Die neuen Migrationsbewegungen aus der Türkei in europäische Länder nehmen zu
Cumali Yagmur
Vor den Sprachkursen in der Türkei stehen Menschen Schlange: die Zahl der jungen Leute, die Englisch, Deutsch oder Französisch lernen wollen und einen Weg nach Europa suchen, nimmt zu. Neue Migrationsbewegungen aus der Türkei in europäische Länder zeichnen sich ab.
Es sind vor allem die gut Ausgebildeten und die, die in bestimmten Berufen spezialisiert und bereits erfahren sind und davon ausgehen können, europaweit einen Job zu finden, Ingenieure, IT-Leute, auch im Hotel und in der Gastronomie tätige, Kellner, Köche und Bäcker, vor allem auch im Gesundheitsbereich tätige Fachkräfte.
Mittlerweile haben bereits Hausarztpraxen in der Türkei haben die Arbeit niedergelegt, aus Protest gegen schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen. Weitere Ärzt:innen in mehreren Städten des Landes haben sich dem Protest angeschlossen. Vor dem Hintergrund starker Preisanstiege protestieren fast täglich Beschäftigte aller Art für bessere Löhne. Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor haben sich, wie in anderen Bereichen auch, deutlich verschlechtert, Belastungen seien im Zuge der Pandemie stark gestiegen, zudem habe die Gewalt gegen die Beschäftigten zugenommen. Einem Bericht der Gewerkschaft zufolge wurden im vergangenen Jahr 316 Mitarbeiter im Gesundheitswesen angegriffen. Immer mehr Ärzte gingen ins Ausland, Allein im Januar seien es 197 Ärzte gewesen, im vergangenen Jahr waren es insgesamt 1.400. Im Jahr 2012 seien es nur 59 gewesen. Oft gehen sie dort anderen Beschäftigungen nach und verdienen damit genauso gut oder gar besser, als wenn sie als Mediziner in der Türkei blieben.
Zukunftssorgen und finanzielle Schwierigkeiten seien die Hauptgründe für die Emigration. Die Türkei kämpft derzeit mit einer Währungskrise und einer Inflation von offiziell knapp 50 Prozent. Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs waren zuletzt immer teurer geworden.
Zum Jahreswechsel wurden die Energiepreise stark angehoben, Strom für Haushalte kostet nun etwa 50 Prozent mehr. Fast täglich verbrennen Menschen aus Protest dagegen öffentlich ihre Rechnungen. Die Gewerkschaft Disk hatte am Mittwoch angekündigt, zu landesweiten Protesten mobilisieren zu wollen
Der Grund dafür ist erst einmal ein ökonomischer: die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten und der geringe Verdienst. Aber auch die Repressionen der regierenden AKP-MHP-Regierung, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die mangelnde Lebenssicherheit spielen für diese Abwanderungsbewegungen und diesen „Braindrain“ keine unerhebliche Rolle.
So geben türkische Kapitalbesitzer und Investoren offen an, in einem Land ohne demokratische Stabilität, in dem Gesetze und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, keine Anlagen tätigen wollen, auch aus Sorge um mangelnde Investitionsgarantien.
Ausländische Kapitalanleger sehen, dass heimische Investoren das Land verlassen und halten sich entsprechend auf dem Markt zurück.
Die AKP-MHP-Regierung sucht lediglich ihren Machterhalt zu festigen und verstärkt nur noch die Repressionen, sie fühlt sich sicher an der Macht. Die Abwanderung eines qualifizierten Fachpersonals lässt sie anscheinend kalt.
Doch das Ende dieser Politik ist in Sicht!