schadet nicht nur unserem Gewerbe, sondern auch der Stadt."
Die Innung könne Fehlverhalten zwar ahnden – aber eben nur bei ihren Mitgliedern: "Maximal die Hälfte der Taxifahrer in Berlin sind in einem Verband organisiert, unsere Innung repräsentiert etwa zehn Prozent." Ansonsten müsse der jeweilige Unternehmer Konsequenzen ziehen. Tue der es nicht, müsse das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten sich des Falls annehmen.
© dpa ARCHIV - Der Bundesvorsitzende Cem Özdemir spricht am 19.11.2016 bei der baden-württembergischen Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Schwäbisch Gmünd (Baden-Württemberg). (zu "Özdemir…
Fahren Berliner Taxis bald ohne Abgeordnete?
Das Amt dürfe im Extremfall auch den Führerschein zur Fahrgastbeförderung oder die Konzession entziehen. "Hier wurde in der Vergangenheit allerdings viel zu selten durchgegriffen, und es besteht großer Nachholbedarf", kritisiert Nadolski und fordert: "Es wird Zeit, dass sich die Politik dieses Themas stärker annimmt."
Sonst hieße es nämlich: Am Sitz des deutschen Parlaments gibt es nur noch Taxis ohne Abgeordnete.